In der vergangenen Saison haben die Young Boys den fünften Meistertitel in den letzten sechs Jahren gefeiert. Die Erfolge sind eng mit den Namen Christoph Spycher und Stéphane Chapuisat verbunden.
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
- YB, einst ein Synonym für Versagen, hat sich zum Spitzenreiter im Schweizer Fussball entwickelt.
- Die Schlüsselrolle bei dieser Transformation spielte Christoph Spycher als Sportchef, der auf talentierte junge Spieler und erfahrene Führungsspieler setzte.
- YBs Erfolgsgeheimnis liegt in der sorgfältigen Auswahl der Spieler, die den Verein verstehen und eine gute Balance zwischen individuellen Bedürfnissen und Teamgeist haben.
Es ist noch nicht lange Jahr, da war YB ein Synonym fürs Versagen. 31 Jahre blieb der Berner Verein ohne Titel, nun ist er das Mass der Dinge im Schweizer Fussball. Wie ist diese Wandlung zu erklären? Das wichtigste Puzzleteil war die Einsetzung von Christoph Spycher als Sportchef im Jahr 2016. Der 45-Jährige bezog in der Folge Stéphane Chapuisat eng mit ein. Zwar war der frühere Topstürmer schon seit 2010 Chefscout der Young Boys, jedoch hatte er nicht die gleich wichtige Rolle wie unter Spycher, der ihn von der gemeinsamen Zeit bei GC und im Nationalteam kannte.
Die beiden hatten einen klaren Plan, bauten auf hochtalentierte Junge und ein Gerüst an erfahrenen Spielern, welche die Mannschaft führten. «Diesbezüglich stellten wir im Sommer 2017 die richtigen Weichen», sagt Spycher im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. So weit, so gut. Allerdings ist dies kein bahnbrechendes Erfolgsrezept. Entscheidend ist die Umsetzung.
«Jeder Spieler hat das Recht auf eine individuelle Karriere»
Spycher und Chapuisat verfügen auch aufgrund ihrer Erfahrung als Spieler über ein hervorragendes Gespür, wer ins Team passt. Danach gefragt, welche Eigenschaften jemand mitbringen müsse, um verpflichtet zu werden, fällt die Antwort der beiden nahezu identisch aus. «Jeder Spieler hat das Recht auf eine individuelle Karriere», betont Spycher, «nichtsdestotrotz muss er die Bedeutung des Vereins verstehen.» Es brauche eine gute Balance zwischen individuellen Bedürfnissen und ans Kollektiv zu denken.
Schon im Februar definierten die Verantwortlichen, welcher Spielertyp für die aktuelle Transferperiode gesucht wird. Die Vorauswahl erfolgt dann über Scouting-Plattformen. Bei Interesse wird der Spieler vor Ort beobachtet, und dann kommt es allenfalls zu einem Gespräch, das sowohl Spycher als auch Chapuisat als «sehr wichtig» bezeichnen.
«Den Charakter einzuschätzen, ist der schwierigste Punkt», sagt Spycher. Deshalb werden zusätzliche Informationen von Personen eingeholt, «die eine unabhängige Position gegenüber dem Spieler haben». Zur Verpflichtung kommt es nur dann, «wenn wir von ihm menschlich zu 100 Prozent überzeugt sind», erzählt Spycher.
Spycher: «Wir diskutieren sehr kontrovers»
Das Wir wird bei YB grossgeschrieben. War Chapuisat zu Beginn der wichtigste Mitarbeiter von Spycher, sind nun eine grössere Anzahl an Personen involviert. Spycher gab vor einem Jahr das Amt als Sportchef an Steve Von Bergen ab, ist nun VR-Delegierter Sport. Von Bergen ist ehemaliger Captain von YB und war in dieser Funktion für Spycher der «wichtigste Botschafter meiner Werte in der Garderobe» und darum eine logische Wahl.
Seit 2017 ist Gérard Castella, der 1999 als Trainer mit Servette den Meistertitel gewonnen hat, Ausbildungschef des Vereins – Chapuisat kannte ihn bestens. Die Aufzählung ist nicht vollständig. «Alle, die dazugekommen sind, leben die gleichen Werte», so Spycher. Das ist für ihn entscheidend. Zwar ist er der Hauptverantwortliche der Sportabteilung, in der Realität herrscht aber eine flache Hierarchie.
«Es ist im Entscheidungsprozess wichtig, verschiedene Meinungen anzuhören», sagt Spycher. «Wir diskutieren sehr kontrovers.» Sind nicht alle vom Gleichen überzeugt, «ist es wichtig, den Weg zu begründen, damit intern alle vom gleichen reden und auf die gleiche Art und Weise kommunizieren». Das ist bei YB definitiv der Fall.
Ruhe als positive Begleiterscheinung
Auch nach der aus Berner Sicht enttäuschenden Saison 2021/22, in der lediglich der 3. Platz herausschaute, kam keine Unruhe auf. Ruhe ist für Spycher allerdings keine Voraussetzung, um erfolgreich zu sein. Das wichtigste Kriterium ist für ihn qualitativ gute Arbeit, dass alle Positionen mit den richtigen Leuten besetzt sind. «Dann ist ein ruhiges Umfeld eine positive Begleiterscheinung.»
Dass bei den Bernern gut gearbeitet wird, ist offensichtlich, das Scouting funktioniert. In den letzten fünf Saisons wurde stets ein Spieler der Young Boys Torschützenkönig der Super League, dreimal war es Jean-Pierre Nsamé, der 2017 von Servette geholt wurde. Chapuisat weiss aus eigener Erfahrung, worauf es bei einem Stürmer ankommt. Er war als Spieler ein Schlitzohr im positiven Sinn.
«Wir müssen besser sein als vergangene Saison»
Ein weiteres Plus ist die Kontinuität. Spycher war bei Eintracht Frankfurt im Gespräch, hätte Manager der Schweizer Nationalmannschaft werden können, doch er zog es vor, bei den Bernern zu bleiben. Er ist allerdings froh, nicht mehr Sportchef zu sein. «Die vor einem Jahr vorgenommene Strukturanpassung war dem Stress in der Transferzeit geschuldet, wir brauchten mehr Manpower», begründet Spycher.
Zwar habe ihm das Amt als Sportchef sehr viel Spass gemacht, die Dynamik sei jedoch extrem gewesen, sodass es ihm vielleicht eines Tages den Deckel gelupft und er den Bettel hingeschmissen hätte. «Das kann es nicht sein.» Spychers Vertrag läuft noch bis am 30. Juni 2025. Er dürfte den Bernern jedoch darüber hinaus erhalten bleiben. Sein Ziel ist es, «kurz- bis mittelfristig jüngere Leute in die Management-Ebene zu integrieren, damit die Geschichte von YB personenunabhängig erfolgreich weitergeht».
Zur bevorstehenden Meisterschaft sagt Spycher: «Im Fussball kann es schnell gehen. Wir müssen besser sein als vergangene Saison, wenn wir die Titel verteidigen wollen.» Chapuisat ergänzt: «Wir wissen, dass es nicht mehr reicht, wenn wir etwas nachlassen. Um Erfolg zu haben, muss man immer am Limit sein.»