Miroslav Stevanovic hat sich am Samstag bei der 1:3-Niederlage gegen YB schon den 20. Assist in dieser Saison gutschreiben lassen. Eine Marke, die in der Super League noch keiner erreicht hat. Und trotzdem meidet Servettes Mittelfeldstratege das Rampenlicht. Wir begeben uns auf Spurensuche.
Wer ist Miroslav Stevanovic? Am leichtesten könnte diese Frage Miroslav Stevanovic selbst beantworten. Der Mann aus Bosnien-Herzegowina gibt allerdings seit Langem keine Interviews mehr. Auch auf unsere Anfrage in den letzten Tagen erhalten wir negativen Bescheid. Und so müssen wir seine Geschichte anders aufrollen.
Zum Beispiel zusammen mit Steven Lang. Er war zwischen 2017 und 2020 Mitspieler von Stevanovic bei Servette. Auch jetzt noch sehen sich die beiden regelmässig und Lang sagt über seinen Kollegen: «Er ist ein super Mitspieler und ein ganz lieber Mensch, vielleicht sogar ein bisschen zu lieb manchmal. Das haben ihm schon viele Mitspieler vorgeworfen.»
Lang glaubt, dass Stevanovic auch in Frankreich, England oder Italien hätte spielen können, hätte er den nötigen Biss an den Tag gelegt. «Er hinterfragt sich zu viel. Wenn er einen Fehlpass spielt, wird er sofort unruhig. Das hat ihm viel gekostet», so der 34-jährige blue-Experte. «Er ist sehr sensibel und braucht viel Liebe von seinen Mitspielern und seinem Trainer.»
In Spanien gescheitert ...
Miroslav Stevanovic muss sich den Erfolg schon früh hart erarbeiten. Im Sommer 1990 wird er in einer kleinen bosnischen Stadt geboren. Seine ersten fussballerischen Spuren hinterlässt er beim lokalen Fussballklub, wo er kurz vor seiner Volljährigkeit dem serbischen Erstligisten Vojvodina auffällt. Stevanovic geht also nach Serbien. Und er schafft den Durchbruch schnell.
Schon in seiner zweiten Saison führt er den Klub in einigen Partien als Captain aufs Feld und schafft den Sprung in die U21-Nationalmannschaft seines Landes. Es folgen weitere starke Saisons bei Vojvodina, Stevanovic wird mit 22 Jahren A-Nationalspieler – und wechselt nach Spanien.
Sevilla investiert im Januar 2013 über eine Million Euro in den Flügelspieler. Stevanovic kriegt ein paar Einsätze, wird danach verliehen, aber schafft den Durchbruch in Spanien nicht. Nach anderthalb Jahren ist Schluss. Sein Vertrag endet, Stevanovic ist ein paar Monate vereinslos. Das einst grosse Talent beginnt in seiner Heimat Bosnien-Herzegowina neu, kriegt wieder Spielzeit und landet 2017 in Genf.
... in Genf ein Star
«In der Kabine sprach er nicht viel. Er kam am Morgen ins Training, machte sein Ding und ging wieder nach Hause. Am Wochenende schoss er drei Tore, aber das änderte nichts für ihn», erinnert sich Steven Lang. Servette spielt damals noch in der Challenge League, der Aufstieg ist das Ziel. Stevanovic kann von Beginn weg überzeugen, die Genfer aber schaffen die Rückkehr ins Oberhaus nicht.
So übernimmt 2018 ein gewisser Alain Geiger das Ruder in Genf. Unter ihm marschiert Servette durch, schafft den Aufstieg in die Super League. Und unter Geiger wird Stevanovic noch besser. Bärenstarke 25 Torbeteiligungen steuert der Bosnier in der Aufstiegssaison bei, wird zum Dreh- und Angelpunkt im Spiel des Traditionsklubs.
Das ist er bis heute geblieben. Seine 20 Assists in dieser Saison sind schon jetzt ein Rekord in der Geschichte der Super League. Stéphane Chapuisats Marke von 19 Torvorlagen aus der Saison 2003/04 ist geknackt.
Für Steven Lang kommt dieser Rekord nicht überraschend: «Stevanovic macht auf dem Feld einfach alles richtig. Wenn er schiessen kann, aber sieht, dass ein Mitspieler besser positioniert ist, spielt er den Ball ab – das macht nicht jeder. Er ist nicht der Schnellste, aber mit seiner Passqualität, seinem Timing und seinem Kopf ... für mich ist er ein absoluter Top-Spieler, vielleicht sogar der beste Spieler der Super League.»
Die fehlende Arroganz
Miroslav Stevanovic ist der wohl wichtigste Einzelspieler bei Servette. Er ist neuerdings ein Rekordhalter. Aber er macht es neben dem Feld wie darauf: Er überlässt den Anderen den Vortritt. Auf dem Rasen heisst das, dass er lieber Tore vorbereitet als sie selbst zu erzielen.
Neben dem Platz überlässt er die Bühne ebenfalls seinen Mitspielern. Für Interviews ist er nicht zu haben. «Er will einfach seine Ruhe haben und nicht im Rampenlicht stehen. Er ist ein Teamplayer, die Mannschaft ist für ihn das Wichtigste», so Lang. Doch vielleicht ist das auch der Grund, warum es Stevanovic nie in einer Top-Liga gepackt hat. «Wenn du ganz nach oben willst, musst du auch ein Egoist sein und diese gewisse Arroganz haben.»
Die spielerische Qualität habe Stevanovic allemal, um weiter oben zu spielen, meint Lang. «Er spricht besser Englisch als ich Deutsch. Aber er ist einfach zu schüchtern, um mit den Reportern zu sprechen, weil er perfekt reden will. Das ist Stevanovic und man kann ihn nicht ändern. Aber das ist auch seine Stärke», erklärt Steven Lang schmunzelnd. So ist er eben, der 31-jährige Bosnier. Er lässt lieber die Anderen glänzen als sich selbst.