Zu Besuch bei Olympiasiegerin Dominique Gisin «So gehts mir zehn Jahre nach Gold und meinen Tränen mit Omi»

Von Peter Staub und Julian Barnard

12.2.2024

Dominique Gisin erinnert sich an ihren Olympiasieg vor 10 Jahren

Dominique Gisin erinnert sich an ihren Olympiasieg vor 10 Jahren

Am 12. Februar fuhr Dominique Gisin in Sotschi zu Olympia-Gold und telefonierte sich mit ihrem Omi in unsere Herzen. Für blue Sport erinnert sie sich im Talmuseum in Engelberg an jenen Tag zurück, der ihr Leben prägte.

11.02.2024

Vor zehn Jahren fuhr Dominique Gisin in Sotschi zu Olympia-Gold und telefonierte sich mit ihrem Omi in unsere Herzen. Für blue Sport erinnert sie sich an jenen Tag zurück, der ihr Leben prägte. 

Von Peter Staub und Julian Barnard

12.2.2024

Keine Zeit? blue Sport fasst für dich zusammen

  • Eine Gondel und ein Ortsbus in Engelberg sind bereits nach ihr benannt, heute Montag wird Dominique Gisin in ihrem Wohnort auch noch mit einer Statue verewigt. Der Grund: ihr Abfahrts-Olympiasieg am 12. Februar 2014 in Sotschi feiert Jubiläum. 
  • Dieser Tag hat ihr Leben geprägt. Allen in Erinnerung geblieben ist auch ihr emotionaler Anruf aus dem Zielraum zu den Grosseltern: «Omi, do esch d’ Dominique» rührte das TV-Publikum zu Tränen.
  • Mit blue Sport redet sie über ihre Gold-Fahrt vor zehn Jahren, das emotionale Telefon mit ihrer Omi und die Gegenwart. Vor einem Jahr ist ihre Tochter zur Welt gekommen. «Aktuell bin ich vor allem Mami», sagt Gisin, die an der ETH in Zürich das Master-Studium Physik abgeschlossen hat und die Berufspilotenlizenz besitzt.

Dominique Gisin (38) erscheint gutgelaunt im Talmuseum, wo derzeit eine Ausstellung über die 15 Olympioniken aus Engelberg gezeigt wird. Eine rekordverdächtige Zahl für ein Dorf mit 4000 Einwohnern. Im dritten Stock ist ein Raum den beiden Gisin-Schwestern gewidmet. Dort sind auch die Abfahrtsski von Dominique ausgestellt, mit denen sie in Rosa Khutor in Sotschi zu Olympia-Gold raste.

Medienanfragen gibt es bei Gisin noch viele, die meisten lehnt sie ab. Für das 10-jährige Jubiläum ihres Olympiasieges macht sie vereinzelte Ausnahmen. Es bedeutet ihr viel, dass man sich an den Tag erinnert und für sie gar eine Statue einweiht. Denn der 12. Februar 2014 habe ihr Leben geprägt, sagt sie, sie als Mensch aber nicht verändert. Und schiebt dann schmunzelnd ein «hoffentlich» hinterher. Ihre Erinnerungen sind zehn Jahre danach noch immer sehr präsent, «1:41:57 Minuten» sprudelt es aus ihr heraus. Es war ihre Fahrzeit zu Gold.

Jener frühlingshafte Mittwochmorgen im westlichen Kaukasus vor zehn Jahren war sinnbildlich für die Karriere der Speed-Spezialistin. Immer wieder war sie bis dahin durch gesundheitliche Rückschläge gebremst worden. Weil die 28-Jährige in den Abfahrten zuvor nie aufs Podest gefahren war, musste Dominique Gisin in die teaminterne Qualifikation. «Das war mir zuvor noch nie passiert. Ich zweifelte und haderte. Diese Ausscheidung hat Energie gekostet», erinnert sie sich.

«Es war keine Liebe auf den ersten Blick»

Erst im dritten Training sicherte sie sich mit Trainingsbestzeit den letzten Startplatz im starken Schweizer Team. «Ab diesem Moment war ich wie befreit und traute mir für die Abfahrt viel zu.» Ihr gefiel die Olympia-Piste. «Sie war anspruchsvoll, aber es war keine Liebe auf den ersten Blick.»

Als sie mit Nummer 8 im Starthaus stand, sei ihr bewusst gewesen, dass dies ihre letzte Chance für eine olympische Auszeichnung sein dürfte, meint sie. «Ich war überzeugt, dass ich eine Medaille gewinnen kann. Ich wusste nur nicht, welche Farbe». Im Ziel blickte sie nach «einer fehlerfreien Fahrt» zunächst auf den Boden, um zu reflektieren, ob sie auch ihr ganzes Potenzial ausgeschöpft habe. Hat sie. Als sie auf die Tafel schaute, realisierte sie, dass sie in Führung lag, obwohl sie bei keiner Zwischenzeit die Schnellste gewesen war.

Konkurrentin um Konkurrentin liess sie hinter sich. Bis die Slowenin Tina Maze mit Nummer 21 die Zeit egalisierte. Gisin: «Als bei Tina die Zeit grün aufleuchtete, dachte ich: 'dann ist es halt Silber'. Erst als ich erneut hinschaute, sah ich die ex-aequo-Klassierung». Erstmals in der Olympischen Geschichte gab es in Sotschi zwei Abfahrtsiegerinnen.

Ein Telefonanruf mitten ins Herz 

Mit ihrer Goldmedaille liess Gisin alle Schweizerinnen und Schweizer vor dem TV jubeln, ihr Telefonanruf aus der Leader-Box ging allen mitten ins Herz. Gisin, die sonst in der Medienarbeit so souveräne und achtsame Sportlerin, vergass, dass man in der Leader-Box nonstop gefilmt wird und telefonierte ihren Grosseltern. Die Grossmutter nahm den Anruf entgegen. Der Rest ist bekannt und längst TV-Geschichte. «Omi – do esch d Dominique …» Tränen!

«Ich hatte das Bedürfnis, mein Glück mit meinen Grosseltern zu teilen», erzählt sie zehn Jahre später, «weil sie mich immer unterstützt haben, bei vielen Rennen dabei waren und ich in meinen unzähligen Reha-Tagen oft bei ihnen wohnen durfte. Und weil es meinem Grossvater gesundheitlich schlecht ging». Ihr Grossvater ist zwei Monate nach der Goldfahrt verstorben. Ihre Omi lebt noch immer und ist seit gut einem Jahr Ur-Omi.

«Heute sind bei uns die Kinder das Hauptthema...»

Ist das Gold von Sotschi eine Art Entschädigung für die vielen Enttäuschungen und schwierigen Momente? Gisin denkt, man könne das auch anders sehen. «Wenn Du immer dranbleibst, immer alles gibst, dein Herz und deine Seele, findet dich irgendwann das Glück.»

Sie muss es wissen: Neun Knie-Operationen und etwa gleich viele Comebacks hatte sie «bis zu diesem verrückten Tag von Sotschi» bereits hinter sich. Vier Jahre zuvor, an den Olympischen Spielen von Vancouver, hatte sie «die grösste Enttäuschung» ihrer Karriere erlebt. Auf Medaillenkurs liegend, war sie beim Zielsprung heftig gestürzt und ausgeschieden.

Längst vergangene Zeiten, wie auch die Jahre als alle drei Gisin-Geschwister aus Engelberg eine einzigartige Familien-Band im Weltcup bildeten. Nur Michelle, die jüngste, fährt heute noch. Bruder Marc, Vater eines dreizehn Monate alten Sohns, ist als Rennsportleiter bei Stöckli mitverantwortlich für die grossen Erfolge von Marco Odermatt. Bei der «skiverrückten» Familie Gisin ist heute nicht mehr der Sport Thema Nummer eins. «Das sind unsere Kinder», sagt Gisin und lächelt, «wie könnte es anders sein».