Kariem Hussein verpasst die Olympischen Spiele in Tokio wegen eines positiven Dopingtests. Der Leichtathlet, ehemalige Europameister und Arzt ist für neun Monate gesperrt.
Ausgerechnet einem Mediziner unterlief der folgenschwere Fehler. An den Schweizer Meisterschaften Ende Juni in Langenthal nahm der Thurgauer nach dem Final über 400 m Hürden ein «Täfeli» in den Mund, das viele Wanderer und Freizeitsportler auch mit sich tragen. Gly-Coramin heisst die sugus-artige Lutschtablette, die in jeder Apotheke und Drogerie frei erhältlich ist. Sie enthält Traubenzucker, der Energie spendet, sowie Nikethamid, das die Atmung anregend beeinflussen kann.
Auch Hussein darf dieses «Täfeli» lutschen. Was er als Spitzensportler und insbesondere als Arzt hätte wissen müssen: sicher nicht im Wettkampf. Während des Trainings oder der Freizeit ist es zwar erlaubt, aber viele lassen die Finger davon. Der Thurgauer beteuert in einem Communiqué samt Video-Clip, dass er einem «folgenschweren Irrtum» aufgesessen sei. Er unterstützt diese These mit der Aussage, er habe die Lutschtablette wegen Unterzuckerung «nach dem Rennen eingenommen», der Dopingkontrolleur habe sogar zugeschaut. Der Thurgauer gibt zudem an, Gly-Coramin auch am Freitag zwei Stunden vor dem Vorlauf gelutscht zu haben.
Die Erklärung des Athleten mag plausibel klingen, wirft aber doch Fragen auf. Dass Gly-Coramin ein heikles Produkt ist, weiss eigentlich jeder Sportler. Wieso unterläuft ausgerechnet einem Arzt dieser Anfängerfehler? Hussein nimmt am Samstag in einer Online-Medienkonferenz dazu Stellung.
Vereinfachtes Verfahren
Die Disziplinarkammer von Swiss Olympic sperrte den Europameister aus dem Jahr 2014 aufgrund der A-Probe vom Samstag für neun Monate ab dem 16. Juli. Nachgewiesen wurden ihm die unerlaubten Substanzen Nikethamid und des Metaboliten N-ethylnicotinamide. Der Ostschweizer hatte gegen die zunächst provisorische Sperre Einsprache erhoben. Diese wurde jedoch abgewiesen. Nun akzeptiert er den Entscheid der Disziplinarkammer und legt keinen Rekurs ein. Er hält aber fest, dass dies der einzige Verstoss in seiner langjährigen Karriere mit über 60 Dopingkontrollen sei.
Das Strafmass bei Doping-Vergehen ist im Gegensatz zu früher nicht mehr starr geregelt. Die Richter haben einen Ermessensspielraum. Dass Hussein gestanden, kooperiert und auch ein vereinfachtes Verfahren akzeptiert hat, dürfte sich strafmildernd ausgewirkt haben. Mit dem Verpassen der Spiele in Tokio kassierte er eh eine harte Strafe. Gleichzeitig ist er für die kommende Sommersaison nicht mehr gesperrt.
«Ich bin es gewohnt, alle Hürden zu nehmen. Über diese bin ich unerwartet gestolpert. Ein folgenschwerer Irrtum, eine Unachtsamkeit – in diesem Fall bin ich an meinem eigenen Anspruch an Perfektion gescheitert», schrieb der Sohn einer Schweizerin und eines Ägypters. Per Video fügte er an: «Es ist extrem bitter, weil ich hart gearbeitet habe, um zurückzukommen. Ein Traum ist geplatzt.»
«Dass der Athlet seine Sperre akzeptiert und die Verantwortung für sein Vergehen übernimmt, verdient aus Sicht von Swiss Olympic Respekt», schrieb der Dachverband des Schweizer Sports in einer Stellungnahme. «Nichtsdestotrotz ist das Vergehen und die daraus resultierende Sperre eine Warnung an alle Athletinnen und Athleten, dass sie nie sorgfältig genug sein können bei der Einnahme von Ergänzungsmitteln. Die Sanktion gegen Kariem Hussein zeigt diesbezüglich hoffentlich die gewünschte Wirkung.»
Erneut auf Top-Niveau
Hussein hatte im Final in Langenthal in 48,84 Sekunden die Olympiaqualifikation geschafft. Mit 32 Jahren meldete sich der Ostschweizer zum zweiten Mal auf Top-Niveau zurück. Er kam bis auf vier Zehntel an seine persönliche Bestleistung heran, die er 2015 aufgestellt und 2017 egalisiert hatte.
Der Späteinsteiger hatte trotz Verletzungen in den Jahren 2018 und 2019 nicht aufgegeben. Ihm kam deshalb gelegen, dass die Olympischen Spiele coronabedingt um ein Jahr verschoben wurden. Nach einem intensiven und strukturierten Aufbau ist Hussein gesund, sein persönlicher Bestwert hätte in Tokio gewackelt.
Doch nun muss er in der Schweiz bleiben und kann die Rechnung mit Olympia nicht begleichen. Sowohl 2012 in London (Startverzicht) als auch in Rio 2016 (31. Rang) machten ihm Verletzungen einen Strich durch die Rechnung. An ein Ende seiner Laufbahn denkt der Thurgauer trotz der Sperre nicht: Er will seine sportliche Karriere weiterverfolgen.
hle, sda