Die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft nimmt in Peking eine Olympia-Medaille ins Visier. Die Zeit dafür wäre reif nach 74 Jahren. Aber es lauern auch einige Gefahren. Eine Analyse.
Roman Josi ist der vielleicht beste Verteidiger auf der Welt. Timo Meier der aktuell möglicherweise heisseste Stürmer und auch Nino Niederreiter, Kevin Fiala, Nico Hischier und Pius Suter gehören in ihren Teams zu den Schlüsselfiguren. Es wäre grandios gewesen, unsere NHL-Stars auch in Peking zu sehen und für einmal ist es womöglich sogar ein Nachteil für die Schweiz, dass die NHL ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen abgesagt hat.
Doch Nachtrauern hilft nichts. Der Traum von einer Medaille bleibt so oder so bestehen, nach den beiden WM-Silbermedaillen 2013 und 2018 sind die Ambitionen gestiegen. Und mit Patrick Fischer haben wir auch einen Nationaltrainer, der bezüglich Zielsetzungen nicht lange um den heissen Brei redet, sondern die Sache forsch angeht. Er will mit der Schweiz Weltmeister werden und eine Olympia-Medaille gewinnen.
Keine Experimente – die Formkurve stimmt
Die Zeit wäre auch reif für die erste Olympia-Medaille der Schweizer Eishockeynationalmannschaft der Männer seit den Olympischen Spielen 1948 in St. Moritz. Und dafür, dass die legendären Bibi Torriani, Gebi Poltera und Hans Cattini endlich Nachfolger erhalten. Die Voraussetzungen dafür hat Fischer geschaffen. Mit dem Geist, der Atmosphäre, dem System und dem Vertrauensverhältnis in der Nationalmannschaft.
In seinem Olympia-Kader lässt er sich auf keine Experimente ein, setzt auf Erfahrung. Über einzelne Positionen im dritten oder vierten Block lassen sich immer diskutieren, aber im Prinzip hat der Nati-Coach das bestmögliche, zur Verfügung stehende Kader aufgeboten. Daran wird es nicht liegen.
Viel Zuversicht darf ihm auch geben, dass die Olympischen Spiele zum richtigen Zeitpunkt kommen und der grosser Teil seines Kaders mit breiter Brust eingerückt ist. Fünf Spieler kommen von den ZSC Lions, vier von Zug. Diese beiden meistgenannten Meisterkandidaten spielten nach etwelchen Problemen in den Monaten zuvor im Januar gross auf. Und die drei Freiburger im Team befinden sich als dauerhafter Überraschungsleader ohnehin im Dauerhoch.
Zuletzt zwei Mal nicht belohnt
Doch natürlich kann die Olympia-Expedition auch schief gehen. Der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg, zwischen Euphorie und Katzenjammer kann sehr schmal sein. Das war in den letzten Jahren immer wieder zu sehen. Es gibt einige Gefahren, die lauern.
Die letzte Olympia-Operation 2018 ging krachend schief. Nach einem bitteren Achtelfinal-Out gegen Deutschland (1:2 nach Verlängerung) hiess es vorzeitig die Koffer packen und von daheim aus zuschauen, wie unser Nachbar anschliessend bis in den Final stürmte. Ist von diesem unguten Gefühl noch etwas hängen geblieben? Fischer glaubt das nicht und sagt: «Vor vier Jahren litten wir sehr. Nun sind wir bereit, das zu korrigieren.»
Auch an den letzten beiden Weltmeisterschaften hat es die Nati im entscheidenden Moment nicht auf die Reihe gebracht und sich letztlich für ihre starke Vorarbeit nicht belohnt. 2019 in der Slowakei, als sie im Viertelfinal gegen Kanada in letzter Sekunde eine Führung noch aus der Hand gab und in der Verlängerung unterlag. Und 2021 in Lettland, als man im Viertelfinal gegen Deutschland erneut in der Schlussminute den Ausgleich kassierte und anschliessend im Penaltyschiessen verlor.
Neben Stärke braucht es auch (Virus-)Glück
Der Start in die Olympia-Saison war zudem mit einem Totalabsturz am Deutschland Cup, mitunter durch eine 1:7-Klatsche gegen die Slowakei alles andere als berauschend. Und dass in der Champions Hockey League ab den Viertelfinals kein Schweizer Team mehr dabei war, ist ebenfalls nicht befriedigend. So dass man sich mit einer gewissen Besorgnis die Frage stellen muss, ob das hiesige Eishockey zuletzt an Qualität eingebüsst hat.
Und dann ist da noch dieser Unsicherheitsfaktor Corona. Mit Joren van Pottelberghe und Sven Senteler sind bereits vor dem Zusammenzug zwei Spieler mit positiven Tests zur Unzeit ausgeschieden. Es traf mit dem dritten Goalie van Pottelberghe und dem auf internationalem Parkett noch unerfahrenen Stürmer Senteler zwei Mitläufer.
Aber sollte das Virus auch bei Schlüsselspielern zuschlagen, dann könnte dies das Gefüge in der Equipe komplett durcheinander bringen und letztlich auch für eine gewisse Machtlosigkeit sorgen. Doch mit diesem Risiko müssen in diesen Zeiten letztlich alle Mannschaften und Sportler leben. Daher braucht es für ein erfolgreiches Turnier neben spielerischer Stärke vor allem auch Glück. Vielleicht soviel Glück wie noch nie.
In ihrer Vorrunden-Gruppe mit Russland, Tschechien und Dänemark wird rasch einmal ersichtlich werden, wie es um die spielerische Leistungsstärke der Nati an diesen Olympischen Spielen steht und in welche Richtung es anschliessend in den K.o.-Spielen gehen könnte. Gegen Titelverteidiger Russland ist sie krasser Aussenseiter und ein gutes Resultat wäre eine positive Überraschung. Gegen Tschechien sollte sie jedoch mithalten können und gegen Dänemark einen ungefährdeten Sieg einfahren.