Die sich sehr gut entwickelnde Formel E ist aus nationaler Sicht ein Sonderfall. In keinem anderen Sektor des Automobilrennsports ist der Schweizer Einfluss so gross wie in dieser Meisterschaft.
Es hat einst Jo Siffert und Clay Regazzoni gegeben, die in der Formel 1 zu den Hauptdarstellern gehört haben. Marcel Fässler und Neel Jani haben vorab in der Langstrecken-Weltmeisterschaft ihre Spuren hinterlassen, in denen nunmehr Sébastien Buemi wandelt.
Der Freiburger, der Tessiner, der Schwyzer, der Seeländer und der Waadtländer – sie alle sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Im internationalen Automobilrennsport spielt die Schweiz im Allgemeinen eine untergeordnete Rolle. Selbst im Zürcher Formel-1-Rennstall Sauber, der seit dieser Saison unter Alfa Romeo firmiert, hat sich das Einheimische nach dem Rückzug von Gründer und Patron Peter Sauber und dem Verkauf des Teams praktisch auf den Standort Hinwil reduziert.
ABB, Julius Bär, TAG Heuer
Eine weitere Ausnahme ist die Formel E. In der Rennserie für elektrisch angetriebene Autos steckt jede Menge Swissness, auf und neben den in den Städten auf öffentlichen Strassen hergerichteten Rennstrecken. Da passen Zürich mit der Schweizer Premiere im Vorjahr und Bern, wo die Formel E dieser Tage gastiert, als Austragungsorte bestens dazu.
Da sind die Privatbank Julius Bär und der Uhrenhersteller TAG Heuer, die seit der Geburtsstunde der Formel E zu den bedeutenden Partnern gehören und sich durch ihre kostspieligen Verpflichtungen eine bessere Kundenbindung versprechen. Beide haben sie trotz auch in der Schweiz breitgefächerter Skepsis an die Formel E als boomenden Markt geglaubt – und dank der erfreulichen Entwicklung in den ersten fünf Jahren die Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Investitionen erhalten.
Da ist aber vor allem der Technologie-Konzern ABB, der sich ebenfalls seit Beginn in der Formel-E-Meisterschaft engagiert und seit Anfang des vergangenen Jahres als Namensgeber der Serie auftritt. Die Firma mit Hauptsitz in Zürich, die vor 31 Jahren aus der Fusion der Firmen ASEA aus Schweden und der Schweizer BBC entstanden ist, lässt sich das Titelsponsoring einen dreistelligen Millionenbetrag kosten.
Das Bekenntnis zur noch jungen Meisterschaft macht Sinn, zumal die Elektro-Branche zu den Betätigungsfeldern der ABB gehört. Das mit 147'000 Mitarbeitern in 100 Ländern tätige Unternehmen bietet unter anderem Ladelösungen für Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge sowie Elektrifizierungs-Lösungen für Schiffe und Eisenbahnen an. Die neueste Errungenschaft hat ABB werbewirksam im Vorfeld des Formel-E-Rennens in Bern vorgestellt, den ersten Elektro-LKW ihrer Transporter-Flotte in der Schweiz.
Buemi mit Nachholbedarf
Bei der Präsentation auf dem Berner Bahnhofplatz war auch Sébastien Buemi zugegen. Der vielbeschäftigte Allrounder aus dem Waadtland, der als Langstrecken-Weltmeister und Gewinner des 24-Stunden-Klassikers in Le Mans nach Bern gereist ist, ist einer der Fahrer der ersten Stunde in der Formel E. Buemi, mit zwölf Siegen Rekordhalter und vor drei Jahren Meister, kam zuletzt nicht wie gewünscht auf Touren. Letztmals war er vor zwei Jahren in Berlin als Erster abgewinkt worden, in der laufenden Saison sicherte er sich vor knapp vier Wochen ebenfalls in der deutschen Hauptstadt mit Rang 2 seine erste Klassierung unter den ersten drei. Er steht beim Team e.dams unter Vertrag, das auf diese Saison hin nach einer konzerninternen Rochade nicht mehr Renault, sondern Nissan als Partner hat.
Als zweiter Fahrer vertritt Edoardo Mortara unser Land in der Formel E. Der Genfer rückt allerdings erst seit seinem Einstieg im vergangenen Jahr unter Schweizer Flagge aus. Zuvor, unter anderem während acht Saisons in der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft, startete er für Italien, das Heimatland seines Vaters. Im März feierte er in Hongkong seinen ersten Sieg in der Formel E. Mortara startet für die Equipe Venturi an der Seite des Brasilianers Felipe Massa. Teamleiterin ist seit einem Jahr die einstige Rennfahrerin Susie Wolff, die Frau von Toto Wolff, dem Chef des Formel-1-Rennstalls von Mercedes.
Zwei Schweizer im Feld von 22 Fahrern – eine sehr gute Quote für ein Land, in der die Sifferts und Regazzonis wohl noch lange die Ausnahme bleiben werden.