Die Begeisterung der PSG-Fans hält sich in Grenzen als Christophe Galtier am Dienstagnachmittag als Coach vorgestellt wird. Sie hätten lieber einen Trainer vom Format Zinédine Zidane an der Seitenlinie gesehen. Doch den Job hat sich Galtier verdient.
Seit die Kataris in Paris das Sagen haben, stehen grosse Namen an der Seitenlinie. Begonnen mit Carlo Ancelotti im Jahr 2012, gefolgt von Laurent Blanc, Unai Emery, Thomas Tuchel und zuletzt Mauricio Pochettino. Sie alle brauchte man bei ihrem Amtsantritt nicht gross vorzustellen, ihre Namen waren Fussball-Fans rund um den Globus längst bekannt. Aber sie alle haben eins gemeinsam: Keiner führte PSG zum lange ersehnten Triumph in der Champions League. Böse formuliert: Sie alle sind gescheitert, denn Titel in der Meisterschaft und im Pokal interessieren längst nicht mehr, die nimmt man einfach so mit.
Kann Galtier der Heilsbringer sein?
Hat Christophe Galtier das fehlende Puzzleteilchen im Gepäck? Was hat der denn schon geleistet? Die erste Frage wird sich Ende Saison beantworten lassen, die Antwort auf die zweite Frage lautet: Eine ganze Menge. Er bekam bislang schlichtweg nicht die Anerkennung, die er verdient hätte.
Und er passt zur neu ausgerufenen Philosophie des Vereins. «Wir wollen kein grelles Bling-Bling mehr, das ist das Ende des Glitzers», sagte PSG-Boss Nasser Al-Khelaifi kürzlich in einem Interview. Sie bräuchten Spieler, die es lieben würden, zu kämpfen und zu gewinnen. «Wir müssen wieder bescheiden werden», so die Kurzzusammenfassung.
Zurück zu Galtier. Der gebürtige Marseiller, der 14 Jahre lang ein solider Profi-Fussballer war, hat sich in den letzten zehn Jahren als einer der besten und konstantesten Trainer der Ligue 1 etabliert. Dabei war der Start in seine Trainerlaufbahn, die er 1999 lancierte, alles andere als optimal.
Prügelattacke wird zum Politikum
Am 7. April 2000 prügelte der damalige Assistenzcoach von Olympique Marseille in der Halbzeitpause Monaco-Spieler Marcelo Gallardo spitalreif. «Gallardo hat mich beleidigt und geschlagen. Ich habe mit einem Selbstverteidigungsreflex reagiert», verteidigte Galtier die unrühmliche Aktion. Doch der Fall wurde zum Politikum, die Sportministerin Frankreichs schaltete sich ein und schliesslich wurde der Trainer für sechs Monate gesperrt.
Trotz der Suspendierung arbeitete Galtier noch bis Mitte 2001 bei Olympique weiter, ehe seine Odysee begann. Der Reihe nach war er Co-Trainer bei Aris Saloniki, Bastia, Al-Ain, Portsmouth, Sochaux, Olympique Lyon und ab November 2008 bei AS Saint-Étienne. Sein Ziehvater war Alain Perrin, dem er mehrere Jahre assistierte. Als Perrin im Winter 2009 entlassen wurde, sprang er aus dessen Schatten und stieg erstmals zum Cheftrainer auf. Und er erfüllte seine Aufgabe, rettete den Verein vor dem Abstieg. Es war der Beginn einer mehrjährigen Romanze.
Der steile Aufstieg des Christophe Galtier
2012 holte er seine erste Trophäe als Trainer, mit Saint-Étienne gewann er den Ligapokal. Damit weckte er das Interesse grösserer Vereine, doch er hielt dem Verein, der ihm die Hand gereicht hatte, bis im Sommer 2017 die Treue.
Damals sagte er, dass er von Liverpool träume, ein Angebot von Newcastle lehnte er ab und unterschrieb schliesslich am 29. Dezember 2017 bei OSC Lille. Auch hier kam er als Retter. Er übernahm die Mannschaft von Marcelo Bielsa, als diese nach der Hinrunde auf dem Relegationsplatz stand. Am Ende schaffte er den Ligaerhalt.
Im Folgejahr wurde er mit Lille sensationell Vizemeister und schaffte damit die Qualifikation zur Champions League. In der Saison 2020/21 macht er das Unmögliche möglich, sein Team entthront PSG als Meister. In den acht Jahren zuvor hatte das einzig Monaco in der Saison 2016/17 geschafft.
Nach dem Triumph wechselt er im vergangenen Sommer zu Nizza und führt das Team auf Platz 4, zwei Punkte Rückstand auf Monaco, vier auf Marseille und 19 auf den überlegenen Meister PSG. Zudem erreicht er mit Nizza den Pokalfinal, den sein Team allerdings 0:1 gegen Nantes verliert. Ende Saison geht man getrennte Wege. Lille stürzt nach seinem Abgang übrigens ab und beendet die Meisterschaft im 10. Rang.
International noch nichts erreicht
All das spricht für die hervorragende Arbeit, die Galtier über all die Jahre geleistet hat. Auch hat er mit jeder seiner Mannschaften PSG mindestens einmal geschlagen.
Eins hat er aber noch nicht bewiesen, dass er auch auf internationalem Parkett funktioniert. Die einzige Teilnahme an der Champions League endete im Debakel. In der Gruppe mit Chelsea, Valencia und Ajax holte Lille in der Saison 2019/20 gerade mal einen Punkt. Zudem ist Galtier ein Charakterkopf. In Lille und zuletzt auch bei Nizza hatte er mit den Vereinsverantwortlichen das Heu nicht immer auf derselben Bühne und so endete die Zusammenarbeit jeweils nicht nach Drehbuch.
Das Lob ehemaliger Schützlinge
Unter den Spielern, die er gecoacht hat, geniesst er aber ein hohes Ansehen. Max-Alain Gradel, der bei Saint-Étienne unter ihm gespielt hatte, äusserte sich kürzlich in einem Interview mit der «L’Équipe» lobend über ihn: «Er ist sehr gut in der Führung von Menschen, weil er aufrichtig ist, viel an die Gruppe denkt und mit Egos umgehen kann. Er weiss, wie man mit einem Jugendlichen und einem Manager vor der Gruppe spricht. Er wusste, wie er uns Vertrauen geben konnte, er berücksichtigt die kleinen Details, insbesondere die Familie, er erkundigt sich nach Neuigkeiten.»
Ähnliche Töne schlug Joshua Guilavogui an, ein weiterer ehemaliger Schützling Galtiers: «Man klebt ihm das Etikett des Ausbilders an, aber er hatte Spieler mit Charakter, Payet, Aubameyang, Brandao ... Das sind Jungs, die aus der Masse herausstechen. Und so war es auch mit Burak Yilmaz oder Renato Sanches.» Natürlich seien Kylian Mbappé, Lionel Messi oder Neymar noch grössere Stars, «aber er hat diese Intelligenz, einen Spielplan durchzusetzen».
Und genau das ist nun die grosse Frage: Schafft es Galtier, auch die Superstars bei Laune zu halten? Zuzutrauen ist es ihm allemal. Und wenn er das schafft, dann ist der Triumph in der Königsklasse kein Ding der Unmöglichkeit.