Weihnachtsgeschichte Warum nicht jeder ein Köbi Kuhn oder Fritz Künzli sein kann

Von Tobias Benz

24.12.2019

Haben uns im Dezember 2019 für immer verlassen: Die Schweizer Fussball-Helden Köbi Kuhn und Fritz Künzli (rechts). 
Haben uns im Dezember 2019 für immer verlassen: Die Schweizer Fussball-Helden Köbi Kuhn und Fritz Künzli (rechts). 
Bild: Keystone

Endlich Weihnachten! Es sind Feiertage und alles ist schön und gut. Fast alles. Eine Sportgeschichte zum Nachdenken.

2019, ein Tag kurz vor Weihnachten. Im Zentrum der Stadt herrscht ein reges Treiben. Überall irren Menschen umher und suchen verzweifelt nach den letzten Weihnachtsgeschenken für ihre Liebsten. Alle sind sie so sehr auf sich selbst konzentriert, dass der alte Mann niemandem auffällt. Er sitzt auf einer Bank neben einem grossen Baum mitten auf dem Platz. Mit zufriedenem Blick beobachtet er zwei Jungs beim Fussballspielen.

Die beiden Burschen jagen einen alten Lederball durch die Marktstände und scheinen sich dabei nicht im Geringsten für all die gestressten Leute ringsum zu interessieren. Immer wieder stossen sie mit umherirrenden Passanten zusammen oder straucheln über Kisten mit dargebotenen Weihnachtsleckereien. Das mag vielleicht dem alten Mann auf der Bank eine Freude bereiten, dem Verkäufer am Glühweinstand ist das Treiben aber schon bald ein Dorn im Auge.

Als der Ball abermals mit einem lauten Krachen gegen die Seitenwand seines Wagens knallt und er den einen Jungen laut «Toooor» schreien hört, platzt ihm der Kragen. Gerade als sich die beiden «Krawallmacher» aus dem Staub machen wollen, tritt er aus seinem Stand heraus, schnappt sich das Spielgerät und sperrt es weg. Nachdem sie sich ein paar Mal laut aber erfolglos über die Ungerechtigkeit beklagen, ziehen die Burschen mit gesenkten Köpfen von dannen.

«Glauben Sie, ich kann auch einmal so gut spielen wie er?»

Sie setzen sich auf die Bank neben dem grossen Baum und starren mit leerem Blick auf die Menschenmenge. Der alte Mann wäre ihnen gar nicht aufgefallen, hätte er nicht immer wieder geräuschvoll in seiner Zeitung geblättert. Auf der Rückseite war ein grosses Bild von Köbi Kuhn und Fritz Künzli zu sehen. Darüber stand in grossen schwarzen Buchstaben: «Die Schweiz verliert zwei ihrer grössten Fussball-Legenden».

«Kannten Sie den?», fragt einer der Jungs und zeigt mit seinem Finger auf Köbi Kuhn. Der alte Mann schmunzelt und sagt: «Ja natürlich. Jeder kannte ihn. Er war einer der besten Fussballer, der jemals für die Schweiz gespielt hat. Bald wird es einen Platz geben, der seinen Namen trägt.» Die Augen der beiden Kinder werden gross. «Aber wie ich gesehen habe, könnt ihr auch richtig gut Fussball spielen.»

Die Jungs seufzen und blicken traurig in Richtung Glühweinstand. Es wird kurz still und dann zeigt einer der beiden Fritz Künzli und fragt: «Glauben Sie, ich kann auch einmal so gut spielen wie er?»

«Aber klar doch», sagt der alte Mann, überlegt dann kurz und fragt: «Wie lautet dein Name?»

«Ich heisse Leon», antwortet der Junge.

«Leon, wenn du alles dafür gibst und es auch wirklich willst, dann wird irgendwann auch dein Name in der Zeitung stehen. Da bin ich mir ganz sicher», sagt der alte Mann überzeugt. Leon grinst.

«Und ich? Wird mein Name auch irgendwann in der Zeitung stehen?», schiesst es aus dem anderen Jungen heraus.

«Wie lautet denn dein Name?» fragt der alte Mann.

«Abdul Abubakar», sagt der Junge etwas leiser. «Meine Mutter sagt, dass mein Name nur in den bösen Zeitungen steht.»

Der alte Mann runzelt die Stirn. Dann legt er seine Zeitung beiseite und meint: «Das Schöne am Fussball ist, dass er uns alle verbindet. Es spielt keine Rolle, woher du kommst, oder wie du heisst. Das Wichtigste ist, dass man es gemeinsam spielt, in einer Mannschaft. Nehmt euch ein Beispiel. Ihr habt vorhin nur auf euch beide geachtet. Deshalb hat euch der Mann am Glühweinstand den Ball weggenommen. Aber Fussball ist ein Teamsport. Es müssen immer alle einbezogen werden. Nur so ist man erfolgreich.»

Alle sind glücklich und vergnügen sich den ganzen Abend ... fast alle

Die Augen der beiden Kinder leuchten und schon bald irren sie auf dem Markt umher, um zwei Mannschaften zusammenzustellen. Es dauert keine zwei Minuten. Auch der Sohn des Glühweinverkäufers spielt mit und so erhalten sie den Ball sofort wieder zurück. Es ist eine bunt gemischte Truppe, die nun auf der kleinen Wiese vor dem Baum den Ball hin und her kickt. Ältere und jüngere Burschen, Dunkelhäutige und Weisse, Grosse und Kleine, Dicke und Dünne. Alle sind integriert und als der Einkaufsstress ein wenig nachlässt, gesellen sich auch immer mehr Passanten hinzu, bis irgendwann der ganze Platz voller Leute ist, die dem Spektakel zusehen. Alle sind glücklich und vergnügen sich den ganzen Abend. Fast alle.

Auf der anderen Strassenseite lehnt eine kleine Gestalt im Schatten einer Hauswand und schaut missmutig in Richtung des Getümmels. Geschickt jongliert sie mit den Füssen eine leere Getränkedose. Lediglich der alte Mann bemerkt sie und wundert sich, wieso sie nicht zum Fussballspiel eingeladen worden war. Sie kann mindestens genauso gut kicken wie alle anderen. Ganz kurz wird ihr Gesicht von der Strassenlaterne erhellt und der alte Mann erkennt wieso. Ihr Name steht nicht in Zeitungen und nach ihr wird auch keine Plätze benannt. Denn sie ist anders.

Sie ist ein Mädchen.


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