Der Schweizer Fussball hat ein Nachwuchs-Problem, deshalb machen sich Alex Frei, Nati-Direktor Pierluigi Tami und Patrick Bruggmann, Direktor Fussballentwicklung, für eine Vergrösserung der höchsten Schweizer Ligen stark. Aber auch im Umgang mit den Spielern gilt es, den Hebel anzusetzen.
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- Hilfe, uns gehen die Nati-Stars aus. Wie will die Schweiz wieder mehr und bessere Nachwuchsspieler mit Schweizer Pass ausbilden? Darüber diskutieren Nati-Direktor Pierluigi Tami, Patrick Bruggmann, Direktor Fussballentwicklung und blue Sport Experte und Ex-Nati-Star Alex Frei.
- Die Aufstockung der höchsten beiden Ligen steht dabei im Vordergrund. Aber auch der Umgang mit den Nachwuchsspielern selbst gibt zu Reden.
- Bei Alex Frei «läuten immer Alarmglocken», wenn er den Begriff Talent hört und Patrick Bruggmann meint, dass man den Spielern viel zu viel abnehme und letztlich die so wichtige Resilienz auf der Strecke bleibe.
Pierluigi Tami sagt, dass er von Spielern, die ins Ausland wechseln immer wieder höre, dass das Training sehr intensiv sei. Eine Aussage, die er nicht so stehen lassen möchte. Denn in der Schweiz werde auch hart trainiert, doch aufgrund der geringeren Konkurrenz seien vielleicht nicht alle bereit, an ihre Grenzen zu gehen. Und so würden nicht alle Spieler die nötige Winnermentalität mitbringen. Dass der Schweizer Weg funktioniere sehe man ja immer wieder bei jenen Spielern, die den Sprung ins Ausland schaffen würden.
Alex Frei: «Das rächt sich in Zukunft»
Alex Frei sieht noch ein weiteres Problem, das bereits Spieler in jungen Jahren tangiert. «Wir hören vielmals das Wort Talent. Wir geben heute einem 14-, 15-Jährigen schon eine gewisse Portion Wichtigkeit, der die Wichtigkeit gar nicht haben dürfte.» Der Mensch sei selbstverständlich wichtig, aber nicht der Spieler. «Aber man sagt heute einem 15-Jährigen, du bist ein Talent. Intern im Klub taxiert man, der ist ein Supertalent, der ist ein Talent, die haben aber noch gar nichts erreicht. Das gibt plötzlich eine Wichtigkeit, nicht nur ihm selbst, sondern auch im ganzen Umfeld, die gar nicht nötig ist», so Frei.
Der beste Spruch für ihn sei jener von der 2016 verstorbenen Fussballer- und Trainer-Legende Johan Cruyff gewesen, der gesagt habe: «Der Mitläufer von heute ist der Überflieger von Morgen, oder kann es zumindest sein.» Nach diesem Spruch habe er auch ausgebildet, so Frei. Sein Ziel sei es immer gewesen, jeden einzelnen Spieler besser zu machen und ihm zum nächsten Schritt zu verhelfen. Jedem, nicht ein paar Ausserwählten.
Denn das Problem sei, dass viele Spieler, vor allem aber auch das Umfeld, gar nicht damit umgehen könne, wenn man sie jemanden als Talent betitle. Frei findet: «Also reden wir doch einfach von Spielern und dann schauen wir mal, wo du hinkommst. Helfen, begleiten, absolut richtig. Aber hören wir damit auf, immer eine grosse Wichtigkeit zu geben.» Das Potential sei immer nur eine Wunschvorstellung, der Ist-Zustand eine Tatsache. Bei ihm «läuten immer alle Alarmglocken», wenn er von Talenten höre. «Und das rächt sich in Zukunft», ist sich Frei sicher.
Bruggmann: «Sie müssen gar nicht mehr selber denken»
Patrick Bruggmann, als Direktor Fussballentwicklung ein absoluter Fachmann auf dem Gebiet des Nachwuchsfussballs, sieht noch ein weiteres Problem. «Die Resilienz in der Entwicklung eines Spielers ist unglaublich wichtig. Und wir haben im Moment in der Nachwuchsförderung die Tendenz, dass wir sie eher zu Unselbstständigkeit erziehen, weil wir nehmen ihnen alles ab. Kaum kommt ein Widerstand, findet man irgendwie eine Lösung oder der Spieler sagt: ‹Hier passt es mir nicht und ich gehe.› Dieser Aufbau von Resilienz ist ein ganz wichtiges Kriterium, um Leistung erbringen zu können.»
Je weiter hoch man komme, umso mehr werde für die Spieler gemacht, so liege etwa das Shirt in der Garderobe bereit und so weiter: «Sie müssen gar nicht mehr selber denken. Und das ist für mich dann irgendwodurch auch ein Problem auf dem Platz», so Bruggmann. Inwiefern? «Man verlangt von ihnen, dass sie kreativ sind, dass sie schnell Entscheidungen treffen. Aber im Training nehmen wir ihnen alles ab und es wird gesagt, du musst in der Situation das und das machen. Da geht irgendwodurch die Kreativität verloren.» Auch die Verantwortung, die ein Spieler für seine persönliche Entwicklung habe, werde so nicht gefördert. «Und dann erziehen wir eben Spieler, die gar nicht mehr bereit sind, die Verantwortung für ihr handeln zu übernehmen. Sie haben nicht die Resilienz, die sie brauchen. Kaum kommt irgendetwas, das nicht passt, ja, dann sind sie einfach weg.» Daran etwas zu ändern, liege aber in der Verantwortung er Entscheidungsträger.