Katar 2022 Proteste, aber kein Boykott – warum keine Nation der WM fernbleiben will

Von Jan Arnet

28.3.2021

Die deutsche Nationalelf protestiert gegen die Menschenrechtslage im WM-Gastgeberland Katar.
Die deutsche Nationalelf protestiert gegen die Menschenrechtslage im WM-Gastgeberland Katar.
Bild: Keystone

Europäische Fussballstars protestieren zum Auftakt der Kampagne zur WM 2022 in Katar gegen die Menschenrechtslage beim Austragungsort des Finalturniers. Viele Fans werfen den Fussballern aber Heuchelei vor und fordern einen Boykott. Doch würde ein solcher das Problem wirklich lösen?

Von Jan Arnet

Die Norweger um Shootingstar Erling Haaland setzten am Donnerstag ein klares Zeichen. Vor ihrem Auftaktspiel in der WM-Qualifikation (3:0-Sieg in Gibraltar) trugen sie T-Shirts mit der Aufschrift «Human rights – On and off the pitch» (Menschenrechte – auf und neben dem Platz). Adressat waren natürlich die WM-Organisatoren in Katar, welche von den Norwegern die stille Botschaft erhielten, dass die Menschenrechtslage in ihrem Land im Argen liegt. 

Beim Bau der acht neuen WM-Arenen sind einem Bericht des «Guardian» zufolge mittlerweile rund 6500 Gastarbeiter gestorben. Sie sollen wegen zu geringen Arbeitsschutzmassnahmen ums Leben gekommen sein. Katar bezeichnet diese Zahl zwar als «irreführend» und FIFA-Präsident Gianni Infantino sagt, es wären seit 2014 lediglich drei Arbeiter gestorben. Dennoch gab bereits vor zwei Wochen der niederländische Rasenlieferant Hendriks Graszoden bekannt, dass er auf den Millionenauftrag aus Katar verzichten wird. 



Nach den Norwegern zogen in Europas WM-Qualispielen weitere Nationalmannschaften nach. Die Deutschen etwa trugen bei ihrem 3:0-Sieg gegen Island ebenfalls Shirts mit der Aufschrift «Human Rights». Allerdings kam die Botschaft nicht bei allen Fans gut an. In den sozialen Medien bezeichnen viele Fans das Verhalten der Fussballstars als heuchlerisch, sie fordern stattdessen das strikte Fernbleiben der WM. 

«Es gibt nichts, was es rechtfertigen könnte, die Menschenrechtsverletzungen in Katar hinzunehmen, ja, gar durch die Teilnahme am Turnier wissentlich, billigend zu unterstützen. Wir fordern den DFB auf, die Teilnahme an der WM in Katar abzusagen», erklärt etwa die deutsche Fan-Vereinigung «ProFans» in einer Mitteilung. In Norwegen hatten sich sogar Top-Klubs wie Tromsö IL oder Rekordmeister Rosenborg Trondheim sowie weitere Vereine und Fan-Organisationen für einen Boykott der WM in Katar ausgesprochen.

SFV-Boss Blanc: «Wir zählen auf Dialog»

Freiwillig auf die WM-Teilnahme verzichten will zumindest bislang aber keine Nation. Auch die Schweiz nicht. «Wir zählen auf Dialog und nicht auf Boykott. Wir wollen uns über den Dialog mit Amnesty International und mit der FIFA aktiv für die Einhaltung der Menschenrechte und für die Verbesserung der Rechte der Arbeiter einbringen und unseren Einfluss geltend machen», zitiert «SRF» den SFV-Präsidenten Dominique Blanc. «Die Teilnahme an einer Veranstaltung irgendwo auf der Welt bedeutet nicht, dass wir unmoralische oder illegale Praktiken unterstützen.»

Der Deutsche Fussball Bund schreibt in einer Stellungnahme an «sportschau.de»: «Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde von keinem Land aus politischen Gründen eine einzige WM-Endrunde boykottiert. Wir erachten es daher als nicht sinnvoll, das Turnier zu boykottieren.»

Deutschlands Bundestrainer Joachim Löw meint vor dem Spiel am Sonntag gegen Rumänien: «Ein Boykott hilft niemandem. Man kann mit so einem Turnier Aufmerksamkeit in der ganzen Welt erzeugen und Dinge in die richtige Richtung bringen.» Auch Joshua Kimmich würde eine Absage nicht begrüssen: «Jetzt muss man die Gelegenheit nutzen, aufmerksam zu machen.» Der Fussball habe schliesslich die nötige «Strahlkraft», um etwas zu verändern, so der 26-jährige Bayern-Profi. 

«Football Supports Change» steht auf den Shirts der Holländer vor dem Spiel gegen Lettland.
«Football Supports Change» steht auf den Shirts der Holländer vor dem Spiel gegen Lettland.
Getty Images

Gleicher Ansicht sind die Niederländer, die am Samstag vor ihrem Spiel gegen Lettland (2:0) Shirts mit der Aufschrift «Football Supports Change» (Fussball unterstützt Wandel) tragen. Man wolle damit «Freiheit, Toleranz und Inklusion» unterstützen. «Der Fussball sollte Wandel unterstützen. Auch in Katar. In Katar wollen wir Weltmeister werden, aber nicht, ohne über den Tellerrand zu schauen», heisst es in einer Erklärung der neuen Bewegung.

Auch Amnesty International ist gegen Boykott

Einen WM-Boykott begrüsst auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nicht. «Wir haben noch nie einen Boykott gefordert. Wir setzen auf Aufdeckung und Sichtbarmachung der Missstände und den Dialog mit allen Beteiligten», erklärt Regina Spöttl, Katar-Expertin bei Amnesty International Deutschland, gegenüber «watson.de». «Katar hat sich durchaus gesprächsbereit gezeigt und Reformen angestossen.»

Ein Boykott könnte die Lage der Arbeitsmigranten womöglich nur verschlimmern. So gab es in den vergangenen Jahren Fälle, in denen eine Firma keine Arbeit mehr hatte, und die Arbeitsmigranten ohne Pässe, ohne Aufenthaltsgenehmigung und ohne Geld im Land zurückgelassen wurden. Spöttl: «Es gibt Fortschritte und mit einem Boykott würden diese um Jahre zurückgeworfen werden.»

Auch Kimmich ist der Meinung: «Für einen Boykott sind wir zehn Jahre zu spät dran.» Der Mittelfeldspieler spielt damit auf die skandalumwitterte WM-Vergabe im Dezember 2010 an. Die Katar-WM ist für die FIFA die letzte grosse Altlast aus der Zeit des Ex-Präsidenten Sepp Blatter. Sein Nachfolger Gianni Infantino sah es nicht als seine Aufgabe an, die Entscheidung der Vergabe zu korrigieren.

In der aktuellen Debatte hält der Weltverband noch still und wendet seine klaren Regularien, die politische Statements bei Spielen verbieten, nicht an. In Zürich wie in Doha weiss man, dass eine Intervention einen stärkeren Sturm der Entrüstung provozieren würde. Noch taucht das Wort Katar auch auf keinem Spieler-Outfit auf.