Geisterspiele oder Abbruch? Lia Wälti, Captain der Schweizer Frauen-Nationalmannschaft und bei Arsenal unter Vertrag, hofft auf einen baldigen Entscheid – und plädiert für ein vorzeitiges Saisonende.
Seit Februar ruht in der Women's Super League in England der Ball, ob die Saison wieder aufgenommen wird, ist wie in so vielen Ligen in Europa noch nicht entschieden. Lia Wälti wäre froh, wenn bald Klarheit herrschen würde: «Zwei Monate zu trainieren und man weiss nicht wofür, ist schwierig.»
Eine Fortsetzung des Spielbetriebs sieht die 27-jährige Bernerin kritisch. «Tausende von Pfund, Euro oder Franken auszugeben für Tests, die andere Leute brauchen könnten, nur um weiterzuspielen?» Für die 84-fache Schweizer Internationale ist klar: «Der Fussball ist zur Nebensache geworden. Die Gesundheit ist das Wichtigste.»
Wie in der Super League ist auch in der englischen Frauen-Meisterschaft die Wiederaufnahme des Spielbetriebs aufgrund tiefer TV-Einnahmen ein Verlustgeschäft. Aber auch den Planspielen zur Fortsetzung der Premier League der Männer gewinnt Wälti kaum Positives ab – wohl wissend, dass weitere finanzielle Einbussen bei Arsenal die Frauen-Abteilung der «Gunners» direkt zu spüren bekäme. Illusionen macht sich Wälti keine. Es sei eine «kranke Welt», das Geld regiere den Fussball. «Aber wäre es so schlimm, wenn ein Spieler anstatt 200 Millionen nur noch 50 Millionen wert wäre?»
Angst vor Überbelastung
Spätestens am 25. Mai will die FA entscheiden, ob die Saison bei den Frauen abgebrochen oder mit Geisterspielen zu Ende gespielt wird. Sieben Partien vor Schluss liegt Titelverteidiger Arsenal hinter Manchester City und Chelsea (mit Ramona Bachmann) auf Platz 3. In der Champions League steht Arsenal in den Viertelfinals. «Als Team wollen wir spielen, weil wir zumindest Platz 2 und die Champions League erreichen wollen», sagt Wälti. «Mir persönlich wäre es aus gesundheitlichen Gründen aber lieber, wenn die Saison abgebrochen wird.»
Eine Knieverletzung hatte Wälti 2019 mehrere Monate ausser Gefecht gesetzt, zu Beginn des Lockdowns laborierte die defensive Mittelfeldspielerin noch an einem Sehnenriss im hinteren Oberschenkel. Die körperliche Belastung bei einer Wiederaufnahme der Saison mit lauter englischen Wochen wäre gross. Und der Kalender im Frauenfussball kündigt sich als dicht gedrängt an. 2021 ist das Olympia-Turnier geplant, 2022 die EM in England, 2023 die nächste WM.
Mit dem Leben im Lockdown hat sich Wälti in ihrem Wohnort St. Albans im Norden Londons arrangiert. Sie unternimmt ausgedehnte Spaziergänge, telefoniert mit Freunden und Familie, lernt Sprachen und widmet sich wie viele Arsenal-Spielerinnen vermehrt dem Kochen und Backen. «Das Frühstück ist zu meiner Lieblingsmahlzeit geworden», so Wälti. Pancakes hat sie in verschiedenen Varianten probiert, gelegentlich beglückt sie ihre Teamkolleginnen mit einer Rüeblitorte.
Wältis Schwester Meret, die in London studiert, kehrte im März zu den Eltern ins Emmental zurück, als neue Mitbewohnerin zog Teamkollegin Caitlin Foord in die Wohnung ein. «Es klappt überraschend gut», sagt Wälti. «Aber die Situation ist so speziell, dass wohl alle froh sind, wenn sie nicht alleine sind.» Mit der Australierin, die Anfang Jahr zu Arsenal stiess, trainiert Wälti dreimal pro Woche auf dem Platz mit dem Ball, an den anderen drei Trainingstagen wird zuhause mit Jogging und Krafttraining an der Fitness gearbeitet.
Corona-Fälle in der Familie
Den Entscheid, während des Lockdowns in London zu bleiben, hat Wälti bewusst getroffen. «Ich wusste, auf was ich mich einlasse, auch wenn ich zu Beginn – wie wohl viele – das Ganze unterschätzt habe.» Durch die Pandemie und die Ungewissheit, wann, wie und in welcher Form es weitergeht, liess sie sich nicht verrückt machen. «Ich konnte die Situation gut annehmen.» Um das Ganze nicht zu sehr an sich ran zu lassen, verabschiedete sich auch davon, jeden Tag die News zu lesen. «Ich halte mich an die Regeln, lebe aber mein Leben weiter.»
Mit dem Virus und der Krankheit Covid-19 wurde Wälti direkt konfrontiert. Sie vermutet, dass fünf bis sechs Teamkolleginnen das Virus erwischt haben, ihre Mutter wurde positiv getestet. Auch der Vater und die Schwester verzeichneten Symptome, die auf eine Erkrankung hindeuten; extreme Müdigkeit, Verlust des Geschmackssinns, Atemprobleme. Diese hätten am meisten Angst ausgelöst, so Wälti. «Trotzdem habe ich mir keine allzu grossen Sorgen gemacht, weil ich immer gewusst habe, wie sie sich fühlen.» Inzwischen sind alle wieder gesund.
Trotz des Leids und der Schwierigkeiten, welche die Pandemie auslöst, gewinnt Wälti der Situation auch Positives ab: «Die Leute in den Strassen sind viel entspannter. Sie können endlich einmal runterfahren.» Sie selbst hat ihren Rhythmus gefunden und geniesst den neuen Alltag durchaus. «Ich freue mich aber schon darauf, wieder einmal unbeschwert Leute zu treffen und Dinge zu unternehmen, ohne zu überlegen, an was man sich alles halten muss.»
SDA