Eine der bekanntesten Fussball-Stimmen kehrt zurück in die Kommentatoren-Box: «Bluewin» hat mit Marcel Reif über sein Comeback, den Fussball und seine ewige Faszination für das Spiel mit dem runden Leder gesprochen.
Marcel Reif, Sie stehen vor Ihrem Comeback als Fussball-Kommentator. Am 12. Februar spielt Manchester United gegen PSG. Sind sie angespannt?
Selbstverständlich. Aber nicht wegen des Comebacks. Sonst würde ich es nicht machen, weil ich das Gefühl hätte, dass es nicht klappen würde. Ich spüre immer Anspannung vor solchen Dingen. Das ist ja schlicht ein grossartiges Spiel und es geht um etwas. Das ist die Art von Anspannung, die ich brauche.
Keine Angst, dass irgendetwas schief gehen könnte?
Sie meinen, dass etwa ein Tor umfallen könnte? Schlimmer kann es nicht kommen als damals 1998. Aber das liegt in Gottes Händen. Für mich persönlich wäre am fatalsten, wenn etwas auf dem Platz passiert, was ich nicht erklären kann.
Wie kommt es zu Ihrem Comeback? 2016 sollte doch eigentlich Schluss sein.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Ich wurde angefragt und habe Ja gesagt. Ich habe keinen Grund, es nicht zu tun. Ich bin da niemandem Rechenschaft schuldig. Ich spüre aber auch eine grosse Vorfreude, wieder Fussballspiele zu kommentieren. Nette Begleiterscheinung: Ich darf die Spiele auswählen, über die ich reden möchte.
Ein schönes Privileg.
Zweifelsfrei. Vielleicht habe ich mir das verdient. Es sind insgesamt neun Spiele, die ich bis und mit Endspiel der Champions-League-Saison begleite. Da ist der Final, den wir am 1. Juni in der Schweiz exklusiv auf Teleclub Zoom im Free TV zeigen, eingerechnet.
Sie begleiten die Schweizer Super League als TV-Experte von Teleclub. Nun hört man Sie auch wieder in der Königsklasse. Inwiefern bereitet man sich als Experte und Kommentator anders vor?
Als Kommentator begleitest du eine Partie in Echtzeit. Als Experte bereitest du dich völlig anders vor. Du informierst dich zwar auch über die Teams, nutzt dein Netzwerk und machst dir Gedanken, was du thematisieren möchtest. Aber analysieren musst du da zur Pause und nach dem Schlusspfiff. Und zwar das Geschehene. Ein Spiel zu kommentieren ist eine ganz andere Disziplin, die Vorbereitung ist viel intensiver und der Ausgang gänzlich unvorhersehbar.
Das bedeutet?
Du musst permanent an den Teams dran sein, schaust dir alle ihre Spiele an, studierst Statistiken. Sobald du deine Begegnung kennst, achtest du noch mehr auf diese Klubs. Bestenfalls machst du auch von deinen Kontakten Gebrauch, um noch mehr über die Mannschaft zu erfahren.
Konkret etwa von PSG-Trainer Thomas Tuchel?
Ja, man kennt sich. Aber alles erfährst du natürlich auch von einem Trainer nicht. Der weiss ja auch nicht, wie das Spiel laufen wird. Aber wenn du ihm vor dem Anpfiff noch ein paar Fragen stellen kannst, ist das durchaus hilfreich.
Andere Informationsquellen?
Mir ist wichtig, dass ich mit den Leuten spreche, wenn ich irgendwo hinkomme. Ein Taxifahrer, ein Verkäufer oder ein Restaurantbesitzer gibt dir Informationen, die du vorher vielleicht noch nicht gekannt hast. Der Trainer sagt dir nur, was er dir sagen will. Andere geben dir ihre Meinung ungefiltert. Natürlich sind die Quellen in der Wertigkeit nicht zu vergleichen, aber du kannst von beiden Seiten profitieren, was deine Arbeit betrifft.
Die Vorbereitung ist also die halbe Miete?
Bloss nicht. Am Ende darf auf dem Platz wie eingangs erwähnt nichts passieren, was ich nicht erklären kann. Nur darum geht es. Der Rest ist das Spiel selbst. Wenn du jung bist, läufst du Gefahr, dich so auf eine Partie vorbereiten zu wollen, dass du sie selbst spielen könntest. Ist mir auch passiert, aber da fehlt dir dann die Leichtigkeit, die so zentral ist.
Aber die Ausgangslage ist heute eine andere als vor zehn oder 20 Jahren. Es gibt deutlich mehr Quellen, etwa die Social-Media-Kanäle der Spieler. Nutzen Sie diese auch?
Nein, null Relevanz ... im Normalfall. Aber es gibt Ausnahmen. Wenn Franck Ribéry etwa die Zufuhr eines vergoldeten Steaks zelebriert und die Öffentlichkeit tagelang darüber diskutiert. Da muss man sich dann fragen, wenn der Franck schlecht spielt: «Hat die Debatte Auswirkungen auf seine Leistung?» Ansonsten ist mir eigentlich egal, was die Spieler essen, welche Frisuren sie tragen oder wie sie tanzen.
Sie haben mehr als 1500 Spiele kommentiert. Erklären Sie uns: Was muss ein Kommentator tun, um den Zuschauern zu gefallen? Muss er das überhaupt?
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er mit dem, was er tut, gefallen möchte. Es wäre lachhaft, wenn ich sagen würde, dass es anders wäre. Am kommenden Dienstag spielt eine englische Mannschaft gegen eine französische. Die Ausgangslage wäre aber anders, wenn ein Schweizer Team involviert wäre. Ohne blind zu werden, drückt man natürlich ein wenig der Schweizer Mannschaft die Daumen – und das darf man auch ansatzweise hören.
Sie setzen also die Brille jenes Vereins auf, für dessen Land sie gerade kommentieren?
Natürlich nicht. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen der, sagen wir, «YB-Brille» und dem Daumendrücken. Die Brille darfst du nie anziehen, du musst kommentieren, was du siehst: Ein Foul ist ein Foul, ein Elfer ist ein Elfer. Aber du freust dich selbstverständlich, wenn ein Team mit einem Bruchteil des Etats des Gegners ein Tor macht.
Wann ist ein Kommentator zu sehr Fan?
Die Grenze ist in dem Moment überschritten, wo jeder sieht, dass es ein Penalty war, nur der Kommentator sagt nichts. Wenn das passiert, kannst du eigentlich zusammenpacken.
Sind Sie selber schon einmal in die Situation geraten, wo Sie zu sehr Fan waren?
Bei mir war eher das Gegenteil der Fall. Als ich Kaiserslautern, meinen alten Klub, in der Champions League kommentierte, wusste ich: Das wird verdammt schwierig. Ich war viel zu kritisch mit den Spielern. Weshalb? Ich hatte Angst, dass man mir Parteilichkeit vorwerfen könnte.
Was will denn der Zuschauer überhaupt: Insiderwissen? Statistiken? Analysen? Will er hören, was er sieht?
Alles davon – und nichts. Ein Beispiel: Ich bin kein Anhänger endloser Statistiken, aber wenn eine Mannschaft zehn Tore nach einem Eckstoss erhält, dann muss das gesagt werden. Ich bin ein grosser Liebhaber des Fussballs, mit diesem Anspruch bin ich immer gut gefahren. Und ich stelle mir die Frage: Würde mich diese Information selber interessieren? Wenn ja, bringe ich sie, ansonsten verzichte ich darauf.
Lassen sich Pointen, Souplesse oder Wortwitz einstudieren?
Natürlich, aber einstudierte Formulierungen sind zum Scheitern verurteilt. Wenn du einen guten Tag hast und es fallen dir zwei, drei intelligente und witzige Formulierungen ein, dann ist das wunderbar. Aber einstudieren: schwierig. Das hört man sofort. Mein Job ist es, informativ zu unterhalten und unterhaltend zu informieren.
Muss ein Kommentator aus einem Grottenkick ein zumindest ansehnliches Fussball-Spiel machen können?
Völlig unmöglich und der Ansatz ist idiotisch. Das musste ich in jungen Jahren ebenfalls lernen. Ich bin zunächst kläglich gescheitert. Es ist viel anspruchsvoller, ein schlechtes Spiel zu kommentieren als einen Kracher. Bei einer schwachen Partie musst du erklären, weshalb sie eben schlecht ist. Das ist viel komplizierter als nach einem Fallrückzieher «Ui-Ui-Ui» zu schreien. Gerade wenn zwei starke Mannschaften weit hinter den Erwartungen bleiben, dann will der Zuschauer hören, weshalb das so ist.
Die beste Partie, die Sie jemals kommentiert haben?
Das ist immer die nächste. Also United gegen Paris.
Ernsthaft?
Ja, weshalb sollte ich sonst dahin gehen, wenn ich denken würde, dass ich das Beste schon gesehen habe?
An welche Partie erinnern Sie sich, die eigentlich zum Vergessen war?
An so manche. Deshalb habe ich sie wohl auch vergessen. Mir geht es dabei nicht primär um den Stellenwert einer Partie, sondern ich messe die Leistung immer an dem Versprechen. Ich kann mich an einem Juniorenspiel, wo Leidenschaft und Einsatz gezeigt werden, mehr erfreuen, als an einem Hinspiel in einem Champions-League-Halbfinal, wo gemauert wird und keiner etwas wagt. In dieser Hinsicht bin ich immer noch ein kleiner Junge, der anderen einfach gerne beim Fussballspielen zusieht.
Wie gehen Sie mit Kritik um?
Ich weiss ja, dass ich mit meiner Arbeit in der Öffentlichkeit stehe. Und ich bin mir bewusst, dass ich bei einem Zürcher-Derby mit einer positiven Aussage über GC die FCZ-Anhänger vielleicht verärgere. Und fünf Minuten später ist es umgekehrt. Was ich damit sagen will: Es gibt nicht ‘deine’ Fan-Gemeinde und der Fussball-Zuschauer ist per se parteiisch, was auch sein gutes Recht ist, solange er anständig bleibt. Vor diesem Hintergrund kann ich ganz gut mit Kritik umgehen. Denn der Punkt ist: Ich bin nicht Fan, sondern Fan von schönem Fussball. Sie werden mir nie einen Klub nennen können, für den ich mich mehr begeistern würde als für einen anderen, nur weil es eben dieser Klub ist.
Zurück zu United – PSG: Wer hat die besseren Karten?
Ohne den verletzten Neymar wird das nicht ganz so einfach für PSG. Was auch immer man von ihm hält, er ist einer der besten Spieler der Welt. Und ich denke da so wie früher auf dem Pausenhof: «Ohne ihren besten Spieler sind sie schlechter.» Auf der anderen Seite hast du mit Manchester United ein Team, das nach der Mourinho-Entlassung mit der Ad-Interimslösung Ole Gunnar Solskjaer die ersten acht Spiele gewinnen konnte und Paul Pogba blüht auf, wie die Lilien im Frühsommer. Das sind schon Geschichten. Im Moment sehe ich gar leichte Vorteile bei United.
Wer gewinnt die Champions League?
Einer der üblichen Verdächtigen. Barcelona hinterlässt einen starken Eindruck. Manchester City und Liverpool stehen derzeit für das Beste aus der Premier League. Real Madrid? Schreib mir bloss die alten Herren nicht ab. In der Champions League sind die lebensgefährlich – für jeden. PSG gehört mit einem fitten Neymar sicher auch dazu.
Juventus Turin?
Ja, das mit Ronaldo funktioniert, das haben wir gesehen. Ich zähle sie sicher auch zum engen Favoritenkreis.
Bayern München?
Nicht in diesem Jahr.
Der beste Trainer in der Champions League?
Ich habe nicht den einen speziellen Lieblingstrainer. Klopp, Tuchel, Guardiola – die haben alle ihre Stärken. Ich bevorzuge jeweils den Coach, der am meisten aus seinem Personal rausholt – und es noch ein bisschen besser macht.
Über Marcel Reif
Marcel Reif ist Schweizer Sportjournalist und TV-Kommentator, der seine deutsche Staatsbürgerschaft 2013 abgelegt hat. Fernsehzuschauer kennen ihn als langjährigen Fussball-Kommentator bei RTL, Sky, ZDF und Sat 1. Seit Sommer 2017 ist er für den Sport-Sender Teleclub tätig und wird in der neuen Saison neben der Raiffeisen Super League auch die UEFA Champions League als Experte und Kommentator begleiten. In der K.o.-Phase kommentiert Reif neun Partien – inklusive Finale, das exklusiv auf Teleclub Zoom im Free-TV zu sehen sein wird. Marcel Reif ist 69 Jahre alt, hat drei Söhne und wohnt in Rüschlikon / ZH. Er analysiert das Fussballgeschehen in loser Folge auch auf bluewin.ch