«Ich schreibe mit den Spielern selbst» Fabrizio Romanos kometenhafter Aufstieg zum Transfer-Guru

Von Tobias Benz

24.6.2022

Vielleicht die beliebteste Figur im ganzen Fussballgeschäft: Fabrizio Romano.
Vielleicht die beliebteste Figur im ganzen Fussballgeschäft: Fabrizio Romano.
Bild: Getty

Fabrizio Romano ist erst 29 Jahre alt, für zahlreiche Fussballfans aber längst eine Legende. Dabei kickt der Italiener selber gar nicht, er schreibt nur darüber. Wie kein Zweiter.

Von Tobias Benz

«Here we go!» – ein simpler Satz, der bei Fussballfans weltweit massive Pulsschwankungen verursachen kann. Urheber dieser Kreislaufproblematik ist der italienische Fussballjournalist Fabrizio Romano. Dabei berichtet der 29-Jährige nicht einmal über den Sport selbst, er verfasst lediglich Transfermeldungen. 

«Überall auf der Strasse sprechen mich Leute an und wollen Transfer-Neuigkeiten wissen. Es ist wie ein Wahn geworden», erzählt der Italiener der «Bild»-Zeitung. Auf Instagram folgen ihm aktuell 8 Millionen Menschen, auf Twitter sind es sogar 8,8 Millionen. Als Vergleich: Xherdan Shaqiri kommt bei beiden Kanälen zusammen nicht einmal auf die Hälfte (3,8 Millionen). Aber was macht diesen Journalisten so besonders?

Alle, die sich mit Fussball-Transfers auseinandersetzen, kommen früher oder später zu demselben Schluss: Der überwältigende Teil der Informationen ist erstunken und erlogen. Wer lange genug dabei ist, auf den wirkt die Rubrik «Gerüchte» in einer Fussballzeitung etwa so vertrauenswürdig wie die Ansage von Donald Trump nach einer Wahlniederlage.

Kein Wunder, schliesslich müssen auch während der fussballfreien Zeit im Sommer Zeitungen verkauft werden. Transfergerüchte sind dabei seit Jahren der Kassenschlager schlechthin. Ob sie nun wahr sind oder nicht, spielt oft keine Rolle. Fabrizio Romano schiebt dieser unehrlichen Praxis den Riegel vor. Der Italiener liegt nämlich stets richtig. Ausnahmslos.

Seine Quote ist derart atemberaubend, dass Fussballfans heutzutage gar nicht mehr auf die offizielle Verkündung der Vereine warten müssen. Was es braucht, ist lediglich Romanos berüchtigtes «Here we go». Schon knallt's im Endorphin-Apparat.

Selbstverständlich war das nicht immer so. Auch der heute 29-Jährige fing einmal klein an. Und ganz am Anfang des Mythos steht ein Telefonanruf von Unbekannt. 

Ein Anruf aus Barcelona

Das Journalisten-Handwerk lernt Romano in seiner Geburtsstadt Neapel. Dort setzt der fussballbegeisterte Teenager zahlreiche Artikel auf und schickt sie, in der Hoffnung abgedruckt zu werden, an verschiedenste Fussball-Plattformen. Geld verlangt er keines, wie er später in Interviews verraten wird.

Wie genau der italienische Spielerberater auf ihn aufmerksam wird oder woher dieser seine Telefonnummer hat, weiss Romano bis heute nicht. Aber eines Tages klingelt das Telefon. «Er hat für La Masia in Barcelona gearbeitet und wollte in die Beraterbranche wechseln», erzählt Romano. «Er bat mich, ein Profil über zwei junge Spieler zu schreiben, die er unter seine Fittiche nehmen wollte.»

Der Journalist hilft dem Unbekannten. Mit Erfolg. Die beiden Nachwuchstalente, der spanische Flügelspieler Gerard Deulofeu und der argentinische Stürmer Mauro Icardi, schliessen sich dem Spielerberater an. 

Im Sommer 2011 erhält Romano im Gegenzug seine, wie er sagt, «ersten News» und berichtet vor allen anderen über Icardis Transfer von Barcelona zu Sampdoria Genua. Kein Kracher. Der Spieler ist erst 18, Sampdoria ein Klub in der zweiten italienischen Liga. Die grossen Reaktionen bleiben aus.

Ein junger Maruo Icardi im Dress von Sampdoria Genua.
Ein junger Maruo Icardi im Dress von Sampdoria Genua.
Bild: Keystone

Doch im Spätherbst 2013 ruft der Berater erneut an. Dieses Mal geht es um Icardis Wechsel zu Inter Mailand. Sechs Monate bevor dieser öffentlich wird, verkündet ihn Romano in einem Fan-Forum der Nerazzurri. Es ist der journalistische Durchbruch des damals 20-Jährigen.

Neu arbeitet der Neapolitaner für «Sky Italia» in Mailand und lernt von den ganz Grossen. Gianluca Di Marzio zum Beispiel. «Jahrelang bin ich durch die Stadt gezogen. Egal ob Restaurant oder Hotel, ich war überall da, wo sich die Leute aus dem Fussballgeschäft trafen», erzählt Romano. 

Es dauert nicht lange, da erkennt der Journalist die Wichtigkeit der sozialen Medien im modernen Fussballgeschäft. Geschickt baut er sich über die Jahre ein ausgeprägtes Netzwerk auf und informiert seine Leser über Twitter oder Instagram. Den Grossteil seiner Informationen erhält er von Spielerberatern. «Danach Manager und Sportdirektoren. Und inzwischen kommen die Spieler dazu.»

«Die Profis vertrauen mir»

International macht Romano zum ersten Mal 2020 so richtig auf sich aufmerksam, als er den Wechsel von Bruno Fernandes zu Manchester United verkündet. «Da war ich so früh dran, dass mich später sogar sein Berater eingeladen hat, mit nach Manchester zu fliegen», verrät Romano. Dabei fällt ihm auf, was vielen Journalisten oft entgeht. Es geht nicht immer um die Geschwindigkeit. «Was meine Follower mehr als alles andere wollen, ist die Wahrheit. Ich setzte mir keine Deadlines und muss keine Zeitungen verkaufen. Ich schreibe die Dinge dann, wenn es so weit ist.»

Seine Art kommt auch bei den Vereinen gut an. Mit Romano haben sie einen zuverlässigen Journalisten gefunden, der nur dann berichtet, wenn er aus sicherer Quelle weiss, dass etwas stimmt. So wird der Italiener auch immer mehr zum Sprachrohr der Klubs. Er wird für Transfer-Ankündigungen gebucht oder taucht in Werbevideos auf.

«Mit Instagram hat sich in den drei, vier Jahren alles verändert. Dort schreibe ich jetzt mit den Profis selbst, sie sind offen, kennen mich und vertrauen mir. Das liebe ich. Manchmal helfen die Spieler aktiv mit. Sie wollen eine «Here we go»-Meldung von sich sehen oder ordnen etwas ein.»

Drei tragbare Akkus und drei Stunden Schlaf

Doch die Rolle als allwissender Transfer-Guru fordert auch seinen Tribut. «Ich schlafe während der Transferphase nachts meist nur um die drei Stunden», verrät der 29-Jährige. «Vor zwei Wochen habe ich ein Update zum Wechsel von Darwin Núñez von Benfica Lissabon zu Liverpool recherchiert. Da war ich mit meinen Freunden unterwegs, bin aber zwei, drei Stunden nur hektisch hin- und hergelaufen, um zu telefonieren und mein Handy zu checken. Da fühle ich Druck. Ein gesunder Lebensstil ist das nicht», so Romano.

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«Das letzte Mal, dass ich einen Tag nicht auf Twitter war, ist neun Jahre her. Wer einen Tag am Transfermarkt pausiert, verpasst etwas.»

Stellt sich die Frage, wie viel Bildschirmzeit der Italiener täglich von seinem Telefon fordert. «Ich lade es zehn bis zwölfmal am Tag. Ich habe dafür immer drei tragbare Akkus dabei. Einmal war ich im Apple Store und wollte dort mein Handy austauschen. Ich habe gefragt, wie es sein kann, dass alle 20, 30 Minuten der Akku leer ist. Der Mitarbeiter hat das Gerät untersucht und dann gesagt: ‹Ich bin seit elf Jahren hier, aber so einen ex­tremen Dauergebrauch habe ich noch nie gesehen!›»

Sein Geld verdient Romano unter anderem als freier Mitarbeiter für den Guardian aus England, Sky Italia oder den amerikanischen Sender CBS. Dazu produziert er Videos auf YouTube und Streams auf der Plattform Twitch.

Und übrigens: In der Zeit, in der dieser Artikel verfasst wurde, hat Fabrizio Romano auf Twitter Neuigkeiten zu sechs verschiedenen Transfers verkündet.

Here. we. go.