Die Schweiz trauert um Jakob «Köbi» Kuhn. Der frühere Trainer der Schweizer Nationalmannschaft ist im Alter von 76 Jahren im Spital Zollikerberg gestorben.
Kuhn erlag am Dienstagnachmittag den Folgen einer langwierigen schweren Erkrankung. Dies bestätigte das Spital Zollikerberg auf Wunsch der Angehörigen. Bereits seit Wochen waren die Fans in grosser Sorge um die FCZ-Legende. Ende Oktober wurde bekannt, dass Kuhn mit Lungenproblemen auf der Intensivstation des Zürcher Triemlispital liegt.
Wie die «Schweizer Illustrierte» schreibt, kam in der Folge eine Blutvergiftung erschwerend dazu, die «Köbi national» zusätzlich schwächte. Bereits ein Jahr zuvor war Kuhn mit einer Lungenentzündung in Behandlung. 2011 wurde bei Kuhn eine chronisch lymphatische Leukämie diagnostiziert. Für Patienten mit dieser Krankheit sind Atemwegs-Infektionen oder Lungenentzündungen keine Seltenheit. Zu wenig weisse, gesunde Blutkörperchen sind dafür verantwortlich.
Als Spieler (1960 bis 1977) war Jakob Kuhn berühmt und vielleicht der beste Schweizer seiner Zeit. Als Nationaltrainer (2001 bis 2008) war er populär. Im Volk war er durch alle Generationen und Schichten hindurch einfach «Köbi». Als Konsequenz davon wurde Kuhn zum «Schweizer des Jahres 2006» gewählt. Das war ein halbes Jahr nach der WM in Deutschland, welche im Land eine vorher und nachher nie dagewesene Fussball-Euphorie entfacht hatte.
Zuberbühler: «Es trifft mich tief»
Pascal Zuberbühler, der damals das Nati-Tor hütete, zeigt sich im Champions-League-Studio auf Teleclub tief betroffen: «Ganz grosses Beileid an die Familienangehörigen und alle Freunde von Köbi. Er war der Trainer, der mir in der Nationalmannschaft diese Erfolge ermöglichte. Ich denke vor allem zurück an die WM 2006, als ich mit 35 noch spielen durfte. Wir hatten eine wunderbare Kampagne, auch mit der ganzen Qualifikation.»
Und das war vielleicht die grösste Leistung von Kuhn in seinem Fussball-Leben. Er, das «Sinnbild des Schweizers», wie die «SonntagsZeitung» 2008 am Tag von Kuhns letztem Spiel als Nationalcoach titelte, weil er «am Samstagmorgen in der Migros posten geht», hatte den Fussball (oder zumindest das Nationalteam) schweizweit salonfähig gemacht.
Erfolgreiche Zeit als Nati-Trainer
Unter Kuhn nahm die Schweiz an drei Endrunden in Folge teil. Kein anderer Nationalcoach hat das geschafft. Als er die SFV-Auswahl im Sommer 2001 übernahm, war sie im FIFA-Ranking auf Platz 65 klassiert. Fünf Jahre später, nach der WM 2006, stand die Schweiz an der Schwelle zu den Top Ten (13.).
Als er 2008 abtrat, hatte er die Fussball-Nationalmannschaft in 73 Spielen betreut. Nach dem 2. Weltkrieg war keiner länger im Amt als er. Und auch wenn seine Karriere als Nationaltrainer an der Heim-EM mit einer grossen Enttäuschung und dem vorzeitigen Ausscheiden in den Gruppenspielen endete, wurde er von Spielern und Fans nochmals gefeiert: Ein «Merci, Köbi»-Banner machte im St.-Jakob-Park die Runde.
Freundlich, ruhig, empathisch und verständnisvoll. So kannte die Schweiz den Köbi. Die Spieler gingen für ihn durchs Feuer, weil er authentisch war und weil er die Dynamiken innerhalb der Mannschaft spürte wie kaum einer sonst.
Die Ausbootung von Sforza und Vogel
Doch ganz so unproblematisch war Kuhns Auftreten nicht immer. Wäre es das gewesen, wären seine Erfolge als Spieler und Nationaltrainer wohl nicht möglich gewesen. «Ich war als Spieler kein Aussenseiter, aber auch kein Angepasster. Ich war für die Trainer kein Einfacher», sagte er vor einigen Jahren über sich selber.
Und als Trainer war er trotz allem manchmal auch für seine Spieler kein Einfacher. Zu Beginn seiner Amtszeit als Nationalcoach bootete er den Captain Ciriaco Sforza aus. Vor seinem letzten Jahr als Trainer wiederholte er diese Aktion: 15 Monate vor der Heim-EM strich er Captain Johann Vogel aus dem Aufgebot. In beiden Fällen ging Kuhn kompromisslos vor. Er war auch nicht bemüht um einwandfreie Kommunikation. Sforza erfuhr es aus den Medien, Vogel zumindest von Kuhn persönlich – aber am Telefon.
Über den Fussballer Kuhn gibt es Anekdoten, wie er Gegenspieler provozierte und beleidigte, wie er im Training gegen Mitspieler austeilte und wie er an Trainern herumnörgelte. Der «Golden Boy im Nationaldress» (National-Zeitung) war auf dem Rasen oft ein «Bad Guy». So war seine Länderspiel-Karriere zwar lange (14 Jahre, 63 Spiele) und erfolgreich (WM-Teilnahme 1966), doch sie war auch geprägt von Brüchen, weil er vom SFV zweimal wegen dubioser und nie restlos aufgeklärter Ausgangsaffären suspendiert wurde.
Nach der «Nacht von Oslo», nach der er zusammen mit Teamkollege Joko Pfister wohl fälschlicherweise nächtlicher Eskapaden ausserhalb des Hotels beschuldigt wurde, spielte Kuhn nie mehr für die Schweiz. Wäre das Nationalteam eine Armee, Kuhn wäre unehrenhaft entlassen worden. Er selbst sagte 1976 gegenüber dem «Blick»: «In diesem Amateurverband ist es viel wichtiger, dass es mit den Funktionären stimmt.»
Kuhn spielte 17 Jahre für den FC Zürich
Rund ein Jahr nach dem Ende im Nationalteam beschloss Kuhn auch seine Karriere im Klub. Während 17 Jahren hatte er für seinen Stadtklub gespielt, seinen FC Zürich. Es waren goldene Jahre für den FCZ. Kuhn führte den Verein zu sechs Meistertiteln, fünf Cupsiegen und zweimal in die Halbfinals des Meistercups. Es war die Zeit der grossen Rivalität zwischen dem FCZ und dem FC Basel. Die Duelle der grossen Spielmacher Kuhn und Karl Odermatt. Besseres hatte der Schweizer Klubfussball weder vorher noch nachher zu bieten.
Kuhn prägte diese Zeit, in der sich der Fussball auch in der Schweiz – zumindest an der Spitze – professionalisierte. Kuhn wurde allerdings erst zum Ende seiner Karriere Profi. Noch 1973 arbeitete er als Versicherungsberater und -Verkäufer in einer Agentur in Zürich-Altstetten. «Das bedeutet: Kuhn steht so zeitig auf wie die Mehrheit seines Publikums, frühstückt, ist nach acht im Büro, (...), am frühen Abend, nach 16 Uhr, fährt er zum Training», schrieb der «Sport» damals. Dem verpassten Reichtum weinte Kuhn nicht nach: «Ich war zu meiner Zeit als Profi ein Grossverdiener und gehörte zum engen Kreis der Höchstbezahlten, die maximal 80'000 Franken pro Jahr verdienen durften», sagte er einmal gegenüber der Nachrichtenagentur sda.
Eine Million Franken Schulden
Probleme mit dem Geld bekam Kuhn erst nach seiner Karriere. Die Geschäfte als Versicherungsagent liefen in den Achtzigerjahren nach anfänglicher Verselbständigung und Expansion schlechter. 1987 wurde über Kuhn der Konkurs eröffnet. Er hatte bei der Versicherung und bei Banken eine Million Franken Schulden. Einem Journalisten vertraut er später an: «Was jetzt kommt, das ist mein letztes Spiel und zugleich mein erstes Spiel, das ich nicht gewinnen will. Ich will es bloss ruhig nach Hause schaukeln.»
Doch es kommt noch einmal alles anders: Kuhn schafft es nicht nur das Spiel über die Runden zu bringen, er rauscht rund anderthalb Jahrzehnte später zu einem Kantersieg. Totaler Fussball statt Catenaccio. Aus dem FCZ-Junioren- und SFV-Nachwuchs-Trainer wird im Juni 2001 über Nacht der Nationalcoach Köbi Kuhn. Und genau 20 Jahre nach dem Konkurs wird Köbi Kuhn «Schweizer des Jahres».