Super League «Es ist ein sehr positives Miteinander»

sfy, sda

23.11.2024 - 05:01

Der Basler Torhüter Marwin Hitz während des Interviews mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA
Der Basler Torhüter Marwin Hitz während des Interviews mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA
Keystone

Basels Torhüter Marwin Hitz hat einen sehr speziellen Weg hinter sich. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht er unter anderem darüber, warum es dem FCB aktuell so gut läuft.

Marwin Hitz bestritt erst kurz vor seinem 35. Geburtstag sein erstes Spiel in der Super League. Das ist der Tatsache geschuldet, dass es ihn 2008 nach Einsätzen mit Winterthur in der Challenge League zum Bundesligisten Wolfsburg zog – im Wissen, dort nur der Goalie Nummer 3 zu sein.

«Ich sah die Chance, unter einem Trainer (Felix Magath) mit einem unglaublichen Ruf in alle Richtungen zu spielen, bei einer Mannschaft, die angreifen wollte», begründet Hitz im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA den Schritt. «Klar wusste ich, dass ich sehr viel Geduld brauche und körperlich viel aufholen muss. Viele warteten darauf, dass ich im Winter zurückkomme. Aber ich bin dann doch etwas länger in Deutschland geblieben (lacht).»

Die Skepsis trieb Hitz an. «Abgesehen von meiner Familie erhielt ich wenig Unterstützung im Fussball. Ich habe keine guten Erinnerungen an meine dortige Jugendzeit, erlebte dermassen viele Enttäuschungen, dass ich lernte, wie ich damit umgehen muss. Ich baute mir eine grosse Resilienz auf.» Dass sich Hitz später als andere im Fussball entwickelte, hat auch damit zu tun, dass er eine dreijährige KV-Lehre abschloss. «Ich war während dieser Zeit extrem müde, es war sehr anstrengend. Aber die Ausbildung war mir von Anfang an wichtig.»

Dankbar für Chance

Bei Wolfsburg blieb er fünf Jahre, obwohl er nur zu 13 Einsätzen in der Bundesliga kam. «Ich konnte aus dieser harten Zeit immer wieder Energie herausziehen. Und ich war dankbar, überhaupt diese Chance erhalten zu haben», sagt Hitz. 2013 wechselte er zum Liga-Konkurrenten Augsburg, wo er ab November des gleichen Jahres die Nummer 1 war. Noch spezieller machte diese erfolgreiche Zeit für ihn, dass er heiratete und die ersten zwei von nun drei Kindern zur Welt kamen.

2018 wechselte Hitz zu Borussia Dortmund, obwohl er wusste, dass sein Landsmann Roman Bürki einen Vorsprung hatte. «Es war für mich der einzige Top-15-Verein in Europa, bei dem ich sportlich für mich eine Chance sah, irgendwann die Nummer 1 zu werden», sagt Hitz. «Der Reiz, mal für einen solchen Verein in einem solchen Stadion mit solch einer 'Wand' zu spielen, war so gross, dass ich den Schritt wagte. Es hat sich gelohnt.»

Dies, obwohl es für ihn eine weitere Enttäuschung absetzte. Denn nachdem er Ende Januar 2021 die Nummer 1 beim BVB geworden war und einen Monat danach bis 2023 verlängert hatte, verpflichtete Dortmund auf die Saison 2021/22 mit dem Schweizer Gregor Kobel einen weiteren Goalie. Hitz musste wieder hinten anstehen. «Ich merkte dann rasch, dass es in meinem Alter unmöglich ist, an ihm vorbeizukommen, da er Top-Leistungen zeigte», so Hitz. Deshalb entschloss er sich, vorzeitig aus dem Vertrag auszusteigen und sich dem FC Basel anzuschliessen. So landete er spät doch noch in der Super League. Der FCB empfängt am Sonntag Servette.

Interview:

Marwin Hitz, dem FC Basel läuft es sehr gut. Ihr habt fünf der letzten sechs Spiele gewonnen und liegt einen Punkt hinter Zürich auf dem 2. Tabellenplatz. Warum läuft es aktuell so gut?

«Wir arbeiteten sehr gut in der Vorbereitung, setzten uns als Ziel, uns in allen Bereichen zu verbessern. Zwar holten wir in der vergangenen Saison in den wichtigen Phasen auch Punkte, aber nicht mit demjenigen Stil, mit dem wir Fussball spielen wollen. Dann stiessen viele gute Jungs dazu, auch was den Charakter betrifft. Wir verfügen qualitativ über das beste Team, seit ich hier bin. Das führt zu einem guten Trainingsniveau. Alle pushen sich gegenseitig, alle wollen erfolgreich sein, ohne ein zu grosses Ego zu haben. Es ist ein sehr positives Miteinander.»

Ihr habt in der laufenden Meisterschaft am meisten Treffer erzielt und zusammen mit Zürich und Lugano am wenigsten Gegentore erhalten. Das spricht für eine gute Balance im Team.

«Das ist zwar nicht aussergewöhnlich, aber natürlich ein sehr gutes Zeichen für die Mannschaft. Dennoch lassen wir meiner Meinung nach immer noch zu viele Torschüsse und Grosschancen zu. In der einen oder anderen Situation hatten wir auch etwas Glück. Der Weg stimmt aber sicherlich.»

Wie stark hängt der Aufschwung mit der Verpflichtung von Xherdan Shaqiri zusammen?

«Er bringt eine enorme Qualität mit und spielt sehr uneigennützig. Da aber natürlich auch er von seinen Mitspielern abhängig ist, hat es am Anfang noch nicht so gut funktioniert. Es war zunächst ein 'Sich-Finden'. Dass er wohl der erfolgreichste Schweizer Fussballer ist, löst bei vielen einen Wow-Effekt aus. Wenn ein solcher Spieler etwas sagt, wird genau hingehört.»

Vor etwas mehr als einem Jahr war die Gefühlslage diametral anders. Der FCB lag mit fünf Punkten aus den ersten elf Spielen auf dem letzten Tabellenplatz. Für eine reflektierte Person wie Sie dürfte diese Situation besonders schwierig gewesen sein.

«Es war sicherlich die schwierigste Zeit in meiner Fussballkarriere, obwohl ich schon viel Hochs und Tiefs erlebt hatte. Ich fühlte mich hilflos – auf dem Platz, was etwas vom Schlimmsten ist, aber auch daneben. Es lief einiges schief, vieles kam zusammen. Was mich allerdings auch in dieser Phase sehr stolz gemacht hat, ist, dass wir nie auseinanderfielen. Wir zerfleischten uns nie oder schoben die Schuld hin und her. Das ist sicherlich mit ein Grund für den aktuell guten Lauf. Viele blieben ja hier, und eine solche Situation schweisst natürlich zusammen.»

Kann man in einer solchen Situation als Kopfmensch überhaupt abschalten?

«Es drehte schon oft in meinem Kopf, manchmal auch in der Nacht. Man schämt sich, wenn man so schlecht dasteht und zudem noch so schlecht spielt. Der Weg ins Training ist relativ weit. Dann macht es keinen Spass, an allen Leuten vorbeizufahren, da man sich verantwortlich fühlt für das Ganze. Dies umso mehr in einer Stadt, in der der Fussball gelebt wird.»

Mit 37 Jahren sind Sie im fortgeschritteneren Fussballer-Alter. Fällt es dann einfacher, mit einer solch schwierigen Situation umzugehen?

«Als junger Spieler dachte ich immer, es wird stets einfacher mit einem gewissen Standing. Aber, ehrlich gesagt, ist es nicht so herausgekommen. Ich machte mir immer mehr Gedanken, fühlte mich mehr dafür verantwortlich, wenn es nicht lief. Ich glaube aber, dass das eine Voraussetzung ist, um so lange dabei sein zu können. Wenn man aufhört, sich verantwortlich zu fühlen, kann das Niveau nicht gehalten werden.»

Apropos Niveau halten: Wie viel mehr Aufwand müssen Sie heute betreiben?

«Ich fing zum Glück früh an, auf mich zu achten. Ich nahm immer wieder Sachen von Mitspielern auf, informierte mich. Ich mache schon immer Yoga, konsumierte nicht nur auf der Massagebank, sondern absolvierte selber meine Übungen. Ich schaute früh auf die Ernährung. Dazu kommt genetisches Glück. Aber es steckt definitiv viel Fleiss und Disziplin dahinter, dass ich immer noch auf diesem Niveau spielen kann.»

Im nächsten Jahr läuft der Vertrag mit dem FCB aus. Gibt es schon eine Tendenz, wie es weitergeht?

«Ich sprach gerade erst am vergangenen Wochenende mit meiner Familie sehr lang und intensiv darüber, da der ursprüngliche Plan gewesen war, dass 2025 Schluss ist. Ich bin ein Mensch, der immer ein Ziel braucht, der auf etwas hinarbeiten möchte. Wir entschieden uns nun dazu, dass ich, wenn es möglich ist, nochmals ein Jahr weiterspiele. Weiter vorauszuschauen macht in meinem Alter keinen Sinn. Basel als aktueller Klub, bei dem ich mich sehr wohl fühle, ist sicherlich mein erster Ansprechpartner, das war bei mir immer so. Sonst hätte ich bei mehr Vereinen gespielt.»

So oder so besitzen Sie mit einer Immobilienfirma schon ein Standbein für die Zeit nach der Karriere.

«Es war mir immer wichtig, etwas nebenbei zu haben, mich mit Menschen ausserhalb des Fussballs auszutauschen, etwas Neues zu lernen, das man nicht schon 100'000 Mal gemacht hat. Das gibt mir eine gewisse Sicherheit, ermöglicht mir, Entscheide ohne Druck zu fällen. Aber es ist natürlich nicht einfach aufzuhören.»

Zurück zum FCB. Der letzte Meistertitel liegt sieben Jahre zurück. Spüren Sie eine Sehnsucht nach dem Meisterpokal?

«Wir haben in dieser Saison sicherlich einen sehr tollen Zuschauerschnitt. Eine Sehnsucht nach einem Titel spüre ich allerdings nicht, da wir, glaube ich, in den vergangenen Jahren auf den Boden der Tatsachen gekommen sind. Wir spüren jedoch die Freude der Fans darüber, dass wir mehrheitlich wieder guten Fussball spielen. Über den Meistertitel hat mit mir aber noch niemand gesprochen, auch wenn es sicher Fans gibt, die davon träumen. Es sind einfach alle dankbar für das Gefühl, dass der Verein wieder auf dem richtigen Weg ist und alle in die gleiche Richtung arbeiten. Zuschauer, die in letzter Zeit nicht mehr im Stadion waren, kommen wieder öfters. Das ist das momentan das Schönste an der Situation.»

sfy, sda