Die Sport-SerieHoch geflogen, tief gefallen – Teil 4: Gerd Müller
Patrick Lämmle
12.4.2018
In unserer fünfteiligen Serie «Hoch geflogen, tief gefallen», erzählen wir die Geschichten von Helden, die nach ihrer Karriere ins Elend stürzten. Vierter Teil: Dass auch Gerd Müller dazu gehört, mag erstaunen.
Gerd Müller war unbestritten einer der besten Mittelstürmer der Welt, wenn nicht der beste überhaupt. In 453 Ligaspielen schoss er 398 Tore. Und in der Nationalmannschaft erzielte er in 62 Partien unglaubliche 68 Treffer. Physisch war «der Bomber der Nation» selbst zu Glanzzeiten nicht überragend, dafür hatte er diesen unglaublichen Riecher, war wendig, reaktionsschnell und konnte ausgezeichnet antizipieren. Als er zurücktrat, war er mit 14 Toren (1970: 10, 1974: 4) Torschützenkönig der WM-Historie.
Der fatale Wechsel in die USA
Ende der 70er Jahre wechselte er in die USA nach Florida. Dort verlor der Mann, der Deutschland 1974 zum WM-Titel geschossen hat, die Kontrolle über sein Leben und begann mit dem Trinken. Nach drei Jahren kehrte er nach München zurück. Aber Müller hatte nicht das Zeug zum grossen Trainer, zum Manager oder TV-Experten. Und so verschwand der einstige Nationalheld von der Bildfläche. Erst im September 1991 wurden Müllers Alkohol-Probleme öffentlich. Angetrunken wurde er beim Bayern-Training angetroffen, weil sich seine Frau scheiden lassen wollte – was sie aber nie tat – und Steuerfahnder zwei seiner Eigentums-Wohnungen pfändeten.
In einem Interview sagte Müller später: «Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. Du bist oben, schwebst im Himmel. Und fällst und fällst. Plötzlich bist du in der Hölle. Nur nichts tun. Den ganzen Tag einfach nur rumsitzen und nichts Sinnvolles machen – das war das Verderben.» Er habe sehr gelitten, «und ohne Hilfe meiner Freunde hätte ich es wohl nicht geschafft.»
Seine Freunde, das waren Ulli Hoeness, Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge, mit denen er grosse Erfolge gefeiert hatte. Die alten Weggefährten überredeten Müller, eine Entziehungskur zu machen und psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und tatsächlich ging es wieder aufwärts, ab 1992 war er wieder Angestellter bei seinem Herzensklub Bayern München. Als er 1993 die A-Jugend trainieren durfte, meinte er: «Ich bin vollkommen glücklich und ich bin beschäftigt.» Später war er dann auch Sponsorenbetreuer, Talentsucher, Stürmer- und Torwarttrainer, Co-Trainer bei den Profis und zum Schluss bei den Amateuren.
Die unheilbare Krankheit
Doch dann meinte es das Schicksal nicht gut mit ihm. Im Jahr 2016 vermeldete der FC Bayern in einer öffentlichen Mitteilung: «Seit Anfang Februar 2015 wird Gerd Müller mit starker Unterstützung seiner Familie professionell betreut.» Der Bomber der Nation war an Alzheimer erkrankt. Eine heimtückische Krankheit, die lange bevor sich die ersten Symptome bemerkbar machen, beginnt. Ein erster auffälliger Vorfall ereignete sich schon im Jahr 2011. Im Trainingslager mit der Nachwuchsmannschaft in Italien verschwand der damals 65-Jährige plötzlich und war 13 Stunden lang nicht auffindbar. Als man ihn fand, soll er verwirrt gewirkt haben. Manche glaubten, er sei wieder dem Alkohol verfallen, doch das war er nicht. Es waren vielmehr die ersten Anzeichen seiner Demenz.
Heute ist Gerd Müller 72 und lebt in einem Pflegeheim. Ende des vergangenen Jahres sagte Uschi Müller, die seit über 50 Jahren mit der FCB-Legende verheiratet ist, in der «Bild: «In dem Heim hat er optimale Pflege und Zuwendung. Er fühlt sich wohl und zuhause. Auch wenn er in seinen Möglichkeiten eingeschränkt ist, erreiche ich ihn noch. Er freut sich, wenn ich komme. Es macht Freude, mit ihm Zeit zu verbringen.»