Der EV Zug hat es endlich geschafft. Er wird als Corona-Meister für die Ewigkeit in Erinnerung bleiben. Aber nicht nur deshalb. Die Analyse zu einer sehr, sehr speziellen Saison.
Das Schweizer Eishockey hat seine Meisterschaft tatsächlich zu Ende gebracht und konnte seinen Champion krönen. Allein schon diese Tatsache ist in Pandemie-Zeiten, in denen jede noch so gute Planung nur eine Momentaufnahme ist und permanent wieder neu hinterfragt werden muss, ein grosser Erfolg.
Umso mehr, wenn man bedenkt, dass kein Team verschont blieb, und einige wie der SC Bern sogar bis zu fünf Mal in Quarantäne mussten. Als Folge davon konnte die Qualifikation nicht von allen zu Ende gespielt werden und die Tabelle musste letztlich mittels Punkteschnitt statt Punktezahl abgerechnet werden. Immerhin blieben alle Vereine in den Playoffs dank «Double Bubble» und sicher auch Glück von weiteren Quarantänen verschont.
Die Regentschaft der grossen Vier beendet
Der EVZ hat die Gewissheit, dass er als Meister für die Ewigkeit in Erinnerung bleibt. Als der Meister der verrückten Corona-Saison, der all diesen Widerständen, wie den Quarantänen, dem fordernden Spielplan, den mehrheitlich leeren Stadien und den finanziellen Unsicherheiten am besten getrotzt hat.
Aber auch, weil er es war, der die Regentschaft von Bern, Davos, den ZSC Lions und Lugano beendet hat, die bislang alle Meistertitel in diesem Jahrtausend untereinander aufgeteilt haben. Und so eine ganze Region in Ekstase versetzt. Geschlagene 23 Jahre musste Zug auf seinen zweiten Meistertriumph warten. Wie schade, dass die Party coronabedingt nur im kleinen Kreis stattfinden kann. Wie gerne würden wir jetzt diese Bilder des kollektiven Freudentaumels sehen, wie sich alle in grossen Scharen in den Armen liegen.
Tangnes hat Wort gehalten
Der Zuger Titel war nicht nur fällig, sondern überfällig. Der EVZ hat in den letzten Jahren fast alles richtig gemacht. Mit der Ankunft des charismatischen, ehrgeizigen Trainers Dan Tangnes wurde aus einer guten eine sehr gute Organisation. Vor zwei Jahren lehnte sich der Norweger sehr weit aus dem Fenster, als er wenige Minuten nach dem verloren gegangenen Playoff-Final gegen den SCB den Meistertitel bei nächster Gelegenheit versprach. Jetzt ist es an der Zeit, den Hut zu ziehen: Tangnes hat geliefert, nicht nur gelafert.
Zudem hat der lange unterschätzte Sportchef Reto Kläy an den richtigen Schrauben gedreht. Die Mischung im Team (Routiniers, Junge, spielerische und physische Elemente) war perfekt. Das entscheidende Teilchen im Meister-Puzzle war aber die Verpflichtung von Leonardo Genoni, der sich nun sechsfacher Meistergoalie nennen kann. Einen Genoni zwischen den Pfosten kann indes nur der haben, der es sich auch leisten kann. So gesehen hat der EVZ sich diesen Titel zumindest zu einem Teil auch gekauft.
Die Zuger waren in dieser Saison von A - Z das Mass aller Dinge. Die Qualifikation schlossen sie mit einem neuen Punkterekord ab und hielten anschliessend in den Playoffs dem Druck stand. Ob es nun aber auch gelingt, in Zug eine Meister-Dynastie aufzubauen, ist fraglich. Mit Raphael Diaz, Santeri Alatalo und Tobias Geisser gehen die drei besten Verteidiger und hinterlassen eine grosse Lücke. Vor allem Diaz als Captain und Integrationsfigur auf und neben dem Eis. Andererseits: Wer einen Genoni im Tor stehen hat, der gehört eigentlich immer zu den Titelkandidaten.
Für den Hühnerhaut-Moment sorgen die Lakers
Neben dem Titelgewinn des EVZ hat der Halbfinal-Coup der Rapperswil-Jona Lakers von Platz 10 aus diese Playoffs geprägt. Wie das Team am Ende auf dem Eis einen Kreis bildete, seinen scheidenden und überaus populären Trainer Jeff Tomlinson abfeierte, war dabei ein Hühnerhaut-Moment.
Ein unrühmlicher Höhepunkt waren dagegen die Auftritte von Lausanne. Die überharte Gangart in den Viertelfinals gegen die ZSC Lions mit den unfassbaren Attacken von Mark Barberio gegen Sven Andrighetto sorgte für Kopfschütteln. Die eigenwillig geführten Waadtländer finden immer wieder neue Möglichkeiten, um in der nationalen Beliebtheitsskala noch weiter abzurutschen.
Nach der Saison ist bekanntlich vor der Saison und in die nächste werden nun grosse Hoffnungen gesteckt. Alle wünschen sich Normalität, zahlreiche Fans und Stimmung in den Stadien zurück. Die ersten Signale des Bundesrates dürfen die Klubs in dieser Hinsicht zumindest vorsichtig optimistisch stimmen. Allerdings gibt es selbst im bestmöglichen Fall viele Fragen, die alle noch länger beschäftigen dürften.
Die Gretchenfrage: Goutierten die Fans die Umwälzungen?
Wie gross wird beispielsweise trotz der Bundesgelder der durch die Pandemie entstandene finanzielle Schaden sein und wie lange wird er bei den Vereinen nachhallen? Ist es dem Eishockey und den Klubs gelungen, ihre Basis zu erhalten und ihr Publikum bei der Stange zu halten? Oder gibt es eine markante Anzahl von Leuten, die sich in dieser Zeit aus irgendwelchen Gründen abgewendet haben? Vielleicht, weil sie herausgefunden hat, dass Eishockey im TV auch ganz okay ist und es eigentlich gar keine Saisonkarte mehr braucht?
Kommt dazu, dass die meisten Klubs ihren Fans diese Saison auch noch reichlich Grund gegeben haben, sich über sie zu ärgern, als sie auf nicht sonderlich smarte Weise die aktuelle Ausländer-Regel stürzen und das Kontingent verdoppeln wollten. Der Aufschrei war gross, so dass sich die Exponenten dann doch plötzlich genötigt sahen, vorerst auf die Bremse zu treten. Aber aufgeschoben ist nicht automatisch aufgehoben.
Es zeichnet sich zudem ab, dass die National League ab der Saison 2022/23 14 Teams umfassen und dann geschlossen wird. Ob es der Konsument indes goutiert, wenn ihm mit dem wegfallenden Abstieg ein spannender, dramatischer Aspekt des Sports entzogen wird, steht auf einem anderen Blatt Papier. Die grossen Herausforderungen werden dem Schweizer Eishockey auch nach der Pandemie nicht ausgehen.