Sensationeller Underdog Fünf Gründe für das Playoff-Wunder der Rapperswil-Jona Lakers 

Von Marcel Allemann

21.4.2021

Ein ungewohntes ist zum gewohnten Bild geworden: Die Rapperswil-Jona Lakers im Dauerjubel.
Ein ungewohntes ist zum gewohnten Bild geworden: Die Rapperswil-Jona Lakers im Dauerjubel.
Bild: Keystone

Noch ein Sieg fehlt dem krassen Aussenseiter gegen Lugano für die zweite Halbfinal-Qualifikation nach 2006 und die grösste Sensation in der Schweizer Playoff-Geschichte. Der Wandel des Tabellenzehnten vom Punkteliferanten zum Favoritenschreck hat seine Gründe.

Von Marcel Allemann

21.4.2021

Der Tomlinson-Faktor

Vor zwei Monaten wurde bekannt, dass die Rapperswil-Jona Lakers den Vertrag mit Trainer Jeff Tomlinson nach sechs Jahren nicht mehr verlängern. Nachfolger wird der Schwede Stefan Hedlund. Bei einem Entscheid dieser Tragweite gibt es jeweils zwei Optionen. Entweder wird der scheidende Trainer zur «lame duck» (lahmen Ente) und die Saison ist mehr oder weniger gelaufen. Oder es entsteht ein spezieller Groove und man will gemeinsam zum Abschluss noch etwas Grosses erreichen. Bei den Lakers ist Letzteres geschehen.

Tomlinson und sein Team haben viel zusammen erreicht und erlebt. Etwa den Cupsieg und den Aufstieg im Jahr 2018. Da wäre aber auch die schwere Nierenkrankheit des Kanadiers, die im Oktober 2020 eine Nierentransplantation nötig machte und den charismatischen Trainer vorübergehend ausser Gefecht setzte. Die Spenderniere erhielt Tomlinson von seinem Bruder Darryl. Das Schicksal ihres Coaches, wie er es klaglos ertrug und wie er mit dem seither für ihn veränderten Alltag umgeht, hat dem Team schwer imponiert. Es ist eine fast schon einmalige Vertrauensbasis entstanden. Da konnte und wollte man den 50-Jährigen nicht gehen lassen, ohne zuvor nochmals gemeinsam grosse Emotionen zu erleben.

Trainer Jeff Tomlinson verlässt die Rapperswil-Jona Lakers nach sechs Jahren.
Trainer Jeff Tomlinson verlässt die Rapperswil-Jona Lakers nach sechs Jahren.
Bild: Keystone

Die Mentalität

Sowohl in den Pre-Playoffs gegen Biel (2:0-Sieg) als auch in den bisherigen Playoff-Viertelfinal-Spielen gegen Lugano (Stand 3:1): Die Lakers hatten in den jeweiligen Matches zumeist weniger Spielanteile als der Gegner, aber gewannen trotzdem fünf Spiele. Dies weil sie genau wissen, was sie können und was nicht. Was sie können, ist füreinander einstehen, den Plan von Jeff Tomlinson umsetzen, Zweikämpfe gewinnen, gut verteidigen, dorthin gehen, wo es weh tut und Schüsse blocken sowie in der Offensive immer wieder Nadelstiche setzen, von denen sich der Gegner beeindrucken lässt.

Die Lakers haben in den bisherigen vier Viertelfinal-Spielen unfassbare 114 Schüsse geblockt. Lugano im Vergleich dazu gerade mal 53. Auch das Block-Verhältnis in den zwei Pre-Playoff-Partien gegen Biel war krass: 49:19. Der Vorzeige-Blocker ist dabei Verteidiger Daniel Vukovic, der jeweils so gnadenlos in die gegnerischen Schüsse springt, als gäbe es kein Morgen mehr. Diese Mentalität ist ansteckend und hat die ganze Mannschaft erfasst.

Daniel Vukovic ist bei Rappi der Blocker vom Dienst.
Daniel Vukovic ist bei Rappi der Blocker vom Dienst.
Bild: Keystone

Der Übergoalie

Ein guter National-League-Goalie ist Melvin Nyffeler schon länger. Doch derzeit spielt er überragend, ist zusammen mit dem grossen ZSC-Aufsteiger Ludovic Waeber der beste Keeper im bisherigen Playoff-Verlauf und spielt mit seiner Ruhe und seiner Ausstrahlung auf WM-Niveau. Und je enger der Spielstand und je wichtiger der Zeitpunkt, umso mehr scheint sich der 26-Jährige so richtig in seinem Element zu fühlen.

Goalie Melvin Nyffeler ist die Rapperswiler Lebensversicherung.
Goalie Melvin Nyffeler ist die Rapperswiler Lebensversicherung.
Bild: Keystone

Die Nachhaltigkeit

Nach 21 Jahren im Oberhaus stieg Rappi 2015 ab. Es war der Tiefpunkt eines schleichenden Niedergangs mit vielen chaotischen Aktionen. Doch letztlich hat der Abstieg es den Lakers ermöglicht, sich auf eine gute Weise zu erneuern. Mit dem Wiederaufbau wurde der frühere Spieler Markus Bütler als CEO betraut und unter seiner smarten und nachhaltigen Führung entwickelten sich die Lakers Jahr für Jahr weiter und wurden kontinuierlich besser. Vom Spitzenteam der Swiss League zum Cupsieger und Aufsteiger.

Und in der National League vom abgeschlagenen Tabellenletzten und Punktelieferanten zum Top-10-Team und Playoff-Viertelfinalisten. Stets unaufgeregt, aber beharrlich. Mit geschickten Transfers gelang es Sportchef Janick Steinmann zudem, auch die Mannschaft qualitativ weiter zu entwickeln, ohne sich dabei auf finanzielle Abenteuer einzulassen. Diesen Weg wollen die Lakers weitergehen. Denn Stillstand bedeutet Rückschritt – und diesem will man sich bei den Lakers nicht nochmals aussetzen. So ist auch der Trainerwechsel auf die nächste Saison zu verstehen.


Das Spielglück

Ohne Glück geht im Sport nichts. Und dieses war den Lakers in den letzten Jahren gut gesinnt. Wer wie Rappi gegen Kloten in der Ligaqualifikation im Jahr 2018 in der Overtime des siebten Spiels gewinnt und dadurch aufsteigt, ist letztlich auch das glücklichere Team. Als dann die Lakers 2019 und 2020 ihre ersten Jahre nach der Rückkehr in die National League erwartungsgemäss als Tabellenletzter abschlossen, profitierten sie davon, dass die Ligaqualifikation jeweils ausfiel und sie nicht in delikate Abstiegsduelle verwickelt wurden. 2019 wegen dem Rückzug von Swiss-League-Meister SC Langenthal, 2020 wegen dem Corona-bedingten Saisonabbruch.

Profitiert haben die Lakers auch von der Modus-Änderung auf diese Saison und nutzen die Gelegenheit, dass man sich als Zehnter der Qualifikation via Pre-Playoffs noch für die Qualifikation qualifizieren kann. Und seien wir ehrlich: Sowohl die Pre-Playoff-Serie gegen Biel als auch die letzten zwei Viertelfinal-Spiele gegen Lugano hätten auch auf die andere Seite kippen können. Doch die Lakers haben sich dieses Spielglück und die fünf Siege aus den letzten sechs Spielen hart erarbeitet und somit auch verdient.

Playoff 2021
Wer wird Meister?


Sollten die Rapperswil-Jona Lakers sich tatsächlich gegen Lugano durchsetzen, dann wäre das faktisch die grösste Sensation in der Geschichte der Playoffs. Denn der Zehnte der Qualifikation hat noch nie eine Playoff-Serie gewonnen, weil das bislang gar nicht möglich war. Natürlich wäre die Halbfinal-Qualifikation auch für Rappi neben dem Cupsieg 2018 der grösste Erfolg in der Vereinsgeschichte. Als die Lakers dies 2006 zum ersten Mal durch einen 4:3-Sieg in der Viertelfinal-Serie gegen Zug schafften, waren sie auch in den Jahren zuvor ein regelmässiger Playoff-Teilnehmer, beendeten die Qualifikation auf Rang 4, hatten den grossen Bill Gilligan als Trainer und CEO Markus Bütler noch auf dem Eis. Nutzen die St. Galler am Mittwochabend ihren ersten Matchpuck?