Zwei Jahre nach dem Aufstieg in die Bundesliga hat Urs Fischer Union Berlin in den Europacup geführt. Im Gespräch mit «blue News» sagt der Zürcher auch, warum er nicht Nati-Trainer werden wollte.
Urs Fischer, viele Fans hätten Sie gerne als Nati-Trainer gehabt. Kam das Angebot einfach zur falschen Zeit?
Urs Fischer: Sag niemals nie, aber im Moment stellte sich die Frage für mich gar nicht, mir macht der Job bei Union Spass.
Sehen Sie sich also prinzipiell eher als Vereinstrainer?
Ich hatte deutlich geäussert, dass mir die tägliche Arbeit Spass macht. Ich brauche das. Aber das Angebot war nun auch nicht so konkret, dass ich mir tiefer Gedanken machen musste. Und das hatte vielleicht wiederum mit meiner Aussage zu tun. Aber klar, Vereinstrainer ist definitiv eine andere Aufgabe.
Diese Aufgabe erfüllen Sie ja bei Union auch in der neuen Saison wieder sehr gut. Noch keine Niederlage in der Bundesliga, Teilnahme an der Conference League. Leider sind Sie nicht mit Basel in eine Gruppe gekommen. Bedauern Sie das?
Ich hatte keinen speziellen Wunsch. Aber wir haben eine interessante Gruppe bekommen.
Eine Gruppe mit Feyenoord Rotterdam, Slavia Prag und Maccabi Haifa. Beim FCB sprechen die Fans dagegen von einer Horrorgruppe: Karabach, Almaty und Omonia Nikosia. Seufzt man da als Trainer nicht über fehlendes Losglück?
Wenn ich ganz ehrlich bin, dachte ich schon, das ist jetzt nicht gerade die einfachste Gruppe für Basel. Von den langen Reisen her nicht. Vor allem aber sind die Spiele ganz sicher nicht einfach.
Eklige Spiele.
Muss man so sagen, ja. Aber man nimmt an einem Wettbewerb teil, am Schluss gibt es eine Auslosung. Wunschkonzert, das gab es früher im Radio DRS. Im Fussball gibt es das nicht.
Freut es Sie, dass es dem FCB, Ihrem Ex-Klub, läuft im Moment?
Ja. Auf der einen Seite pflege ich immer noch den Kontakt zu einigen Leuten. Und auf der anderen Seite muss ich sagen, ich durfte fantastische zwei Jahre im Verein erleben. Zwei Jahre, in denen ich den Rucksack so füllen konnte, dass ich die Aufgabe, zweite Bundesliga und jetzt erste Bundesliga mit Union, überhaupt stemmen konnte. Das waren unheimlich wichtige Erfahrungen. Und nun läuft es und es sieht so aus, als könne Basel wieder ein Wörtchen mitreden.
Kann man den Erfolg darauf zurückführen, dass endlich Ruhe im Verein eingekehrt ist?
Ich werde mich dazu nicht äussern. Wenn du nicht am Puls bist, sind es einfach Vermutungen. Und da tut man gut daran, zu schweigen. Obwohl ich immer wieder staune, wie viele sich offenbar äussern müssen und das Gefühl haben, dass sie Bescheid wissen. Das muss ich schon dazu sagen.
Das Transfergeschehen war in diesem Jahr brutal hektisch. Sind Sie ruhig geblieben?
Ja. Denn ich konnte das Geschehen ja nicht beeinflussen.
Wenn Sie auf die irren Summen schauen, die da im Spiel waren: Reagiert da auch ein Trainer wie ein normaler Mensch und schüttelt den Kopf?
Logisch denke ich manchmal, wohin führt das eigentlich noch? Aber es gibt viele Entwicklungen, wo man den Kopf schütteln könnte. Nicht nur im Fussball. Es ist der Markt. Man passt sich dem Markt an. Am Schluss hat es einfach mit Angebot und Nachfrage zu tun.
Manchmal scheint man sich dem Markt etwas zu widersetzen. Der FCB etwa hat Arthur Cabral jetzt erstmal gehalten. Aber zu Ende ist das Theater um ihn nicht.
Natürlich scheint Cabral ein wichtiger Spieler für den FC Basel. Und als Trainer hilft es sicher nicht, wenn du einen solchen Spieler verlierst. Aber es gibt auch eine wirtschaftliche Seite. Wenn die entsprechende Summe, die man sich wünscht, bezahlt wird, dann hilft das den Mitarbeitern des Vereins. Ein professioneller Fussballverein ist ja ein mittleres KMU. Das wird oft vergessen. Die Leute, die da in der Verantwortung stehen, müssen abwägen.
Dennoch, als Trainer will man die Spieler behalten.
Sicher, bei Union hatten wir mit Robert Andrich, der zu Leverkusen gewechselt hat, jetzt auch einen Abgang, der uns rein sportlich betrachtet nicht geholfen hat. So funktioniert Fussball.
Aber Ihnen hilft vielleicht etwas anderes. Die Fans. Sie sind ja wieder da. Und Union hat ein lautstarkes Publikum. Carlos Varela hat kürzlich im «Heimspiel» gesagt, dass die Atmosphäre im Stadion Spiele entscheiden kann. Sehen Sie das auch so? Oder ist das nach Corona einfach so eine befreiende Vorstellung, die aber nicht faktenbasiert ist?
Wir haben jetzt ein Jahr ohne Zuschauer gespielt. Und ich muss schon sagen, es ist einfach nicht zu vergleichen, wie wenn Zuschauer im Stadion sind. Im Moment sind wir in der Alten Försterei bei 50 Prozent Auslastung. Ich weiss jetzt gar nicht, ob das in allen Bundesländern so ist. Aber schon nur diese 50 Prozent machen wahnsinnig viel aus. Gerade im letzten Heimspiel gegen Gladbach. Du führst 2:0, es ist ein umkämpftes Spiel. Da peitscht dich ein solches Publikum, wie wir es haben, schon voran. Das setzt Energie frei.
Also ein entscheidender Faktor?
Logisch. Wenn du ein ausgeglichenes Spiel hast, in Rückstand gerätst, den Anschlusstreffer erzielst, was da an Energie kommt, das gibt eine enorme Übertragung auf den Platz. Was wir nach diesem Jahr ohne Zuschauer verstanden haben: Dass man Fussball primär für den Fan spielt. Fussball und Zuschauer, das gehört zusammen.
Noch so ein externer Faktor: Kunstrasen. Bei YB heisst es immer, dass sie vom Kunstrasen profitieren. Fakt oder Fantasie?
Aus meiner Zeit als Trainer in Thun, wo wir auch einen Kunstrasen hatten, kann ich sagen: Das ist uns sicher entgegengekommen. Es ist ein Vorteil, logisch. Sie sind sich den gewohnt, denn wer auf Kunstrasen spielt, trainiert auch auf Kunstrasen. Aber man hat ja auch einen Nachteil, denn man spielt jedes zweite Wochenende auf Naturrasen. Ich muss aber auch eines sagen: Die Kunstrasen sind heutzutage von einer Qualität, dass man kaum noch einen Unterschied zu einem Naturrasen verspürt. Sagen wir so, für technisch gute Mannschaften ist Kunstrasen nicht ein so grosser Nachteil, aber es ist dennoch ein wenig ungewohnt.
In Berlin sind 90 Prozent der Fussballfelder Kunstrasen. Wer heute als Jugendlicher Fussballspielen lernt, lernt es auf Kunstrasen. Ist das nicht eh die Zukunft?
Glaube ich nicht, das sagt man schon lange, aber 90 Prozent der Profiplätze in Deutschland sind Naturrasen. Nun kommt es aber auch auf die Witterungsverhältnisse an, die in den verschiedenen Ländern herrschen. Es gibt Länder, wo der Kunstrasen absolut Sinn macht, ein perfekter Kunstrasen ist dann von der Qualität her doch noch etwas anderes als ein Acker. Gerade in den Wintermonaten. Ich sehe doch hier in Deutschland, wie schwierig es ist, den Rasen einigermassen auf einem Niveau zu halten, wenn es nass und kalt ist.
Neben dem Rasen gibt es manchmal eine Leichtathletikbahn. Im Letzigrund zum Beispiel. Ihr Heimatverein, der FCZ, kämpft seit Jahren für ein eigenes Stadion. Eigentlich ist die Sache beschlossen, aber nun gibt es immer neue Einsprachen.
Ich glaube, dazu muss man eigentlich gar nichts mehr sagen. Wann war die erste Abstimmung? 2003, glaube ich. Eine Mehrheit war für ein Fussballstadion, und war es wieder bei einer weiteren Abstimmung. Ich bin der Meinung, wenn das Stimmvolk ja sagt, gilt es den Entscheid umzusetzen. Du kannst es nicht allen recht machen. Deshalb gibt es ja die Abstimmung. Es ist für beide Zürcher Klubs, also auch für GC, nicht einfach, denn ein reines Fussballstadion macht schon was aus. Da spricht man dann von Einnahmequellen, die fehlen.
Dennoch steht der FCZ in der Super League an der Tabellenspitze. Hat er Chancen auf den Meistertitel?
Das fragen Sie mich nach fünf Spieltagen? Die Meisterschaft ist ein Marathon und nicht ein Sprint.
Die Super League definiert sich ja mangels Geld als Ausbildungsliga. Bei YB klappt das sehr gut, da viel aus der eigenen Jugend kommt. Bei Basel dagegen sind es nicht mehr so viele wie auch schon, dafür hat man jetzt gerade reihenweise internationale Talente eingekauft. Zu Ihrer Zeit war das noch anders. Warum?
Nicht nur bei YB, auch bei St. Gallen und beim FCZ gibt es Spieler aus der eigenen Jugend. Bei Basel kann es halt auch damit zusammenhängen, dass es schwächere und stärkere Jahrgänge gibt. Es gab ausserordentliche Jahrgänge mit Spielern wie Xhaka, Embolo, Shaqiri. Wir sprechen hier von der Ebene: Weltfussball. Das muss man so sagen. Und das hat man halt nicht immer.
Junge Spieler brauchen aber auch Zeit, die man bei Basel vielleicht nicht mehr und in der Bundesliga vielleicht noch weniger hat. In der ersten Mannschaft von Union spielt momentan kein einziger aus der eigenen Jugend.
Schauen Sie, am Schluss musst du erfolgreich sein, egal wie du es machst. Am Schluss muss auch jeder Verein ein bisschen für sich selbst herausfinden, welche Philosophie zu ihm passt. Aber auch in Deutschland wird Wert auf die Ausbildung gelegt. Und es gibt viele gute Beispiele.
Warum hat es mit dem Wechsel von Becir Omeragic zu Union im Frühjahr nicht geklappt?
Ich war an den Gesprächen nicht dabei.
Union hat ja auch ohne Omeragic eine starke Verteidigung. Trimmel zum Beispiel, der Captain der Mannschaft. Österreichischer Nationalspieler. Österreich ist auf Vereinsebene viel erfolgreicher als die Schweiz in den letzten Jahren. Was machen die besser als die Schweizer?
Auch da gibt es doch Phasen. Wir hatten eine Phase, wo der FC Basel sehr erfolgreich war. Jetzt hatten wir ein wenig eine schwächere Phase. Und da gibt es ja auch eine Fünfjahres-Wertung, wo wir ein wenig darunter leiden. Aber jetzt sammelt die Schweiz gerade wieder enorm viele Punkte, und ich glaube, bei Österreich war es vorher gerade andersrum, da hatte man eigentlich nur zugeschaut. Nun hat man mit Redbull Salzburg halt ein Zugpferd, das sich für die Champions League qualifiziert und Punkte sammelt.
Ich kann mich allerdings noch erinnern, dass Salzburg sechsmal versucht hat, in die Gruppenphase der Champions League zu kommen, und es nicht geschafft hat. Was mich etwas ärgert: Man nimmt eine Momentaufnahme und projiziert da was hinein. Da muss man auch mal eine schwächere Phase aushalten können. Oder haben Sie das Gefühl, es geht immer bergauf? Wir müssen weiter daran arbeiten – da spreche ich jetzt einfach als Schweizer –, uns zu qualifizieren, auch wenn es nur die Conference League ist, «nur» in Anführungszeichen, wie ich betonen möchte.
Basel und YB, die holen die Punkte.
Die anderen müssen auch Punkte sammeln, ist doch logisch.
Können Sie sich vorstellen, eines Tages wieder einen Schweizer Verein zu trainieren.
Ich kann mir alles vorstellen.
Neben dem Fussball ist Ihre Leidenschaft das Fischen. Genauer: Das Fliegenfischen. Fischen Sie eigentlich nur mit der Fliege? Das geht hier in Brandenburg und Berlin doch gar nicht.
Dazu muss ich sagen, früher in der Schweiz war ich ein Flussfischer und ein Seefischer. Wie man es kennt. Im Fluss mit Laufrolle, oder vom Boot aus mit Spinnrute, Setzrute, aber vor allem auf Raubfisch. Zielfisch waren Barsch, Zander und Hecht. Und dann kam das erste Trainingslager mit dem FC Basel. Wir waren in Crans-Montana. Und mit Germano Vailati hatten wir einen Goalie, der ein Profi-Fliegenfischer war.
Eines Nachmittags meinte er, dass er in die Höhe gehe, dort gebe es ein Staubecken mit eingesetzten Regenbogenforellen. Da sagte ich, da komme ich mit, trinke ein Bier und schaue euch ein bisschen zu. Der Assistenztrainer war auch dabei, der war vorher schon bei Basel, und konnte schon ein wenig Fliegenfischen. Ich schaute denen also bei meinem Bierchen zu und sie fragten, willst du es nicht auch einmal versuchen? Ich hatte mich gewehrt. Fliegenfischen ist nichts für mich, dachte ich. Bis ich dann die Rute in der Hand hatte. Ein, zwei Würfe genügten, seither habe ich eine neue Leidenschaft entdeckt.
Und seither nie mehr mit dem Löffel auf Hecht?
Doch, doch, aber mehrheitlich bin ich mit der Fliege unterwegs.
Aber in Brandenburg und Berlin gibt es wirklich nicht viele Möglichkeiten.
Nein, es ist nicht einfach, absolut nicht, weil die Gewässer eher stehend sind, weil eben alles flach ist.
Dafür könnte man in der Oder auf Wels gehen.
Das ist nicht mein Zielfisch. Nein, wir setzen uns ins Auto, fahren rund zwei Stunden bis ausserhalb von Brandenburg und dann gibt es Möglichkeiten. Ganz tolle Gewässer. Geht aber natürlich nur, wenn man einen Tag freihat.
Waren Sie schon mal in der Schweizer Botschaft in Berlin?
War ich, hat aber ein bisschen gedauert. Wir waren schon nahe an einem Treffen mit dem Botschafter, dann war dieser aber krank, und der Termin fiel aus. Wir versuchten es circa fünfmal. Vor drei Wochen haben wir ein Interview in der Schweizer Botschaft gemacht. Und so kam ich endlich in den Genuss, mal Grüezi zu sagen.
Es gibt in Berlin auch ein, zwei Beizen, wo man sauber Fondue essen kann.
Sie meinen die «Schwarze Heidi» in Kreuzberg? Aber logisch. Da waren wir schon mehr als einmal.
Und juckt es den Trainer und Ex-Profi eigentlich noch, an einem freien Abend mal selber zu kicken?
Juckt mich nicht, muss ich sagen. Es ist weniger als sporadisch, dass ich mal an einem Plauschmatch mitmache. Jedes Mal bekomme ich die Einladung für die Alt-Internationalen. Ich kann aber nie dabei sein. Es fehlt einfach die Zeit. Darum komme ich auch gar nicht in die Versuchung, ein Gefühl zu haben, es fehle mir etwas.