Jubel auf der einen, grosse Empörung auf der anderen Seite. Nach dem deutschen Klassiker steht nicht der offene Schlagabtausch zwischen Dortmund und Bayern im Vordergrund, sondern Schiedsrichter Zwayer.
«Vielleicht möchte ich gar nicht über den guten Mann reden. Das Spiel hätte einen anderen Ausgang und eine andere Entscheidungsfindung verdient», sagt ein sichtlich angefressener BVB-Trainer Marco Rose nach dem Schlusspfiff. Und tut es dann doch. «Herr Zwayer kann ruhig noch ein paar BVB-Spiele pfeifen. Wir sind hier, wir sind bereit. Er kann uns noch ein paar Steine und Stöcke in den Weg werfen. Wir machen weiter», so Rose.
Mittelfeldmotor Jude Bellingham wählt gar noch drastischere Worte. «Du gibst einem Schiedsrichter, der schon in Spielmanipulation verwickelt war, das grösste Spiel in Deutschland. Was erwartest du?», nimmt der erst 18-Jährige im Interview mit einem norwegischen Sender kein Blatt vor den Mund – und schiesst so übers Ziel hinaus.
Der englische Nationalspieler spielt auf den Fall um Robert Hoyzer an, der 2005 Spiele in Deutschland manipuliert hatte. Zwayer gehörte damals zu den Kronzeugen und wurde vom Landgericht Berlin wegen Beihilfe zum Betrug zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten ohne Bewährung verurteilt. Zudem wurde er rückwirkend vom DFB für mehrere Monate gesperrt, weil er den Verdacht gegen Berufskollege Hoyzer nicht früher gemeldet hatte. Doch mittlerweile ist Zwayer längst rehabilitiert, 2014 wird er gar zum DFB-Schiedsrichter des Jahres ausgezeichnet.
«Bei der Ungleichbehandlung ist es aus mir rausgeplatzt»
Auslöser für den grossen BVB-Frust ist in erster Linie der spielentscheidende Elfmeter für Bayern in der 78. Minute. Erst nach Konsultation des Videos entscheidet Zwayer auf Handspiel von Hummels – und lässt damit insbesondere BVB-Trainer Rose an der Seitenlinie verzweifeln.
Kurz darauf markiert Robert Lewandowski den Siegtreffer für die Bayern, der fuchsteufelswilde Rose wird auf die Tribüne verbannt. «Ich habe ihm gesagt, dass er bei einigen Aktionen nicht richtig lag und dann bekommt man Rot. Bei der Ungleichbehandlung ist es aus mir rausgeplatzt.» Captain Marco Reus meint, als er sich die Szene noch einmal anschaut: «Oh man! Das finde ich hart. Mats versucht mit dem Kopf zum Ball zu gehen. Natürlich braucht er dafür seinen Körper.»
Bei aller Kritik hat Zwayer nach dem Schlusspfiff aber eine plausible Erklärung. «Der VAR hat für sich eine Beurteilung genommen und gesagt, dass Hummels den Arm in einer unnatürlichen Armhaltung vom Körper weggestreckt hat. Daraufhin habe ich es mir am Monitor angeschaut und bin zum Ergebnis gekommen, dass es ein strafbares Handspiel ist», sagt der gerügte Unparteiische bei Sky.
Eine zweite umstrittene Szene
Was seinem Penaltypiff aber zusätzliche Würze verleiht, ist eine Szene wenige Minuten zuvor. Mit einem grenzwärtigen Tackling bringt Bayern-Verteidiger Hernandez BVB-Captain Marco Reus im Strafraum zu Fall. Zwayers Pfeife bleibt stumm, genau wie der VAR. «Oh mein Gott. Wenn ich die Szene jetzt sehe, muss er sich das nochmal angucken. In der Zeitlupe sieht es sogar noch heftiger aus», kritisiert der direktbeteiligte Reus. «Das sind zwei entscheidende Szenen und Momente, die man für uns bewerten kann.»
Dass Haaland vor dem vermeintlichen Foul an Reus möglicherweise im Abseits steht, ist für den BVB wohl nur ein schwacher Trost. «Wir hatten immer das Gefühl, dass wir das Spiel gewinnen können. Und dann ist es natürlich doppelt bitter, wenn wir so bestraft werden», sagt Reus.
Kommt hinzu, dass die Abseitsstellung in der Entscheidungsfindung des Schiedsrichters offenbar keine Rolle gespielt hat. «Wir freuen uns über robuste Zweikampfführung, auch in hohem Tempo. Es war ein harter Zweikampf, aber ich habe mich gegen einen Strafstoss entschieden. Weil ich eine sehr eindeutige Wahrnehmung hatte, habe ich es mir nicht angesehen», erklärt sich Zwayer.
Das Mitgefühl von Müller
Dem Ärger auf der Gegenseite kann man bei den Bayern nachfühlen. «Hernandez geht mit dem Oberkörper rein. Und natürlich kannst du den Elfmeter geben. Das gehört zum Fussball dazu und das ist bitter, dass so eine Szene das Spiel entscheidet. Ich kann den Frust verstehen», sagt etwa Thomas Müller.
Trainer Julian Nagelsmann pflichtet bei. «Ich verstehe, dass die beiden Situationen Diskussionen auslösen können. In meinen Augen kann man beide Elfmeter geben», sagt er. Die Freude über den bedeutenden Auswärtssieg trübt das aber nicht: «Auf diese drei Punkte sind wir sehr stolz.»