Schmuddelwetter hin oder her «Zecken sind jetzt bereit für ihre nächste Blutmahlzeit»

Von Uz Rieger

30.4.2023

Eine Zecke unter dem Elektronenmikroskop: Mit wärmeren Temperaturen legen sich die Spinnentiere auf die Lauer. 
Eine Zecke unter dem Elektronenmikroskop: Mit wärmeren Temperaturen legen sich die Spinnentiere auf die Lauer. 
Archivbild: Keystone

Das nasse und kühle Wetter ist bald überstanden, die kommende Woche soll eine Aufhellung bringen. Wenn es dich dann ins Grüne zieht, ist Vorsicht angebracht: Zecken lauern bereits auf ihre Opfer. 

Von Uz Rieger

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Trotz des eher kühlen und regnerischen Frühlings sind Zecken jetzt aktiv.
  • Ob es wegen des kühlen Winters zu einer «Zecken-Invasion» kommt, ist aufgrund fehlender Zahlen schwer abzuschätzen. 
  • Der Klimawandel kommt den Parasiten aber in jedem Fall entgegen.
  • Die Zahlen von FSME-Infektionen sind stark gestiegen.
  • Eine Impfung kann vor einer Erkrankung zuverlässig schützen.
  • Auch das Freizeitverhalten ist relevant für das Risiko von Zeckenbissen: Wer sich viel im Wald und auf der Wiese aufhält, sollte sich vorsehen.

Wenn du bei frühlingshaftem Wetter durch den Wald oder über Wiesen streifst, tust du deiner Gesundheit etwas Gutes. Allerdings riskierst du auch schmerzhafte Zeckenbisse. Besonders fies: Die Spinnentiere können gefährliche Krankheiten übertragen, etwa die durch Bakterien ausgelöste Borreliose oder die durch Viren verursachte Frühsommer-Meningoenzephalitis, kurz FSME.

Nach einem recht trockenen und vor allem warmem Winter ist zu befürchten, dass die Parasiten sich in diesem Jahr sprunghaft vermehren. blue News wollte es genau wissen und hat beim Zecken-Experten Werner Tischhauser von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW nachgefragt: Droht dieses Jahr eine Zecken-Invasion?

Weil niemand die Tiere standardisiert und systematisch sammle, sei das schwer zu beantworten, erklärt Tischhauser, der auch für die Schweizer Patientenorganisation für Zeckenkranke informiert. Allerdings sei der zurückliegende Winter einer der mildesten seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen.

Jetzt ist Zeckensaison

Und je milder die Temperaturen seien, desto mehr werde auch die Aktivität der Zecken begünstigt. Für die Spinnentiere sei dabei die Marke von 7 Grad wichtig, denn sie entscheide, ob die Tiere in die Winterstarre fallen oder aktiv bleiben.

Jetzt im Frühling würden die Tiere aber in jedem Fall aktiv. «Die Zecken beginnen sich aus ihrer Winterstarre zu lösen, fahren ihre Körperfunktionen hoch und ab dann sind sie bereit für die nächste Blutmahlzeit. Ein Kälteeinbruch, wie wir ihn in den letzten Tagen hatten, stört sie dabei aber nicht gross. Ab jetzt ist ganz sicher Zeckensaison», sagt Tischhauser.

Der Klimawandel spiele den Blutsaugern auch noch in die Hände, denn dadurch würden ihre Aktivitätszeiten ausgeweitet. «Das Problem wird also grösser werden», ist sich der Wissenschaftler sicher. Als Indiz für eine Ausbreitung der Zecken seien die Infektionszahlen zu werten, die standardisiert erfasst würden.

Starke Zunahme bei FSME-Fällen

Stärkster Indikator seien dabei die FSME-Fälle, bei denen es in den letzten zehn Jahren eine Verdoppelung gegeben habe. «Wir bewegen uns hier auf einem sehr hohen Niveau. In der langfristigen Entwicklung muss man mit einer Zunahme der Infektionen rechnen», sagt Tischhauser.

Dabei weist der Experte auf einen häufig vernachlässigten Faktor hin, der für die Krankheitsfälle ebenso relevant sei wie die Zunahme von Zecken, die die Erreger in sich tragen: Das Freizeitverhalten verschiebe sich weiter ins Freie, durch populäre Sportarten wie Golf, Jogging, Trailrunning oder vor allem den Schweizer Nationalsport, das Wandern. 

Auch beim Arbeiten im Garten exponiere man sich Zeckenbissen: «Wie sehr es zu Krankheitsfällen kommt, hängt mindestens zur Hälfte auch von den Aktivitäten der Bevölkerung ab», sagt der Experte. «Wenn Menschen nicht rausgehen, dann passiert auch nichts.»

Impfung schützt vor FSME-Erkrankung

Zwar gebe es kein allumfassendes Mittel, das vor Krankheitsinfektionen durch Zecken schütze, immerhin habe man aber wenigstens mit einer gut verträglichen Impfung FSME im Griff. Dem stünden allerdings Schweizer Eigenarten entgegen: «Die Schweiz ist für ihre tiefe FSME-Impfrate bekannt. Die Impfmüdigkeit im Zuge von Corona und ein fehlendes Problembewusstsein sind dabei ebenfalls ein Hindernis.»

Wem empfiehlt Tischhauser die Impfung? Hier komme es sehr darauf an, wie häufig und wo man sich draussen aufhalte. Wer lediglich auf einer befestigten Waldstrasse spazieren gehe und sich nicht ins Grüne bewege, etwa um Pilze zu sammeln, sei nicht gefährdet. Anders sei es bei Naturliebhaber*innen: «Denen empfehle ich das sowieso – und auch der Altersgruppe 50 plus, die eine höhere Wahrscheinlichkeit von schweren FSME-Verläufen hat.»

Offizielle Risikokarten für bestimmte Regionen, anhand derer sich viele orientieren, seien «mit Vorsicht zu geniessen», sagt Tischhauser, weil die Menschen so fleissig herumreisen. Deshalb mache eine Impfung in der Schweiz grossflächig Sinn: «Man kann auch schwer sagen, wo es wirklich einen Hotspot gibt. Die Borreliose ist etwa in der ganzen Schweiz vorzufinden. Borrelien findet man in 15 bis 20 Prozent der Zecken. Bei FSME ist es viel kleinräumiger, aber die Karten spiegeln hier eine falsche Realität vor. Man kann nicht sagen, diese oder jene Gemeinde ist sicher.»