Mörderisches Genie Wie sein Manifest dem Unabomber zum Verhängnis wurde 

Von Philipp Dahm

3.4.2021

Am 3. April vor 25 Jahren hat das FBI den Unabomber verhaftet: 17 Jahre dauerte die Jagd nach dem mehrfachen Mörder, der sich ausgerechnet durch das Manifest verraten hat, das er  der US-Presse geschickt hatte.

Wir schreiben das Jahr 1995. Seit 17 Jahren terrorisiert ein Unbekannter die USA, indem er selbstgebaute Bomben deponiert oder verschickt. Drei Menschen hat der Täter seit 1978 auf diesem Weg getötet und 23 zum Teil schwer verletzt.

Doch selbst wenn seine Sprengsätze nicht hochgehen, hinterlässt der Anonymus keine Spuren: keine Fingerabdrücke, keine DNA, nichts. Er mischt sogar seinen Klebstoff selber, entfernt Oberflächen von Batterien, damit sie nicht zurückverfolgt werden können, legt falsche Fährten. Seine Opfer findet der Täter erst an Universitäten, dann im Umfeld von Computerläden, bevor es auch Menschen aus Marketing und der Industrie-Lobby trifft.

14 Briefe schickt der Gesuchte an Behörden und Medien – und nur einmal erspäht ihn eine Frau aus einem Geschäft heraus, als der Mann eine seiner Bomben auf einem Parkplatz platziert. Diese detoniert, als der Ladenbesitzer sie entfernen will. Das Phantombild aus dem Gedächtnis der Zeugin ist die einzige Spur, die die Behörden haben, als der Täter sich 1995 an die «New York Times» (NYT) und die «Washington Post» wendet.

Das überführende «Manifest»

Die Zeitungen sollen einen Artikel von ihm abdrucken – nur dann werde er aufhören, seine tödlichen Pakete zu verschicken. Die Zeitungen veröffentlichen schliesslich «Industrial Society and Its Future» am 19. September 1995. Sein «Manifesto» ist Pamphlet gegen Industrialisierung und technischen Fortschritt, das eine Rückkehr zu einem agrarisch geprägten Leben in Gruppen von maximal 30 Personen postuliert.

Was der Täter nicht ahnt: Die Publikation ist eng mit den Strafverfolgern abgesprochen. Und das FBI, die US-Bundespolizei, erreicht mit der Veröffentlichung ihr Ziel. Die Thematik und der eigenwillige Schreibstil fallen jemandem auf. Die Schwägerin des Täters erzählt ihrem Mann von ihrem Verdacht, und David Kaczynski geht zur Polizei. Er übergibt ein 23-seitiges Dokument aus der Feder seines Bruders Ted – quasi eine verkürzte Version des «Manifestos».

Die Hütte des Täters in Lincoln, Montana.
Die Hütte des Täters in Lincoln, Montana.
Bild: Keystone

Es ist eine linguistische Analyse, die möglicherweise zum ersten Mal überhaupt die Basis für einen Durchsuchungsbefehl bildet. Am 3. April 1996 wird Ted Kaczynski in seiner abgelegenen Hütte im US-Bundesstaat Montana verhaftet, die weder Strom noch fliessend Wasser hat. Bei der Durchsuchung findet das FBI Zubehör zum Bombenbau und weitere Beweise: Die Jagd nach dem Unabomber scheint ein Ende zu haben.

Kaczynski 1994.
Kaczynski 1994.
Bild: Keystone

Genialer Aussenseiter

Die Hütte ist der Rückzugsort eines Eremiten, der mit der Gesellschaft abgeschlossen hat und Technik wie auch die Industrie hasst. Langsam dämmert den Ermittlern, warum es 17 Jahre gedauert hat, ihren Mann aufzuspüren. Weil viele der ersten Opfer aus dem universitären Umfeld stammen, wähnten sie dem Täter nicht im wissenschaftlichen Bereich und suchten zudem nach einem zehn Jahre jüngerem Typen.

Ted Kaczynski, Jahrgang 1942, fällt durch dieses Fahndungsraster durch. Er wächst zusammen mit seinem Bruder David in Chicago, Illinois, als Sohn polnischer Einwanderer auf. Wegen Nesselfieber verbringt er als Kind viel Zeit im Spital. Auf der Junior High School wird Ted ein IQ von 167 attestiert. Ted hat Freunde, doch das ändert sich, als er eine Klasse überspringt.

Aussenseiter: Kaczynski circa 1958.
Aussenseiter: Kaczynski circa 1958.
Bild:  Gemeinfrei

Fortan ist er ein Aussenseiter, wird gehänselt, gilt als «wandelndes Gehirn». Das Genie überspringt eine weitere Klasse, bewirbt sich am Harvard College und wird dort 1958 angenommen, als er 16 Jahre alt ist. Sowas gab es noch nie. Ted studiert vier Jahre Mathematik – und nimmt dabei auch an Studien des psychologischen Instituts teil, die heute fragwürdig erscheinen.

Forscher-Karriere plötzlich abgebrochen

Denn dabei wurden Studenten verbal niedergemacht, während ihre Reaktionen aufgezeichnet wurden. Rund 200 Stunden hat sich Kaczynski diesen Versuchen ausgesetzt. Später zieht der Mathematiker weiter an die University of Michigan, wo er 1967 seine Dissertation macht. «Ich glaube, es gibt im ganzen Land nur zehn bis zwölf Leute, die das verstehen und würdigen können», staunt ein Mitglied des Prüfungskomitees. 

Glänzende Aussichten: Kaczynski 1968 an der Uni Berkely.
Glänzende Aussichten: Kaczynski 1968 an der Uni Berkely.
Bild:  WikoCommons/Oberwolfach Photo Collection

Das Genie wird prompt nach Berkely berufen und mit 15 Jahren jüngster Assistant Professor der University of California – und tritt 1969 nach nur zwei Jahren ohne Angaben von Gründen zurück. Ted zieht zu seinen Eltern und ab 1971 in der Hütte in Montana – abgeschieden und allein. Er wird zum Einsiedler – und mutiert zum Terroristen, der die Moderne stoppen und die Zeit zurückdrehen will.

Im Prozess gesteht Kaczynski nach einigem juristischen Tauziehen 1998 alle Anschuldigungen, um der Todesstrafe zu entgehen. Er bekommt unter anderem wegen dreifachen Mordes achtmal Lebenslänglich ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung. Ted Kaczynski sitzt seither im Hochsicherheitsgefängnis ADX Flence in Colorado ein.

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