Variante VUI-202012/01 Was wir bisher über die Corona-Mutation wissen – und was nicht

Von Uz Rieger und Julia Käser

21.12.2020

Am Wochenende wurde bekannt, dass eine hochansteckende Corona-Mutation die Fälle in Grossbritannien in die Höhe treibt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur neuen Virus-Variante im Überblick.

Kurz nachdem am Samstag die Zulassung des ersten Impfstoffes in der Schweiz verkündet wurde, folgte eine Hiobsbotschaft aus Grossbritannien: Dort ist eine Corona-Mutation auf dem Vormarsch, die deutlich ansteckender sein soll als bisherige Varianten des Virus. Vieles zur Mutation bleibt vorerst aber unklar. Eine Übersicht. 

Um was für eine Mutation handelt es sich?

Viren mutieren ständig – und so auch das Coronavirus etwa alle zwei Wochen. Dabei ist allerdings nicht immer ausgemacht, dass das Virus auch wirklich gefährlicher wird. Die Virus-Variante, die sich derzeit in Grossbritannien verbreitet, wird unter dem Namen VUI-202012/01 geführt. Laut Nick Loman, Professor für mikrobielle Genomik und Bioinformation an der Universität Birmingham, wurde sie bereits Ende September in England entdeckt und dürfte sich auch hier entwickelt haben.

Nach ersten Erkenntnissen weist die Variante 17 Veränderungen oder Mutationen auf, wobei Forscher davon ausgehen, dass lediglich drei davon potenzielle biologische Effekte haben könnten. Als bedeutendste Veränderung gilt die N501Y-Mutation im Spike-Protein. Das Virus nutzt dieses Protein zur Bindung an den menschlichen ACE2-Rezeptor. Veränderungen an dieser Stelle könnten theoretisch auch dazu führen, dass das Virus infektiöser wird und sich leichter zwischen Menschen ausbreitet.

Wie häufig ist diese Variante aufgetreten?

In Südafrika existiert mit der Variante 501.V2. bereits eine ähnliche Mutation des Coronavirus, die sich jedoch unabhängig von derjenigen in Grossbritannien entwickelt hat. Laut dem britischen Fachmagazin «British Medical Journal (BMJ)» war die Virus-Variante VUI-202012/01 bis zum 13. Dezember 2020 in 1108 Fällen bei rund 60 Behörden im Land registriert worden, wobei eine bedeutend grössere Dunkelziffer erwartet wird.

Die meisten Fälle traten bislang im Südosten Englands auf, einige aber auch in Wales und Schottland. Nachgewiesen wurde das mutierte Virus inzwischen bereits in einigen Ländern, darunter in Australien, den Niederlanden und Dänemark. Zuletzt wurde es auch bei einem Rückkehrer aus Grossbritannien in Italien entdeckt.

Viren vom Typ SARS-CoV-2 (blau) docken unter dem Elektronenmikroskop an eine Zelle (braun) an. Offenbar aufgrund einer Mutation breitet sich das Virus in Grossbritannien bedeutend rascher aus. (Archiv)
Viren vom Typ SARS-CoV-2 (blau) docken unter dem Elektronenmikroskop an eine Zelle (braun) an. Offenbar aufgrund einer Mutation breitet sich das Virus in Grossbritannien bedeutend rascher aus. (Archiv)
Bild: EPA/NIAID- RML/National Institutes of Health

Ist das mutierte Virus bereits in der Schweiz? 

Bisher gibt es in der Schweiz keine bestätigten Fälle des mutierten Coronavirus. Die nationale Covid-Taskforce geht jedoch davon aus, dass die Virus-Variante in kleiner Zahl bereits hier ist. Im Vergleich zu anderen Ländern werde in der Schweiz nur ein sehr kleiner Teil der Fälle sequenziert. Die Taskforce spricht von 100 bis 300 Proben wöchentlich, die genauer untersucht werden – bei Tausenden von Fällen. 

Ist die neue Virus-Variante wirklich 70 Prozent ansteckender? 

Laut dem britischen Premierminister Boris Johnson soll die Corona-Mutation um 70 Prozent ansteckender sein als bisherige Varianten. Im «Spiegel»-Interview bestätigt der Basler Bioinformatiker Richard Neher, dass die neue Variante sich wahrscheinlich besser verbreite. Auf die 70 Prozent Ausbreitungsvorteil will sich Neher aber nicht festlegen: «Es könnten auch 30 oder 40 Prozent sein.» Und: Es sei nicht abschliessend geklärt, welche Rolle epidemiologische Faktoren – zum Beispiel Superspreader-Events – bei der aktuellen Verbreitung spielten. 

Wie der deutsche Gesundheitsexperte und SPD-Politiker Karl Lauterbach angibt, sei es nicht ungewöhnlich, dass Mutationen die Ansteckungsgefahr erhöhen. «Das ist quasi ein Teufelskreis: Mehr Ansteckungen führen zu mehr Mutationsgelegenheiten und damit zu mehr Mutationen. Diese wiederum führen zu mehr Ansteckungen», so Lauterbach zum Redaktionsnetzwerk Deutschland. 

Der bekannte deutsche Virologe Christian Drosten sagte dem Deutschlandfunk indes: «Ich bin jetzt alles andere als beunruhigt, was das angeht». Er wolle die Lage zwar auch nicht verharmlosen, doch die Angaben über eine 70-prozentige höhere Ansteckungsrate im Vergleich zur Ursprungsvariante würden auf einem Schätzwert beruhen. Seiner Meinung nach sei die Datenlage noch sehr lückenhaft und wissenschaftlich nicht belastbar. Zudem hätten die britischen Wissenschaftler klar gemacht, dass sie mindestens bis Mitte der Woche benötigten, um genaue Aussagen zu treffen.

Ist die Variante gefährlicher als andere Mutationen des Virus?

Hier gab Johnson am Wochenende Entwarnung. Bis jetzt gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die neue Corona-Variante gefährlicher ist als die bisherigen. Eine höhere Sterblichkeit liess sich in Grossbritannien zuletzt nicht feststellen. 

Dort wird unter Hochdruck daran gearbeitet, mehr über die Gefahr der neuen Virus-Variante in Erfahrung zu bringen. Grundsätzlich ist man sich unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einig: Mutationen, die Viren ansteckender machen, machen sie nicht unbedingt gefährlicher.

Sind die bestehenden Impfstoffe nutzlos?

Bis jetzt gibt es gemäss den britischen Behörden keine Hinweise darauf, dass Impfstoffe gegen die Mutation weniger effektiv sind. Auch Bioinformatiker Neher geht nicht davon aus, dass sich die Eigenschaften des Virus in den nächsten zwei, drei Jahren derart stark verändern, dass das Immunsystem von geimpften Personen neuere Varianten nicht mehr gut erkenne. Dennoch müsse das Ganze nun genau beobachtet werden. 

Was unternimmt die Schweiz zur Eindämmung?

Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) hat wegen der neuen Coronavirus-Mutation bereits die Flugverkehrs-Verbindungen von und nach Grossbritannien und Südafrika per Sonntagmitternacht eingestellt. Mit dem Flugverbot solle eine weitere Ausbreitung der neuen Virus-Variante verhindert werden, hiess es in einer Mitteilung des Bazl vom Sonntagabend.

Am Montag hat der Bundesrat ein Einreiseverbot für Personen aus Grossbritannien verhängt, das per sofort in Kraft tritt. Zudem müssen sämtliche Personen, die seit dem 14. Dezember aus Grossbritannien oder Südafrika in die Schweiz eingereist sind, rückwirkend in eine zehntägige Quarantäne.

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