«Lärmpegel einer Flugzeugturbine» Zikaden-Invasion in den USA steht kurz bevor 

Von Jürgen Bätz, dpa

19.4.2024 - 00:00

Abermilliarden solcher Zikaden werden bald die USA bevölkern — und ordentlich Lärm machen.
Abermilliarden solcher Zikaden werden bald die USA bevölkern — und ordentlich Lärm machen.
IMAGO/ZUMA Wire

Sie schlummerten jahrelang im Boden, jetzt ist es so weit: Eine Zikaden-Invasion startet. Experten rechnen in Teilen der USA mit mehr als einer Billion der Insekten. Dabei wird es richtig laut.

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  • Die USA werden schon bald von Abermilliarden Zikaden heimgesucht werden.
  • Manche Experten rechnen bis Juni sogar mit mindestens einer Billion der lautstark zirpenden Zikaden.
  • Experten vergleichen schon das Zirpen einer einzelnen männlichen Zikade mit dem Lärm eines Rasenmähers oder eines Motorrads.
  • Dieses Jahr ist besonders bedeutsam, weil es zwei riesige Schwärme etwa zur gleichen Zeit geben wird.
  • Zuletzt hat es eine solche Kombination vor 221 Jahren gegeben.

Der Frühling beschert den USA dieses Jahr ein ungewöhnliches biologisches Schauspiel: eine doppelte Zikaden-Invasion. Abermilliarden Insekten werden Teile der USA bevölkern. Manche Experten rechnen bis Juni sogar mit mindestens einer Billion der lautstark zirpenden Zikaden. Für Insektenhasser ein Horrorszenario, auch wenn die Tiere harmlos sind. Die Zikaden, erkennbar an ihren roten Augen, haben lange auf ihren Einsatz gewartet: Ihre Nymphen – vergleichbar mit den Larven bei anderen Insekten – haben sich schon vor vielen Jahren eingegraben. Im Frühling kommen sie nun nachts aus dem Boden geklettert, sobald sich die Erdtemperatur auf rund 18 Grad erwärmt hat. 

«Nahe am Lärmpegel einer Flugzeugturbine»

Nach dem Schlüpfen häuten sich die Nymphen, legen ihre Aussenskelette – schwarze Chitinpanzer – ab und bevölkern die Bäume. Die männlichen Insekten der Gattung Magicicada beginnen dann, mit ohrenbetäubendem Zirpen eine Partnerin für die Fortpflanzung anzulocken. «In Gebieten mit hoher Konzentration, wenn alle Männchen gleichzeitig zirpen, kann es bis zu 110 Dezibel laut werden, was nahe am Lärmpegel einer Flugzeugturbine ist», erklärt der Entomologe Floyd Shockley vom Smithsonian Naturkundemuseum in Washington der Deutschen Presse-Agentur. «Wenn ich in einem Gebiet mit hoher Zikaden-Konzentration bin, nutze ich oft Ohrstöpsel, weil das nahe an einem Level ist, bei dem Gehörschäden entstehen.» Experten vergleichen schon das Zirpen einer einzelnen männlichen Zikade mit dem Lärm eines Rasenmähers oder eines Motorrads. 

Diese Kombination gab es zuletzt 1803

Dieses Jahr sei besonders bedeutend, weil es zwei riesige Schwärme etwa zur gleichen Zeit geben werde, sagt der Insektenforscher. Diese Kombination, inklusive wahrscheinlich einer kleinen geografischen Überschneidung der Schwärme, habe es zuletzt vor 221 Jahren gegeben, also 1803. «Niemand, der heute am Leben ist, wird das nochmal erleben», betont er. Der grösste Schwarm zyklisch auftretender Zikaden, die sogenannte Brut XIX (römisch 19), schlummerte 13 Jahre unter der Erde, die Brut XIII (13) sogar 17 Jahre. Damals regierte in den USA noch George W. Bush als Präsident, 2007 war auch das Jahr, in dem das erste iPhone auf den Markt kam. Warum die Zikaden sich an bestimmte Erscheinungszyklen halten, können Wissenschaftler nicht sicher sagen. 

Forscher rechnen mit Billionen Zikaden

Experte Shockley geht davon aus, dass in den 17 betroffenen US-Bundesstaaten von April bis Juni über eine Billion Zikaden schlüpfen dürften, also mehr als 1000 Milliarden. «Es dürften auf jeden Fall mehr als eine Billion werden, vielleicht mehrere Billionen.» Auch Forscher der Universität von Connecticut gehen für dieses Jahr von mehreren Billionen Zikaden aus. Die Insekten werden sich vor allem in Waldgebieten niederlassen, eher weniger auf landwirtschaftlichen Flächen oder in städtischen Grünanlagen. Wenn man von etwa einer Billion Zikaden ausgehe und die jeweils zwei bis drei Zentimeter langen Insekten aneinander ketten würde, ergäbe sich eine schier endlose Kette. «Sie würde mehrere Male zum Mond und zurück reichen», schätzt Shockley. 

Die letzte grössere Zikaden-Welle hatte es 2021 gegeben, als Brut X geschlüpft war. In diesem Jahr wird es die ersten grossen Schwärme wohl gegen Ende April in südlichen US-Bundesstaaten geben, etwa in Mississippi, Alabama und Georgia, sobald sich der Boden durch frühlingshafte Temperaturen hinreichend erwärmt hat. Im Mai dürfte sich die Brut XIX, bekannt als Grosse Südliche Brut, dann Richtung Norden und hin zur Ostküste ausbreiten. Spätestens im Juni dürfte es auch in Illinois im Norden der USA richtig losgehen: Im Südteil des Bundesstaats wird sich die Brut XIX ausbreiten, in der Nordhälfte und den anliegenden Bundesstaaten die Schwärme der kleineren Brut XIII, die auch als Nördliche Illinois Brut bekannt ist.

Auf die Fläche von etwa einem halben Fussballfeld könnten in manchen Gebieten Experten zufolge mehr als eine Million Zikaden kommen. «In Teilen Chicagos mussten sie das letzte Mal, als die Brut XIII geschlüpft war, Strassen und Gehwege mit Schaufeln von den toten Zikaden befreien», schildert Shockley. 

Tote Zikaden als Bodendünger und Vogelfutter

Zikaden, die sich vor allem von Pflanzensäften ernähren, sind jedoch nicht mit einer biblischen Heuschreckenplage vergleichbar: Während ihres bis zu sechs Wochen kurzen Lebens nach dem Schlüpfen plündern sie keine Äcker und verwüsten keine Landschaften oder Gärten. Im Gegenteil: Wenn die erwachsenen Zikaden massenhaft sterben, werden ihre leblosen Körper den Boden düngen. «Das ist gut für die Bäume», betont Shockley. 

Zikaden können sich kaum verteidigen und sind zudem keine guten Flieger, bisweilen fallen sie schlicht zu Boden – was Vögeln, Eichhörnchen und anderen Tieren reichlich Futter bietet. Viele werden gefressen, doch ihre Überlebensstrategie basiert auf dem massenhaften Auftreten. Wenn die Männchen mit ihrer lautstarken Werbung Erfolg haben und die weiblichen Tiere befruchtet sind, schlitzen letztere junge Baumzweige auf und legen ihre Eier dort hinein. Die erwachsenen Zikaden sterben bald nach ihrem ersten und letzten Akt der Fortpflanzung. Nach mehreren Wochen schlüpfen die Nymphen, die sich dann jahrelang in den Boden eingraben. Dort leben sie von einer nährstoffreichen Flüssigkeit, die sie aus Baumwurzeln saugen. In den Jahren 2037 beziehungsweise 2041 werden dann die nächsten Generationen der Brut XIX und Brut XIII schlüpfen. 

Von Jürgen Bätz, dpa