Forscher zum James-Webb-Teleskop «Ich glaube an Leben ausserhalb der Erde»

Von Philipp Dahm

15.5.2022

Forscher zum James-Webb-Teleskop: «Ich glaube an Leben ausserhalb der Erde»

Forscher zum James-Webb-Teleskop: «Ich glaube an Leben ausserhalb der Erde»

Adrian Glauser von der ETH Zürich arbeitet seit 18 Jahren am James-Webb-Teleskop mit. Ein Gespräch über den Urknall, ausserirdisches Leben und die Astronomie in der Zukunft.

13.05.2022

Adrian Glauser von der ETH Zürich arbeitet seit 18 Jahren am James-Webb-Teleskop mit. Ein Gespräch über den Urknall, ausserirdisches Leben und die Astronomie in der Zukunft.

Von Philipp Dahm

Herr Glauser, Sie haben am James-Webb-Weltraumteleskop mitgearbeitet. Wie viele Wissenschaftler haben beim Bau mitgemacht?

Das ist schwer zu beantworten, weil es extrem viele sind und niemand das genau gezählt hat. Wir reden hier sicherlich von mehreren Tausend Wissenschaftlern und Ingenieuren: Ich denke, es geht in die Zehntausend.

Und wie viele kommen aus der Schweiz?

Hier waren es relativ wenig: Wir haben mit Industriepartnern gearbeitet und wenn man alle zusammenzählt, kommen wir auf etwa 40 Leute.

Was haben Sie zum Projekt beigetragen?

Zur Person

Adrian Glauser lehrt am Institut für Teilchen- und Astrophysik der ETH Zürich. Der Schweizer war ausserdem am Cern in Genf, beim Paul-Scherrer-Institut in Villigen und am deutschen Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg tätig.

Wir haben Hardware beigetragen, aber das ist natürlich schon lange her: Für das Infrarot-Instrument haben wir zwei Komponenten entwickelt. Aber wir unterstützen auch seit Jahren schon die wissenschaftliche Kalibrierung der Instrumente sowie die Entwicklung der Pipeline, in der die Daten ausgewertet werden.

Bisher verläuft die Mission erfolgreich: Sind Sie im Zeitplan?

Seit April haben wir first light und das Teleskop ist scharf. Jetzt nehmen wir die verschiedenen Betriebsmodi der Instrumente in Betrieb und kalibrieren die Instrumente. Es gibt einen sehr komplexen Fahrplan, den wir abarbeiten. Zwischen Ende Juni und Anfang Juli werden wir dies abschliessen und die Instrumente werden dann beginnen, wissenschaftliche Arbeit zu machen.

Das James-Webb-Telekop auf einem undatierten Bild im Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland.
Das James-Webb-Telekop auf einem undatierten Bild im Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland.
EPA

Können Sie sich bei den Vorarbeiten bereits ein Bild davon machen, was das Teleskop leistet?

Ja, genau. Ich darf aber nicht mehr sagen, als schon publiziert ist. Aber man sieht schon bei den ersten Daten Fantastisches, das ist sehr, sehr vielversprechend. In vielen Bereichen arbeitet das Instrument sogar besser als erhofft. Insofern sind alle sehr glücklich.

Sind Sie als Wissenschaftler begeistert von dem, was gerade passiert?

Absolut, das ist ein Riesenhighlight. Ich bin seit 18 Jahren in dieses Projekt involviert. Als wir angefangen haben, war der Start 2011 angesetzt. Dann gab es diese vielen Verzögerungen, was bei einer so grossen Mission nicht unüblich ist. Man schiebt dann alles so ein bisschen vor sich her, macht auch andere Projekte und denkt nicht mehr jeden Tag daran. Als aber der Start näher gekommen ist und auch jetzt, wenn wir echte astronomische Objekte – und nicht nur Test-Lichtquellen aus dem Labor – sehen, ist das schon enorm befriedigend.

Ein Testbild der NASA vom Stern 2MASS J17554042+6551277 im Sternbild Drachen, das am 16. März 2022 veröffentlich worden ist.
Ein Testbild der NASA vom Stern 2MASS J17554042+6551277 im Sternbild Drachen, das am 16. März 2022 veröffentlich worden ist.
AP

Auf welchen verschiedenen Ebenen kann das Teleskop sehen?

Das Teleskop arbeitet im Infrarot-Bereich. Man drückt das in Wellenlängen aus: Wir haben den sichtbaren Bereich, in dem Hubble gearbeitet hat. Das James-Webb-Teleskop arbeitet in einem Bereich, den man nicht mehr sieht. Man spricht auch von Wärmestrahlung, und Webb arbeitet konkret von circa 650 Nanometer aufwärts bis 28 Micrometer.

Können Sie das in Relation setzen?

Es ist die Art von Wärmestrahlung, die wir auch in unserer Umgebung haben: Wir als Menschen haben 37 Grad Celsius und strahlen Wärme in dieser Wellenlänge ab. Es ist eine sehr spannende Wellenlänge, wenn wir ins Weltall blicken: Wir schauen dort Objekte an, die Raumtemperatur haben. Staub, Planeten und so weiter.

Was bringen solche Messungen praktisch ein?

Die Instrumente haben sehr unterschiedliche Möglichkeiten, das Licht auszuwerten. Einerseits ist da das klassische Imaging, also man produziert Bilder. Wir machen das aber auf wissenschaftliche Art und Weise: Wir können also wirklich messen, wie hell ein Stern ist oder welche Farben er hat. Wir haben aber auch Spektrometer, mit denen wir das Licht in seine Spektralfarben zerlegen, um so zu untersuchen, aus welchem Material die Objekte beschaffen sind.

Zwischen diesen Bildern liegen Welten, obwohl James Webb noch gar nicht bei 100 Prozent ist: Die Grosse Magellansche Wolke links im Visier des alten Spitzer-Teleskops, rechts ein Schnappschuss von James Webb, der am 9. Mai publiziert wurde.
Zwischen diesen Bildern liegen Welten, obwohl James Webb noch gar nicht bei 100 Prozent ist: Die Grosse Magellansche Wolke links im Visier des alten Spitzer-Teleskops, rechts ein Schnappschuss von James Webb, der am 9. Mai publiziert wurde.
AP

Die Forschung kann aus grösster Entfernung Wasser aufspüren. Wie geht das?

Flüssiges Wasser sieht man nicht, sondern Wasserdampf. Wenn etwa Wasser in einer Planeten-Atmosphäre ist, können wir es feststellen: Die Wassermoleküle absorbieren Licht in einem bestimmten Wellenbereich. Im Infrarot-Bereich ist der Effekt noch stärker. Wenn wir jupiterähnliche Exoplaneten untersuchen, können wir diese Moleküle mit Spektroskopie entdecken. Wir zerlegen das Licht und es zeigt sich der typische «Fingerabdruck», den Wasser in dem Spektrum macht.

Kann man auf diesem Wege auch Leben entdecken?

Wasser ist nicht ein Indikator für Leben, aber eine Voraussetzung dafür. Wenn man Wasserdampf auf einem Planeten gefunden hat, schaut man genauer hin. Stimmt die Temperatur, gibt es sehr wahrscheinlich auch flüssiges Wasser und es könnte potenziell Leben geben. Wasserdampf gab es jedoch auf der Erde schon, bevor Leben entstanden ist. Man muss deshalb auch nach anderen Gasen schauen: Sauerstoff zum Beispiel ist ein typischer Indikator für mögliches Leben. Es ist ein sehr reaktives Gas, was immer wieder erneuert werden muss. Bei uns macht das die Fotosynthese. Sauerstoff ist zwar schwer nachzuweisen, aber das Ozon, das daraus entsteht, könnte ein Hinweis auf Leben sein und ist gut nachweisbar.

Man hofft, dass mithilfe des Teleskops viele Rätsel entschlüsselt werden. Welches ist für Sie das Spannendste?

Ich glaube, spannend ist das Überraschende, nach dem wir noch gar nicht fragen. Zuerst wird James Webb wohl die wissenschaftlichen Rätsel angehen, für die man das Teleskop geplant hat. Da wurden bereits viele Fragen gestellt, und ich freue mich auf die Antworten, die da kommen, aber noch mehr auf die Überraschungen. Bei Hubble und den anderen Teleskopen hat man gesehen, dass es bei solchen Fällen die grossen Fortschritte gegeben hat

Auf zu neuen Welten: eine künstlerische Darstellung des Raketenstarts am 22. Dezember 2021.
Auf zu neuen Welten: eine künstlerische Darstellung des Raketenstarts am 22. Dezember 2021.
EPA

Es gibt unvorstellbar viele Planeten im Universum. Muss nicht anderswo zwangsläufig irgendeine Art von Leben gefunden werden können?

Absolut. Aber wir sprechen von zwei Dingen. Richtig ist, dass es mindestens 100 Milliarden Planeten in unserer Galaxie gibt. Bei circa 100 Milliarden Galaxien im Universum kommt man auf ungefähr zehn Trilliarden Planeten – das ist eine Zahl mit 22 Nullen. Es ist eine Schätzung, aber ich glaube, es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass die Erde da der einzige Planet ist, auf dem es Leben gibt. Ich glaube an Leben ausserhalb der Erde, aber wenn es darum geht, ob man es findet, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich kleiner. Wir haben nur die Möglichkeit, die allernächsten Sterne genau zu untersuchen. Wir arbeiten daran, aber in naher Zukunft und mit dem James Webb werden wir wahrscheinlich nichts finden.

Viele Planeten sind das eine, aber eine zweite Erde zu finden, ist dann doch unwahrscheinlich, oder?

Wir wissen heute über Systeme von Exoplaneten, dass sie sehr divers sind. Bis wir vor 25 Jahren den ersten Exoplaneten entdeckt haben, hatten wir die Vorstellung, dass ein Planetensystem so entstehen muss wie unser Sonnensystem. Man kannte halt kaum etwas anderes. Die ersten Exoplaneten, die wir dann gefunden haben, haben dieses Bild komplett auf den Kopf gestellt. Wir haben Systeme gesehen, die komplett anders und manchmal umgekehrt gebaut waren.

Und heute?

Heute wissen wir, dass es eine enorme Vielfalt gibt, aber viele erdähnliche Planeten konnten wir noch nicht entdecken. Es braucht dafür die Sensibilität extrem grosser Teleskope: Wir konnten noch nicht die Messungen machen, um hier eine wissenschaftliche Aussage treffen zu können. Die Vermutung liegt aber nahe, dass es sehr viele erdähnliche Planeten gibt.