Globale Herausforderungen IINie wieder Hunger? Leider nein – was das Klima damit zu tun hat
Von Philipp Dahm
23.10.2020
Die UN wollen den Hunger in der Welt bis 2030 ausrotten, doch das Ziel wird wohl verfehlt – tatsächlich dürften in zehn Jahren sogar mehr Menschen an Unterernährung leiden. Woran das liegt, erklärt diese Serie – hier Teil zwei.
«Globale Herausforderungen»
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen ist mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Doch warum eigentlich? 2019 waren fast 690 Millionen Menschen unterernährt – und diese Zahl könnte in zehn Jahren sogar auf 840 Millionen steigen. Ihr Ziel, den Hunger bis 2030 auszurotten, werden die UN wohl verfehlen. Welche Faktoren ausschlaggebend sind, beleuchtet unsere vierteilige Serie . Im ersten Teil ging es um den Faktor Bevölkerung, nach diesem Klima-Artikel beleuchten wir den Faktor Mensch und ziehen zum Schluss ein Fazit.
Wenn es um Unterernährung geht, sind nicht nur die Hungernden ein Faktor, sondern auch die Grösse der Anbau- und Weideflächen, die Abhilfe schaffen könnten. Das Problem: Der Klimawandel macht viel davon zunichte.
Mittlerweile haben sich alle Länder der Erde den Zielen verschrieben, die der Pariser Klimagipfel 2015 formuliert hat – nur die USA sind ausgestiegen, nachdem im Januar 2017 ein neuer Präsident das Weisse Haus bezogen hat.
Die Forschung stand seither nicht still, erläutert Thomas Stocker von der Universität Bern im Gespräch mit «blue News»: «Es gibt vor allem Fortschritte auf dem Gebiet der ‹tipping points› – gerade was Grönland und die Antarktis betrifft, aber auch in Zusammenhang mit Vegetation oder Methan-Emissionen etwa in Sibirien.»
Doch ein grösseres Wissen schützt den Menschen nicht vor grossen Dummheiten. «Wir sind nicht auf Kurs», stellt der Berater des Bundesrats klar. Insbesondere die Klimasensitivität mache ihm Sorgen: Treibhausgase richten mehr Schaden an, als es der «Weltklimarat» IPCC, in dem Stocker Mitglied war, vor sieben Jahren vorausgesagt hat. «In diesem Bereich gibt es keine Entwarnung.»
Die hohen Folgekosten des Klimwandels
Ein Problem ist der Anstieg des Meeresspiegels, der sich neuen, «robusten» Erkenntnisse zufolge beschleunigt, attestiert Stocker – und gerade in Flussdeltas wie in Ägypten oder Myanmar fruchtbare Anbauflächen fluten könnte.
«Da geht Land verloren, aber die grösste Bedrohung ist er für die Megacitys, die sich in den letzten 50 Jahren an den Küsten entwickelt haben», sagt Stocker und führt aus:«Sie erhöhen durch das stärkere Abpumpen von Grundwasser den relativen Meeresspiegel im Vergleich zur bebauten Fläche weiter – wie in Bangladesch.»
Das Problem: «Der Wasserkreislauf, der verändert ist: Nehmen Sie die Beispiele Spanien oder Nordafrika: Die Flächen, auf denen Nahrungsmittel angebaut werden, sind bei der Wasserversorgung heute schon am Limit.» Bei einer ungebremsten Erhitzung muss man mit hohen Folgekosten rechnen, um sich anzupassen, verdeutlicht Stocker. Falls das dann überhaupt noch geht.
«Rapide Veränderung des Alpenraums»
Aber könnten Herr und Frau Schweizer nun nicht sagen: Das tut uns leid für euch, aber wir wohnen nun mal in höheren Gefilden? Das greift, man ahnt es, zu kurz: «Die Schweizer kommen mit der globalen Erhitzung, wie ich es nenne, in vielfältiger Weise in Kontakt.» Hierzulande sei der Temperaturanstieg doppelt so gross wie das globale Mittel, stellt Stocker klar.
Überschwemmungen und Extremwetter sind die Folge: «Die jahreszeitliche Verteilung verschiebt sich beim Wasserkreislauf, und das hat fundamentale Auswirkungen auf Wasserwirtschaft, Tourismus und Landwirtschaft.» Mal abgesehen von den geologischen Konsequenzen, die folgen, wenn sich stützende Gletscher aus Bergmassiven zurückziehen. «Wir stehen vor einer rapiden Veränderung des Alpenraums», warnt Stocker.
Doch weg von den Alpen, die wenig zu Ackerbau und Viehzucht beitragen, und zurück zu Ländern wie Ägypten oder dem Irak, in denen nicht nur die Bevölkerung stark wächst, sondern auch die Temperaturen, was die landwirtschaftliche Versorgung gefährdet. Diese Hotspots – im wahrsten Sinne des Wortes – stehen vor einer weiteren Herausforderung.
Reiche Industrieländer in der Pflicht
«Hinzu kommt das Problem der Feuchtigkeit», erklärt der gebürtige Zürcher. «Diese Länder liegen nahe am Meer, wo die Verdunstung und Feuchtigkeit zunehmen. Die Kombination mit der Hitze verunmöglicht es dem menschlichen Körper zu arbeiten.»
Aber heisst das nicht, dass anderswo Gebiete urbar werden, die es vorher nicht waren? «Das ist nicht von der Hand zu weisen» meint der Berner Professor, verdeutlicht dann aber die Folgen: Infrastruktur müsse verlegt werden, die Böden in ihre Aufgabe hineinwachsen und Wissen transferiert werden: «Das kostet extrem viel Geld.»
Die Aussichten sind nicht rosig, aber auch nicht aussichtslos, endet Stocker: «Wenn wir, allen voran die reichen und industrialisierten Länder, keine infrastrukturellen Änderungen zur Senkung der CO2-Emissionen vornehmen, zu denen ich zum Beispiel das Volumen der Flüge oder die Umstellung auf erneuerbare Energien zähle, werden wir das Klimaziel des Pariser Abkommens verfehlen.»
Kipppunkte zum Teil schon erreicht
Aber er sagt auch, dass der Punkt ohne Wiederkehr in gewissen Bereichen nicht erst kommt, sondern bereits überschritten ist.
«Es gibt keine magische Grenze», sagt er, «aber wenn Sie mich nach Grönland fragen, ist er höchst wahrscheinlich überschritten. Wenn Ihr ‹tipping point› sich auf unsere Gletscher bezieht, ist er auch überschritten. Beim Methan in Sibirien ist er es vielleicht noch nicht, aber der Permafrost taut natürlich auch allmählich auf.»
Dabei ist die Eineinhalb-Grad-Grenze, die das Pariser Abkommen als Obergrenze für die Zukunft angestrebt hat, schon in wenigen Jahren erreicht. Stocker verweist am Ende des Gesprächs darauf, dass die Klimakrise das Hunger-Problem massiv verschärft, aber der notwendige Klimaschutz nicht automatisch das Hunger-Problem löst.