Künstlicher SchneeSo sollen die Schweizer Gletscher gerettet werden
dpa/jka
11.2.2021 - 16:33
Mit einer neuartigen Beschneiungsanlage wollen Glaziologen in der Schweiz den Schwund der Gletscher aufhalten. Eine Versuchsanlage wurde am Donnerstag bei Pontresina eingeweiht.
Den Gletschern geht es schlecht. Zwischen 2000 und 2014 haben Gletscher des Alpenraums rund ein Sechstel ihres Gesamtvolumens verloren. Und der Schwund geht weiter. Um ihn aufzuhalten, setzen Glaziologen in der Schweiz nun auf Kunstschnee.
Genauer wurde eine neuartige Beschneiungsanalge entwickelt. Das Prinzip erklärt der Gletscherexperte Felix Keller, von dem die Idee stammt, wie folgt: «Nur eine Schneeschicht kann die Gletscher wirklich schützen. Sie reflektiert die einfallende Sonneneinstrahlung und isoliert vor warmen Sommertemperaturen.»
In Pontresiona stellte Keller seine Versuchsanlage MortAlive mit einem «Schnei-Seil» am Donnerstag am Fusse des Morteratsch-Gletschers vor. Zuschauer*innen verfolgten den Anlass vom Bildschirm aus per Videoschalte.
Bis zu 30'000 Tonnen Schnee pro Tag
Wenn die Versuchsanlage erfolgreich ist, könnten künftig Tragseile wie bei einer Bergbahn über Gletscher gespannt werden. Mit Schläuchen würde daran entlang Wasser zu Schneidüsen transportiert. Dank der niedrigen Temperaturen soll sich das daraus rieselnde Wasser in Schnee verwandeln. Das Wasser dafür soll ohne Stromzufuhr aus höher gelegenen Seen zu den Sprühdüsen geführt werden und unterwegs nicht gefrieren, weil es in Bewegung ist, wie Keller sagte.
«Wir können den Eingriff in die Natur nicht schön reden», räumte er ein. «Aber meiner Meinung nach ist es gerechtfertigt, Schnee zu produzieren um Gletscher zu schützen.»
Dann wurde vorgerechnet: Mit sieben Seilen könnten 30'000 Tonnen Schnee am Tag produziert werden. Mit der Beschneiung eines Quadratkilometers Gletscher könne die Gletscherschmelze Berechnungen zufolge um 50 Jahre verzögert werden.
Für die Einrichtung und den Unterhalt einer solchen Anlage rechnet Keller mit Kosten von 100 Millionen Franken über 30 Jahre. Wenn alles gut laufe, könne eine Anlage im nächsten Winter über Permafrostboden am Corvatsch-Gletscher installiert werden.
Wassermangel durch Gletscherschwund
Hintergrund der Aktion ist unter anderem, dass in vielen Weltregionen zurückgehende Gletscher das Leben von Menschen bedrohen, die das Schmelzwasser als Wasserquelle brauchen.
In Ladakh in Indien ist der Wassermangel durch Gletscherschwund bereits akut und von dort hat Keller eine weitere Idee mit in die Schweiz gebracht: den Bau von Eis-Stupas – die überdimensionalen Iglus ähneln – die ebenfalls durch Wasserleitung berieselt werden und so im Winter ständig wachsen. Eis bleibt länger erhalten als Schnee. Damit bekommen Bauern im Frühjahr mehr Schmelzwasser.
Das Wasser werde von der Stupa über kleine Bewässerungskanäle direkt zu den Feldern geführt. Beide Ideen – Schnei-Seile und Eis-Stupas – könnten Gebirgsbewohner etwa im Himalaya und in den Anden in Südamerika helfen, denen durch den Rückgang von Gletschern das Wasser ausgehe.