Drei Jahre Pause Cern wirft Teilchenbeschleuniger am Freitag wieder an

Von Christiane Oelrich, dpa

22.4.2022 - 06:06

Die grösste Forschungsmaschine der Welt: Cern startet den Teilchenbeschleuniger nach drei Jahren Pause.
Die grösste Forschungsmaschine der Welt: Cern startet den Teilchenbeschleuniger nach drei Jahren Pause.
dpa

Der Countdown läuft für physikalische Erkenntnisse, die das heutige Erklärungsmodell des Universums über den Haufen werfen könnten. Am Cern in Genf werden wieder Protonen auf Kollisionskurs geschickt.

Nach gut drei Jahren Wartungs- und Verbesserungsarbeiten wird die grösste Forschungsmaschine der Welt wieder angeworfen: der Teilchenbeschleuniger der europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) in Genf.

An diesem Freitag sollen die ersten beiden Protonenstrahlen in entgegengesetzter Richtung durch den unterirdischen Ring von 27 Kilometern Länge gejagt werden. Es dauert sechs bis acht Wochen, bis die Maschine auf Hochtouren ist. Erst dann können wieder Protonenkollisionen stattfinden, die Erkenntnisse über die grundlegenden Gesetze des Universums preisgeben sollen.

Hochspannung bis zur letzten Minute

Die Vorbereitungen laufen seit einigen Wochen rund um die Uhr. Bis zur letzten Minute herrscht in den Cern-Kontrollräumen Hochspannung. «Das ist wie bei einem Raketenstart», sagt der deutsche Cern-Forschungsdirektor Joachim Mnich der Deutschen Presse-Agentur. «Der muss auch oft Minuten vor dem Start noch abgebrochen werden, weil ein Problem auftaucht. Wir hoffen aber, dass alles glatt geht.»

In dem Fall ist der per Knopfdruck gestartete Protonenstrahl, der durch den Ring zirkuliert, nach kurzer Zeit auf Computer-Bildschirmen zu sehen. «Bevor es so weit ist, muss der Protonenstrahl über elektronische Signale meist noch millimeterweise verschoben werden und er muss teils durch Nadelöhre gesteuert werden, das funktioniert nicht immer auf Anhieb», sagt Mnich.

Entstehung des Universums simuliert

Mit dem Teilchenbeschleuniger wird die Zeit der Entstehung des Universums vor rund 14 Milliarden Jahren simuliert. Forscherinnen und Forscher beobachten bei den Kollisionen die Zerfallsprozesse und gewinnen Erkenntnisse über die kleinsten Bestandteile der Materie, die Elementarteilchen. Unter anderem wurde am Cern 2012 erstmals das 40 Jahre früher theoretisch beschriebene Higgs-Boson nachgewiesen. Es trägt dazu bei, dass Elementarteilchen eine Masse haben.

Während der Abschaltung ist die Leistungsfähigkeit des Beschleunigers und der angeschlossenen Detektoren deutlich erhöht worden. Damit sind noch mehr Kollisionen möglich, rund 1.000.000.000.000.000 im Jahr, eine Billiarde, wie Mnich sagt. Nur eine von vielleicht 100.000 Kollisionen bringe aber Prozesse zum Vorschein, die eine nähere Analyse lohnen. Die Daten werden zwar innerhalb von Millisekunden gespeichert, die Auswertung dauere oft aber Jahre.

Unbekannte Naturkraft und neu entdeckte Teilchen?

So war es am US-Forschungszentrum für Teilchenphysik Fermilab, das Anfang April mit einer Sensation aufwartete: aus mehr als zehn Jahre alten Daten hatten Physiker das W-Boson neu berechnet, das eine der vier Grundkräfte übermittelt, die das Verhalten der Materie im Universum bestimmen. Die Forscher stellten mit hoher Präzision fest, dass es schwerer ist als das Standardmodell der Teilchenphysik voraussagt. Dieses Modell beschreibt zwölf Materieteilchen und ihre Wechselwirkung.

Das W-Boson war 1983 am Cern entdeckt worden. Dort, hofft Mnich, können die Ergebnisse der Amerikaner in den nächsten Jahren bestätigt oder widerlegt werden. «Wenn das Ergebnis so stimmt, könnte dies ein Hinweis auf eine unbekannte Naturkraft sein, oder ein Hinweis auf zusätzliche Teilchen, die wir bislang nicht kennen», sagt Mnich.

Auch am Cern war im vergangenen Jahr in ganz anderem Zusammenhang eine Anomalie entdeckt worden, die vom Standardmodell der Teilchenphysik abweicht. Beauty-Quarks waren nicht wie erwartet zu gleichen Teilen in Myonen und Elektronen zerfallen. Mit viel höheren Datenmengen hoffen die Physiker nun auf neue Erkenntnisse, die noch mehr Fragen über die Gültigkeit des Standardmodells aufwerfen könnten.

Von Christiane Oelrich, dpa