Erkenntnisse aus Putins Angriffskrieg Drohnen über allem – und der Panzer ist das neue Schlachtschiff

Von Philipp Dahm

30.3.2022

Drohnen und Panzerabwehrraketen – russische Militärfahrzeuge im Visier der ukrainischen Armee.

Im bisherigen Verlauf des Krieges in der Ukraine deuten sich zwei erste militärische Folgen an. Die in die Höhe geschossene Bedeutung der Drohne dürfte klar sein. Das spekulative Ende des Panzers überrascht dann doch.

Von Philipp Dahm

Der Krieg in der Ukraine ist noch im vollen Gange, und doch ziehen Militärs erste Lehren aus der Konfrontation. Die Auswirkungen erstrecken sich bis ins Pentagon, wo das laufende Militärbudget angepasst worden ist.

Für die Abwehr kleiner Drohnen waren 60 Millionen Dollar eingeplant, doch diese Zahl hat sich deutlich verändert: 374 Millionen Dollar gibt es nun zusätzlich. «Das ist viel mehr als nur ein kleines Programm-Plus», ordnet Tom Spoehr von der Heritage Foundation in «Breaking Defence» ein. «Das ist ein aussergewöhnlicher Geldbetrag. Ich denke, es ist eine Anerkennung der Rolle, die Drohnen in moderner Kriegsführung spielen.»

Eine Bayraktar TB2 wird im August 2021 bei einer Militärparade in Kiew vorgeführt.
Eine Bayraktar TB2 wird im August 2021 bei einer Militärparade in Kiew vorgeführt.
AP

Was sich bereits 2020 im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien sowie den Bürgerkriegen in Syrien und Libyen abgezeichnet hat, ist spätestens mit dem Krieg in der Ukraine Gewissheit: Drohnen sind die Soldaten der Zukunft. «Das Problem hat jedermanns Aufmerksamkeit», ist sich Spoehr sicher. Auch wenn die Sache manchmal erst zum Problem wird – wie bei Russland.

Technik aus den USA und der Schweiz in Russlands Drohnen

Denn 2014 war die Welt für Moskau noch in Ordnung: Als der Kreml die Ukraine zum ersten Mal überfällt, verfügt Russland über einfache Drohnen wie die Orlan-10, die den Feind sichten, um ihn anschliessend mit Artilleriefeuer zu belegen. Seither wird das Arsenal ausgebaut: 2015 wird die kleine Eleron-3SV in Dienst gestellt. Seit 2020 fliegt die Kronstadt Orion unterwegs, die rund 200 km/h schnell ist und je nach Variante auch Bomben und Raketen tragen kann.

Russland hat allerdings das Problem, dass es die Teile der Drohnen in der Regel nicht selbst herstellen kann: Als bei verschiedenen Anlässen diverse entsprechenden Geräte und zuletzt Anfang Februar eine Orlan-10-Drohne abgeschossen und untersucht wird, staunen die Experten nicht schlecht. Die GPS-Einheit kommt aus China, der Startergenerator von Texas Instruments aus den USA, der Motor von Saito aus Japan.

Weitere Chips, Halbleiter und Transmitter kommen angeblich von der französisch-iatlienischen Firma STMicroelectronics, der niederländischen NXP Semiconductors NV, der US-Firma Honeywell und der deutschen Municom. Selbst Schweizer Technik ist vertreten: Im GPS Modul sind demnach Teile der Firma u-blox verbaut. Frappierend: Alle diese Teile werden frei gehandelt. Russland kauft sie legal ein und kombiniert die Teile, um Wehrtechnik zu erschaffen.

Ukraine auch bei Drohnen wehrhafter als 2014

9 Milliarden Dollar soll der Kreml seit 2014 in rund 500 Drohnen investiert haben, doch auch wenn russische Erfolge in westlichen Medien unterrepräsentiert sind, ist der Effekt dennoch kleiner als 2014. Das liegt an den verbesserten Abwehrmöglichkeiten: Vor acht Jahren braucht das Militär teure Boden-Luft-Raketen, um die Gefährte vom Himmel zu holen.

2022 gibt es Laser, elektromagnetische Impulse und Mikrowellen, die die Drohnen flugunfähig machen: Ihr Einsatz lässt sich daran erkennen, dass erbeutete Fluggeräte kaum Spuren der Zerstörung tragen. «IEEE Spectrum» spekuliert deshalb, Kiew könnte über entsprechende amerikanische Systeme vom Typ Athena oder Counter UAS verfügen.

Und auch wenn die Ukraine keine 9 Milliarden Dollar investiert hat, war sie doch alles andere als untätig. Ihr Arsenal soll etwa 300 Drohnen stark sein und aus der im April 2020 eingeführten A1-SM Fury und der Leleka-100 bestehen, die im Mai 2021 Premiere feiert. Ausserdem verfügt sie über rund 30 Kampfdrohnen des Typs Bayraktar TB-2.

Kosten-Nutzen – Drohnen lohnen

Die letztgenannten türkischen Produkte sollen am Boden 36 Fahrzeuge, 2 Züge, 10 Flugabwehr-Waffen, 9 Helikopter und 3 Kommando- oder Kommunikationsposten zerstört haben, hat der niederländische Fach-Blog Oryx belegt. Dass es so viele Abschüsse werden konnten, dürfte auch damit zu tun haben, dass die Ukraine bereits drei russische Systeme wie die R-330Zh Zhitel oder die Krassukha-4 erbeutet oder zerstört haben.

Wie arbeiten diese Systeme? Sie treffen den Gegner mit elektronischer Kriegsführung und sorgen für Lärm im Äther, damit die Drohnen darüber die Steuerbefehle nicht mehr hören können. Alternativ können sie die Fluggeräte auch mit falschen Koordinaten versorgen, um sie in die Irre zu führen. Darauf können die Angegriffenen aber auch reagieren: Sie können die Frequenz wechseln oder autonom programmierte Muster fliegen, bis das Steuersignal sie wieder erreicht.

Russland hat – wie Stimmen sagen – «die wahre Bedeutung von Drohnen-Einsätzen noch nicht realisiert und verstanden». Und dennoch lohnt ihr Einsatz. Warum? Sie kann einen T-80-Panzer oder ein Panzir-Flugabwehr-System ausschalten, die rund 3 beziehungsweise rund 14 Millionen Dollar kosten. Klar ist: Drohnen rechnen sich.

Das Panzir-System, auf einem russischen Truck: Drohnen rechnen sich.
Das Panzir-System, auf einem russischen Truck: Drohnen rechnen sich.
Commons/Vitaly V. Kuzmin

Mehr Panzer zerstört als Frankreich besitzt

Dieselbe Logik führen jene ins Feld, die das Ende des Panzers prognostizieren: Der Krieg on der Ukraine zeigt, wie anfällig diese Schlachtrosse sind, wenn sie in unübersichtlichem Gelände oder Siedlungen benutzt werden – und nicht durch menschenleere Wüste jagen wie etwa im Zweiten Golfkrieg.

Seit die ukrainische Armee mit westlichen mobilen Panzerabwehr-Raketen ausgerüstet ist, fügt sie motorisierter Infanterie und Panzerverbänden schwere Schäden zu. Eine britische NLAW kostet rund 40'000 Dollar, ein russischer T-14-Panzer rund 7.5 Millionen Dollar. «Die Ukrainer haben in dem einen Monat seit Kriegsbeginn mehr russische Panzer zerstört als Frankreich überhaupt an Panzern besitzt», analysiert Strategieexperte Francois Heisbourg im «Spiegel».

Ukrainische Soldaten nehmen am 9. März in Kiew britische NLAW-Raketen unter die Lupe.
Ukrainische Soldaten nehmen am 9. März in Kiew britische NLAW-Raketen unter die Lupe.
Keystone

Bei der schwedischen Carl Gustav soll ein Schuss sogar nur zwischen 500 und 3000 Dollar kosten – und wenn der einen Ka-52M Kampfhelikopter trifft, gehen rund 15 Millionen Dollar in Rauch auf. Europas Armeen sind anfällig, glaubt Heisbourg – «wie Bonsai-Bäume: «Sie haben alles, was auch ein grosser Baum hat, einschliesslich exzellent trainierter Soldaten und guter Ausrüstung. Nur sind sie eben mini.»

Das spekulative Ender der Panzers

«Es fehlt einfach Masse», sagt Heisbourg, der für das Londoner International Institute for Strategic Studies arbeitet. Im Westen kosten neuere Panzer jedoch schnell zweistellige Millionenbeträge: Wenn diese Investitionen mit extrem günstigen Geschossen von Infanteristen oder Drohnen erledigt werden können, lohnen sie sich nicht.

Russlands teuerster Panzer: Präsentation des russischen T-14 Armata in Moskau.
Russlands teuerster Panzer: Präsentation des russischen T-14 Armata in Moskau.
Archivbild: EPA

«Ist das das Ende des Panzers?», fragen dann auch Blätter wie der britische «Telegraph» oder «19FortyFive» aus den USA: Die Fach-Website fühlt sich an die Schlachtschiffe erinnert, die erst zu teuer und dann bedeutungslos wurden.

Ob es wirklich soweit kommen wird, muss sich aber erst noch zeigen. Als die Boden-Luft-Rakete erfunden worden ist, waren sich britische Militärs auch sicher, es brauche nun eigentlich keine Royal Air Force mehr. Man könnte auch argumentieren, dass die Bedeutung der Vernetzung steigt, bei der sich Panzer, Infanterie, Luftabwehr und elektronische Kriegsführung enger verzahnen. Die Zeit wird zeigen, wer richtig liegt.

Hinweis der Redaktion: Die Kosten einzelner militärischer Einheiten müssen als Richtwerte verstanden werden.