Experten zur Energie-Lage«Nichtstun ist keine Option. Jede Kilowattstunde zählt»
Red./SDA
20.7.2022
Netzabschaltung von vier bis acht Stunden als Ultima Ratio
Das Risiko einer Strommangellage sei real und gross. Deshalb müssten schon heute alle einen Beitrag leisten und kurzfristig weniger Strom verbrauchen. Das sagte Michael Frank, Direktors des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE).
20.07.2022
Der Krieg in der Ukraine und die aktuelle Hitzewelle gefährden die Energieversorgung der Schweiz im Winter. Bund und Energiebranche begegnen dem Problem mit Stufenplänen.
Red./SDA
20.07.2022, 12:43
20.07.2022, 14:00
Red./SDA
Massnahmen zur Stärkung der Energieversorgung
Die im Februar beschlossene Einrichtung einer Wasserkraftreserve soll ab 1. Oktober greifen.
Reservekraftwerke sollen einspringen, wenn die Versorgung knapp wird. Dazu sollen prioritär Gaskraftwerke als Zweitstoffanlagen sowie neue, mobile Anlagen eingesetzt werden.
Die Gasbranche soll vor allem im Ausland physische Reserven anlegen, die 15 Prozent des Jahresverbrauchs decken können, was 6TWh entspricht.
Weiter soll die Gasbranche Optionen für Lieferungen nichtrussischen Gases mit Frankreich, Deutschland, Italien sowie den Niederlanden aushandeln, die im Notfall zum Festpreis bezogen werden kann.
Die Schweiz soll ein Solidaritätsabkommen mit Deutschland aushandeln.
Verfahren für neue Energielieferanten sollen beschleunigt werden.
Noch ist die Versorgung mit Strom und Gas gesichert. Doch beim Bund laufen angesichts von nicht auszuschliessenden Engpässen im nächsten Winter Vorbereitungen für eine Energiekrise, wie sie die Schweiz seit Jahrzehnten nicht erlebt hat.
«Wir erleben zurzeit die erste weltweite Energiekrise», sagte der Direktor des Bundesamtes für Energie, Benoît Revaz, am Mittwoch vor den Medien in Bern. Durch den Krieg in der Ukraine sei Europa besonders von der Energiekrise betroffen und damit auch die Schweiz.
Der Bund und die Branche arbeiteten seit einigen Monaten daran, Lösungen für die Versorgungssicherheit für den kommenden Winter zu finden. Es gibt aber Unsicherheiten. Eine ist, ob und in welchem Umfang Russland Gas nach Europa liefert. Eine zweite ist, ob die Schweizer Speicherseen im Herbst und Winter noch genug voll sind.
Pläne für Strom- und Gasmangel
Komme es zu einer Strommangellage, wären die Aufgaben klar verteilt: «Der Bund beschliesst, die Strombranche, Wirtschaft und Bevölkerung setzen um», sagte Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Stufe um Stufe würden immer strengere Massnahmen in Kraft treten.
Diese reichten von Sparappellen über Verbrauchseinschränkungen wie zum Beispiel von Schaufensterbeleuchtungen oder Heizgeräten bis zu einer Rationierung oder Kontingentierung des Stromverbrauchs von rund 30'000 Grossverbrauchern. Durch diese drei Massnahmen könnten schätzungsweise rund 25 bis 30 Prozent eingespart werden.
Die Massnahmen wären hart, räumte Frank ein. Sie könnten aber nötig sein, um nicht noch einschneidendere Massnahmen beschliessen zu müssen. Denn als Ultima Ratio käme es zu einer Netzabschaltung in gewissen Gebieten über einen Zeitraum von jeweils vier bis acht Stunden. Die Wahrscheinlichkeit, mit der ein solches Szenario eintritt, lässt sich laut Frank derzeit nicht abschätzen.
Einen ähnlichen vierstufigen Plan gibt es fürs Gas: Von Sparappellen wird laut Bastian Schwark, Leiter des Fachbereichs Energie bei der wirtschaftlichen Landesversorgung (WL), ein Rückgang des Verbrauchs um fünf Prozent erwartet.
Die Medienkonferenz zum Nachlesen:
Liveticker
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Liveticker beendet
10.59 Uhr
Ende der Pressekonferenz
Danke für die Aufmerksamkeit!
10.58 Uhr
Kauft die Schweiz Gas direkt beim Hersteller?
Die Schweiz kauft das Gas nicht in den Förderländern ein, sondern in Frankreich, Deutschland, Italien und den Niederlanden. Die Import- Exportkapazitäten seien nicht das Problem. Es gehe vielmehr um die Frage, ob die Europäer selbst genug Energie einkaufen könnten.
10.56 Uhr
Ist Strommangel selten?
Die Ostral hiess vor 30 Jahren Kriegsvorbereitung des Elektrizitätswerke, weiss Frank. Beim Ölpreisschock in den 70ern gab es eine heikle Lage, aber seit 50 oder 60 Jahren sei der Stromverbrauch nicht mehr eingeschränkt worden.
10.52 Uhr
Was hat es mit der hydraulischen Wasserkraftreserve auf sich?
Hier handle es sich um eine Reserve für nicht vorhersehbare und unerwartete Situationen, sagt Meister. Diese könne wenige Tage oder Wochen anhalten. Es müsse dafür sichergestellt werden, dass zu Ende des Winters noch so viel Wasser in den Stauseen vorhanden sei, um diese Absicherung zu haben, wenn dann Engpässe eintreten.
10.50 Uhr
Warum versorgt sich die Schweiz nicht selbst?
Lukas Küng sagt, dass es nicht wirtschaftlich wäre, wenn die Schweiz energie-autark sein wollte. Dazu müssten extreme Überkapazitäten aufgebaut werden. Deshalb sei internationale Kooperation eigentlich alternativlos. «Dann betonieren wir Täler zu», gibt Frank zu Bedenken.
10.46 Uhr
Gibt es einen Röstigraben bei der Gasversorgung?
Nein, die einzelnen Unternehmen arbeiten gut zusammen und treffen gemeinsame Entscheidungen. Allerdings gibt es regionale Unterschiede hinsichtlich der Gasversorgung, die zum tragen kommen können.
10.45 Uhr
Wie werden Spar-Appelle kommuniziert?
«Die Einsparmöglichkeiten werden bereits kommuniziert», antwortet Patrick Kutschera. Die Inhalte wären die Gleichen, wenn ein Mangel auftreten würde. Lukas Küng von Ostral ergänzt, dass die höheren Stromkreise in seinem Bereich nicht dazu geführt hätten, dass die Kunden Energie spren.
10.42 Uhr
Wer zahlt für die Stromreserve?
Meister sagt, aufgrund der Schätzungen für die Reserve dürften sich die Kosten im kleineren dreistelligen Millionenbereich bewegen. Wie teuer es zuletzt aber wird, zeige sich dann erst bei einer Auktion des Stroms. Alle Verbraucher würden den Betrag dann aber über ihre Stromrechnung bezahlen. Der Bund werde nichts bezahlen.
10.41 Uhr
Wie wahrscheinlich ist ein Mangel?
«Wenn die Mangellage eintritt, werden die Stufen ausgelöst. Das ist im Moment schwer einzuschätzen. Es hängt von unterschiedlichen Faktoren ab» weht Meister die Frage ab. Das hänge von den Gaslieferungen aus Russland ab oder der Verfügbarkeit anderer Kraftwerke wie etwa die AKW in Frankreich. Und ob der Winter kalt ist oder nicht. Frank ergänzt, Wahrscheinlichkeiten zu benennen sei wie das Lesen in der Kristallkugel. «Wir sollten alles tun, um vorher Massnahmen zu erreichen, dass die Mangellage gar nicht erst eintritt.»
10.38 Uhr
Hat die Situation Einfluss auf die Energiestrategie 2050?
Benoît Revaz, Direktor, Bundesamt für Energie BFE, sagt, man konzentriere sich auf die derzeitige Situation. Das andere müsse dann politisch entschieden werden. Für ihn stelle sich die Frage derzeit also nicht.
10.36 Uhr
Gasspeicher
Es werde nach zusätzlichen Optionen von Lieferungen von nichtrussischem Gas gesucht. Die Abklärungen laufen. Die Versorger seien dabei, entsprechende Verträge aufzugleisen. Beim Gas gebe es geschützte Kunden wie Privatpersonen oder Spitäler, ergänzt Schwark. «Nichtdestortrotz sollte jeder einen Beitrag leisten, auch wenn man als Privatperson geschützt ist.»
10.33 Uhr
Die Fragerunde ist eröffnet
Kann man schon sagen, wie die Lage Anfang des nächsten Jahres sein wird? Das will ein Journalist wissen.
Man müsse hier zwischen Strom und Gas unterscheiden, sagt Bastian Schwark, Leiter Fachbereich Energie, Wirtschaftliche Landesversorgung WL. Der Strom werde in der Schweiz produziert, weshalb man hier nicht so sehr vom Ausland abhängig sei, wie beim Gas. Man werde aber erst später im Jahr sehen, wie sich die Lage dann entwickelt habe.
10.31 Uhr
Wirtschaft ist vorgewarnt
Grossverbraucher seien bereits informiert, Wirtschaftsverbände würden ebenfalls Schulungen vornehmen. Es gebe viele Anfragen, was zeige, dass die Wirtschaft die möglichen Probleme auf den Schirm habe. «Die Strombranche begegnet der Lage mit dem nötigen Respekt», so Frank. Klar sei auch: «Es braucht alle.»
10.27 Uhr
«Jede Kilowattstunde zählt»
«Nichtstun ist keine Option», sagt Michael Frank, der die Energieversorger vertritt: «Jede Kilowattstunde zählt.» Die Schweiz müsse sich aufs Energiesparen einstellen. Sollte der Bundesrat eine Strommangellage beschliessen, müssten die Energieunternehmen und die Bevölkerung die Massnahmen umsetzen. Wenn Sparappelle nicht helfen, werde der Verbrauch eingeschränkt. Das könnte mobile Heizgeräte oder Weihnachtsbeleuchtungen betreffen. In der nächsten Stufe würden Unternehmen Sparquoten vorgegeben. Diese Appelle und Massnahmen sollten 25 bis 30 Prozent einsparen, so die Hoffnung. Ultima Ratio wären temporäre Abschaltungen.
10.24 Uhr
Zur Wasserreserve
Meister fährt fort, dass die Wasserkraftreserve erst mit der finalen Ordnung genau terminiert werden kann, was im September der Fall sei. Die Reserve sei für Notlagen «gegen Ende der Winterphase» gedacht. Die «Dimensionierung adressiert genau diesen Zweck»: Die ElCom gehe von 500 GWh aus plus minus 166 GWh. «Der Fokus dieser Hydroreserve ist auf der Überbrückung von wenigen Tagen oder Wochen.»
10.20 Uhr
Wie voll sind die Energiespeicher?
Strom kostet 76 Prozent mehr als im Juni, sagt Urs Meister. «Die grosse Unsicherheit zeigt sich auch bei der Liquidität»: Es werde derzeit nur wenig Strom gehandelt. Die europäischen Gasspeicher würden gerade gefüllt, sie seien zu 59 Prozent voll. Das gehe trotz der angespannten Lage. In der Schweiz seien die Wasserspeicher wichtig, die am 1. Juli zu 59.4 Prozent gefüllt seien. Das liege im langjährigen Mittel. Beim Leitungsnetz gebe es keine Probleme. Die Revision der AKW sei bis auf Beznau 2 dieses Jahr bereits erfolgt. Derzeit könne nur Beznau nicht volle Leistung bringen: Sie liegt aktuell nur bei 50 Prozent, um die Aaare nicht noch weiter aufzuheizen.
10.15 Uhr
Was passiert bei einer Gasmangellage?
«Der Bundesrat hat die Gasbranche bereits im Mai aufgefordert, Massnahmen zu ergreifen», so Schwark. Die Versorger seien «auf Kurs», die Anforderungen umzusetzen. Was würde bei einer Gasmangellage passieren? Wenn es einen Engpass gebe, würde ein Massnahmenkatalog greifen. Am Anfang stünde ein Aufruf, Gas zu sparen, indem weniger geheizt werde. So könnten 5 Prozent eingespart werden, hoffen die Behörden.
20 Prozent liessen sich durch Umstellungen von Zweitstoffanlagen einsparen, die auf Öl umgestellt würden. Wenn das nicht reicht, greifen Einschränkungen – etwa das Senken der Temperatur in öffentilchen Gebäuden. Letzte Massnahme wäre eine Kontingentierung des Gases.
10.09 Uhr
Thema Gas
Bastian Schwark sagt, die Versorgungslage sei gesichert. Der Gas-Markt funktioniere – wenn auch auf hohem Preisniveau. Nun stelle sich die Frage, was Russland macht, das Mord Stream 1 und 2 sowie eine dritte Pipeline zur Verfügung hat. Nord Stream 1 werde bis zum morgigen 21. Juli gewartet. Wie sehr die Gasspeicher anschliessend gefüllt werden könnten, müsse sich zeigen. Die Schweiz verfügt nicht über nationale Gaslager und muss aufs Ausland zurückgreifen.
10.07 Uhr
Verschiedene Massnahmen
Benoît Revaz stellt die Punkte vor, die oben beschrieben sind: Der Bund will mit einer Mischung aus physischen Massnahmen und Verträgen die Versorgungssicherheit der Schweiz absichern.
Die aktuelle Hitzewelle hat auch für die Energieversorgung Folgen: Kernkraftwerke müssen ihre Leistung herunterfahren, um die Flüsse nicht zu überhitzen, und auch die Stausee-Speicher können nicht gefüllt werden, wenn das Wasser ohnehin knapp ist.
Erschwerend hinzu kommt der Krieg in der Ukraine, der die europäischen Energie-Importe auf den Kopf stellt. In dieser Situation informieren Experten des Bundes um 10 Uhr in Bern, wie die Schweiz auf diese Herausforderungen reagieren will.