Gas-Engpass Darum würde eine Rezession in Europa auch die Schweiz treffen

Von Oliver Kohlmaier

10.7.2022

Der Hafen in Basel: Die exportabhängige Schweiz würde bei einem Abschwung in den Nachbarländern mitleiden.
Der Hafen in Basel: Die exportabhängige Schweiz würde bei einem Abschwung in den Nachbarländern mitleiden.
Keystone/Gaetan Bally (Symbolbild)

Bereits jetzt kommt deutlich weniger russisches Erdgas nach Europa. In den kommenden Wochen könnte Putin den Hahn komplett abdrehen. Was passiert dann in Europa und der Schweiz?

Von Oliver Kohlmaier

Zwar steigen die Preise auch hierzulande und das Wirtschaftswachstum geht leicht zurück. Ingesamt steht die Schweiz jedoch gut da — zumindest im Vergleich zu vielen anderen Ländern in Europa.

Dort ist die Rezessionsangst eines der bestimmenden Themen. Hauptgrund ist die extreme Abhängigkeit von russischem Erdgas, in die sich einige Staaten in den vergangenen Jahrzehnten begeben haben. Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine fürchtet sich der Kontinent um seine Gasversorgung.

Nun jedoch herrscht Alarmstimmung. 

Grund dafür ist vor allem die Drosselung der Gaslieferungen nach Deutschland über die Pipeline Nord Stream 1 auf nur noch 40 Prozent der Gesamtkapazität. Russland behauptet, durch die Sanktionen könne eine Turbine, die sich zur Wartung in Kanada befindet, nicht zurückgeschickt werden – das deutsche Wirtschaftsministerium hält dies für einen Vorwand.

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«Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass sich die Lage zuspitzt», sagte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck am Dienstag. Der Gasnotfallplan der Stufe zwei wurde bereits ausgerufen, die Regierung beschloss zudem ein umfangreiches Gesetzes- und Massnahmenpaket, um der drohenden Knappheit zu begegnen.

Nun blickt man in Deutschland und Europa gespannt auf die kommenden Wochen. Ab Montag soll die Pipeline wie jeden Sommer für zehn Tage gewartet werden. Für Habeck wäre es «nicht superüberraschend», wenn Russland unter Verweis auf Schäden die Gaslieferungen weiter drosselt oder gar ganz einstellt.

Abschwung durch Gasmangel

Was passiert also, wenn Putin den Gashahn schon in den kommenden Wochen abdreht?

Viele Expert*innen rechnen in diesem Fall mit einer Rezession in Europa, so auch der Konjunkturforscher Klaus Abberger von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Die Abhängigkeiten innerhalb Europas seien zwar unterschiedlich und daher die Länder verschieden stark betroffen, schreibt er auf Anfrage von blue News. «Ein kompletter Lieferstopp wird aber die Wirtschaft insgesamt in eine Rezession führen.»

Die Sorgen in Deutschland scheinen somit berechtigt. Denn hat das Land zu wenig Erdgas, bleiben die Wohnungen zwar höchstwahrscheinlich warm — vielerorts jedoch wird die Produktion zum Stillstand kommen.

Die Industrie der grössten Volkswirtschaft in Europa ist stark abhängig von Erdgas — nicht nur als Energieträger, sondern auch als Grundstoff für Dünger, Kunststoffe oder andere chemische Produkte. Dabei belasten die enorm hohen Preise für Erdgas die energiehungrige Chemieindustrie schon jetzt.

Die Anlage der BASF in Ludwigshafen gehört zu den grössten Industriekomplexen in Deutschland. Das Unternehmen braucht viel Erdgas für seine Produktion.
Die Anlage der BASF in Ludwigshafen gehört zu den grössten Industriekomplexen in Deutschland. Das Unternehmen braucht viel Erdgas für seine Produktion.
Boris Roessler/dpa

Für das zweite Halbjahr rechnet das Prognos-Institut im Fall eines kompletten Lieferstopps russischen Erdgases mit einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um sagenhafte 12,7 Prozent.

Auch in Italien ist die Sorge gross. Ähnlich wie Deutschland ist das Land extrem abhängig von russischem Erdgas. Dies gilt sowohl für die Privathaushalte als auch für die Industrie. Beim südlichen Nachbarn werden entsprechende Vorkehrungen getroffen, darunter eine höhere Kohleverstromung oder Bürgschaften für Unternehmen, die bis zum Ende des Jahres ihre Speicher auffüllen. 

Die Schweiz ist «nicht ganz so exponiert»

Natürlich braucht auch die Schweiz Erdgas, rund 40 Prozent davon die Industrie. Sollte keines mehr aus Russland kommen, besteht auch hierzulande die Gefahr eines Abschwungs, wie die Ökonomen der UBS in ihrem «Outlook Schweiz» schreiben. Vergangene Woche wurden die Betriebe bereits von Bundesrat Guy Parmelin zum Sparen aufgefordert.

Immerhin: Die Industrie ist im Vergleich etwa zur deutschen strukturell weniger abhängig vom Erdgas. Dies könnte sich in diesen Zeiten als Vorteil erweisen.

Abberger zufolge ist dies neben der Wechselkursentwicklung und der Struktur auf dem Nahrungsmittelmarkt ein Grund für die moderatere Preisentwicklung hierzulande: «Wir sehen bereits im Moment, dass die weniger starke Abhängigkeit eine Rolle spielt. Dies ist ein Faktor, warum die Inflation in der Schweiz niedriger ist als etwa in Deutschland.»

«Eine Rezession in Europa würde auch die Schweiz treffen»

Die direkten Folgen eines Gaslieferstopps bekäme die Schweiz somit zwar zu spüren, jedoch weniger stark als andere europäische Länder wie etwa Deutschland und Italien.

«Was uns mit Deutschland eint, ist, dass die Industrie einen hohen Anteil an der gesamten Wertschöpfung hat», erklärt Abberger. Im Vergleich dürfte die Schweiz «von der Branchenstruktur her aber nicht ganz so exponiert sein».

Klar ist aber: «Eine Rezession in Europa würde auch die Schweiz treffen.» Denn die ausländische Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen würde abnehmen. Dieser Effekt könnte zudem noch dadurch verstärkt werden, «dass der Schweizer Franken nochmals deutlich stärker gegenüber dem Euro wird».

Da Europa ein «enorm wichtiger Exportmarkt» für die Schweiz sei, könne sich das Land der Entwicklung dort auch nicht entziehen. 

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