Sexuelle Belästigung und frauenfeindliche Sprüche gehören für viele Frauen bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) offenbar zum Alltag, wie «Blick» berichtet. Esther Weber, Fachgruppenleiterin Frauen des Lokpersonalverbands und selbst Lokführerin, spricht von einer «Stammtischkultur» in den Führerständen.
Unangebrachte Kommentare und Berührungen seien keine Seltenheit. «Die interne sexualisierte Gewalt gegenüber dem Lokpersonal ist erschreckend», so Weber.
Die SBB führten Ende letzten Jahres eine Umfrage unter ihren 35'000 Mitarbeitenden zu Diskriminierung, Mobbing und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz durch. Die Ergebnisse zeigen, dass vier Prozent (1400 Personen) der Befragten sexuelle Belästigung erfahren haben, wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. Insgesamt sollen 800 Frauen unter den SBB-Mitarbeitenden in den vergangenen zwei Jahren von sexueller Belästigung betroffen gewesen sein, das sind 12 Prozent.
Weiterhin erhebliche Defizite
Die Situation im Führerstand ist besonders problematisch. Die wenigen Frauen unter den Lokführern (nur sieben Prozent) berichten, dass sie oft nicht anonym melden können, ohne dass Rückschlüsse auf ihre Identität möglich sind. Dies führt dazu, dass viele Fälle nicht zur Anzeige gebracht werden. Zudem sorgt eine strenge Vertraulichkeitsklausel, die Betroffene bei der Meldung eines Vorfalls unterschreiben müssen, für Kritik. Diese untersagt es ihnen, sich über das Erlebte auszutauschen.
Trotz der internen Bemühungen der SBB, wie einer umfassenden Mitarbeitendenbefragung und Massnahmen zur Sensibilisierung, gibt es weiterhin erhebliche Defizite im Umgang mit sexueller Belästigung. Personalchef Markus Jordi betont, dass jeder gemeldete Fall ernst genommen und geprüft werde, und verweist auf die Nulltoleranz-Politik des Unternehmens.
Doch klar ist auch den Beteiligten: Die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Jordi gegenüber dem «Blick»: «Die hohe Dunkelziffer ist leider auch ein Abbild der Gesellschaft. Teilweise fürchten sich Opfer vor negativen Konsequenzen, wenn sie sich melden. Das darf nicht sein. Da haben wir als Gesellschaft noch viel zu tun.»