Datenmangel Der Bund ruft zum Stromsparen auf – hat aber gar keine Ahnung vom aktuellen Verbrauch 

SDA/uri

18.9.2022 - 14:39

Drohender Strommangel: «Ich schalte die Geräte immer aus»

Drohender Strommangel: «Ich schalte die Geräte immer aus»

Der Bundesrat hat Klartext geredet: Reicht das freiwillige Energiesparen nicht, wird die Schraube angezogen. blue News wollte wissen, ob Passant*innen nun vermehrt Strom sparen. Eine Umfrage aus Zürich.

01.09.2022

Der Bund appelliert an die Bevölkerung, bereits jetzt Strom zu sparen. Im Falle einer Mangellage drohe sonst die Kontingentierung. Die Sache hat allerdings einen grossen Haken: Es gibt keine aktuellen Daten über den derzeitigen Stromverbrauch. 

Dem Bund fehlen nationale Daten, um den Erfolg der bundesrätlichen Stromspar-Appelle zeitnah überprüfen zu können. Allerdings kann gemäss Bundesamt für Energie nur auf Basis aktueller Daten entschieden werden, ob es zur Abwendung eines Strommangels weitere Massnahmen braucht. Nach Ansicht des Energiedirektoren-Präsidenten sollte der Bundesrat die Mangellage bereits jetzt ausrufen.

Zum jetzigen Zeitpunkt weiss der Bund, wie viel Strom im Mai verbraucht wurde, für Juni gibt es nur eine geschätzte Hochrechnung. Erst Ende September stehen gesicherte Daten für Juni sowie eine Hochrechnung für Juli zur Verfügung. Der Bund erfährt also erst mit einigen Monaten Verspätung, wie die Situation beim Strom zu einem bestimmten Zeitpunkt aussieht. Darüber hatten der «Sonntagsblick» und «Schweiz am Wochenende» zuerst berichtet.

Es droht die Strom-Kontingentierung

Ende August hatte der Bund Wirtschaft und Bevölkerung dazu aufgerufen, freiwillig Strom zu sparen, um einen drohenden Strommangel zu verhindern. Wenn diese Freiwilligkeit nicht genügt, würde der Bundesrat zu einem System von Einschränkungen und Kontingentierungen des Stromverbrauchs greifen.

Deckel auf den Topf beim Wasserkochen: Die Bevölkerung und Wirtschaft sollen mit freiwilligen Massnahmen den Stromverbrauch reduzieren. Wie effektiv dieser Aufruf des Bundes bis jetzt war, lässt sich aber nicht sagen. Es fehlen schlicht aktuelle  dazu. (Symbolbild)
Deckel auf den Topf beim Wasserkochen: Die Bevölkerung und Wirtschaft sollen mit freiwilligen Massnahmen den Stromverbrauch reduzieren. Wie effektiv dieser Aufruf des Bundes bis jetzt war, lässt sich aber nicht sagen. Es fehlen schlicht aktuelle  dazu. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Um den Erfolg dieser Appelle zu überprüfen und um entscheiden zu können, ob die Sparbemühungen ausreichten oder ob es zusätzliche Massnahmen brauche, sind aber aktuelle Daten notwendig, wie das Bundesamt für Energie (BFE) am Sonntag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA schrieb. Die Zahlen über den Stromverbrauch ab August seien Ende Dezember vorhanden.

Entsprechend kann voraussichtlich ab Dezember festgestellt werden, wie viel Strom durch jetzt ergriffene freiwillige Massnahmen, wie energieeffizientes Kochen und Duschen oder durch besseres Lichterlöschen in Firmen, effektiv gespart wird.

Kritische Tage im Voraus erkennen

Grund für diese verzögerte Sicht sei die schleppende Digitalisierung vor allem bei kleineren lokalen Energieversorgungsunternehmen, hiess es beim Bundesamt für Energie (BFE) auf Anfrage von Keystone-SDA.

In den kommenden Wochen soll daher ein Monitoring über den Stromverbrauch erarbeitet werden. In dieses sollen gemäss BFE die aktuellen Daten der Energiebranche einfliessen. Diese Informationen sollen dann mit der Versorgungslage in Europa sowie mit den Daten zur Wetterentwicklung kombiniert werden.

Dank dieses Monitorings könnten kritische Tage oder Stunden im Voraus erkannt werden, schreibt das BFE. Die Bevölkerung und die Wirtschaft könne dann gezielt zum Stromsparen aufgerufen werden. Ähnlich des Dashboards während der Corona-Pandemie sollen diese Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.

Forderung nach Ausrufung der Mangellage

Wenn es nach dem Präsidenten der kantonalen Energiedirektorinnen und -direktoren ginge, würde der Bundesrats aber mit einem Entscheid über eine Ausrufung der Strommangellage gar nicht erst zuwarten. In einem Interview vom Samstag mit den Tamedia-Titeln plädierte Roberto Schmidt dafür, dass der Bundesrat dies jetzt schon macht.

Nur so könnten vorsorglich «relativ schmerzfreie» Sparmassnahmen verfügt werden, wie etwa die Abschaltung von Schaufensterbeleuchtungen. Ohne Ausrufung der Mangellage fehle Kantonen und Bund die Kompetenz dazu, so Schmidt.

Auf diese Forderung reagierten zwei Wirtschaftsverbände ablehnend. Notverordnungen seien nicht nötig, es solle bei der Freiwilligkeit bleiben. Wenn man selber entscheiden könne, trage das Volk die Massnahmen mit, sagte Swissmem-Präsident Stefan Brupbacher zu Schweizer Radio SRF. Ausserdem könnten die Unternehmen bereits heute Licht im Schaufenster löschen, wenn sie das wollten. sagte der Gewerbeverband-Direktor Hans-Ulrich Bigler ebenfalls zu SRF.

Der Bundesrat will in den kommenden Wochen konkrete und verbindliche Massnahmen zum Stromsparen prüfen, wie Wirtschaftsminister Guy Parmelin in der Samstagsrundschau des Radio SRF sagte. Anders als für einen allfälligen Gasmangel hat der Bundesrat für einen allfälligen Strommangel noch keine Verordnung ausgearbeitet.

Bundesrat will «Krisenstab» schaffen

Zurzeit arbeite der Bundesrat an der Schaffung eines interdepartementalen Krisenstabs, sagte Parmelin am Sonntagabend in einem Interview mit der Tagesschau des Westschweizer Fernsehens RTS. Der Bundesrat sei an den Vorbereitungen für das weitere Vorgehen, «damit wir in dem Moment, in dem wir in eine Krise geraten sollten, eine einzige Anlaufstelle für die Kantone haben», so Parmelin.

Der Krisenstab solle nur im Falle eines Energiemangels in der Schweiz aktiviert werden. Parmelin versicherte, dass die Regierung daran arbeite, Massnahmen wie Kontingentierungen zu vermeiden.

Auf die Kritik Schmidts angesprochen – der dem Bund Passivität vorwirft – sagte Parmelin: «Der Bundesrat hat seit Februar dieses Jahres viel getan. Der Generalsekretär der Energiedirektorenkonferenz war von Anfang an in die Arbeiten eingebunden», so Parmelin.

Schmidt habe vielleicht vergessen, dass er bereits letztes Jahr im September/Oktober vor der Gefahr einer Stromknappheit gewarnt habe. Seitdem arbeiteten das Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Umwelt (Uvek) und das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) «Hand in Hand und der gesamte Bundesrat mit ihnen, um Lösungen zu finden».

SDA/uri