Inflation auf Höchststand«Schauen Sie beim Einkaufen genauer hin»
Von Anna Kappeler
5.7.2022
Die Inflationsrate ist in der Schweiz seit fast 30 Jahren nie mehr so hoch gewesen wie jetzt. Was bedeutet das? Und welche Auswirkungen hat das für die Kleinsparerin, den Mieter und die Rentnerin? Ein Experte erklärt.
Von Anna Kappeler
05.07.2022, 00:00
05.07.2022, 14:55
Anna Kappeler
Die Konsumentenpreise steigen auch hierzulande weiter an. Die Inflation ist im Juni auf 3,4 Prozent gestiegen, wie das Bundesamt für Statistik BFS mitgeteilt hat. Das ist die höchste Teuerung seit 1993.
Teurer wurden insbeondere Güter aus dem Ausland, und zwar um 8,5 Prozent. Bei Waren im Inland beträgt der Anstieg 1,7 Prozent.
Wegen des Krieges in der Ukraine sind zudem die Preise von Treibstoff, Heizöl und gewissen Gemüsesorten angestiegen.
Ist das ein Grund zur Sorge? Und wie betrifft die Inflation in der Schweiz die ganz normale Konsumentin? blue News hat den Finanzexperten Martin Spieler um eine Einschätzung gebeten.
Herr Spieler, die Inflation ist im Juni auf 3,4 Prozent geklettert. Warum muss mich das als Konsumentin interessieren?
Das ist einfach: Mit dem Geld, das Sie zur Verfügung habe, können Sie nun weniger kaufen. Das spüren Sie ganz direkt beim Einkaufen. Sie haben nun weniger im Einkaufswägeli. Das betrifft die breite Öffentlichkeit. Doch auch Rentner*innen spüren die Inflation. Mit der gleichen Rente können sie jetzt weniger konsumieren.
Die Inflation ist also eine schlechte Nachricht für alle. Spüren Wenigverdienende das besonders drastisch?
Zur Person
zVg
Martin Spieler ist unabhängiger Finanzexperte. Er war während über zehn Jahren Chefredaktor der «Sonntagszeitung» und der «Handelszeitung». Heute ist Spieler Wirtschaftskonsulent, Verwaltungsrat und schreibt unter anderem Fachtexte für Publikationen in der Schweiz.
Ja, aber nicht nur. All diejenigen, die gespart haben, also Geld auf dem Konto haben, spüren das. Die Teuerung verringert auch hier den Wert des Geldes. Dies, weil die Kaufkraft des angesparten Betrags kleiner geworden ist. Heisst: Auch alle Sparerinnen und Sparer verlieren.
Was tun?
Das Geld investieren. Sonst nagt die Teuerung am Wert des Geldes. Das Ziel sollte sein – und das ist gar nicht so einfach – mehr Rendite zu erwirtschaften als die Teuerung.
Ich müsste nun also aktiv werden? Und mein Geld nicht einfach auf dem Bankkonto parkiert lassen?
Aus der Perspektive der Teuerung: Ja. Doch hier gibt es ein Problem. Es gibt erhebliche Anlagerisiken, wie wir aktuell an der Börse sehen.
Nochmals grundsätzlich: Wie stark muss mich die zunehmende Inflation beunruhigen?
Das ist eine ernste Angelegenheit. Auch in der Schweiz haben wir inzwischen für hiesige Verhältnisse eine hohe Teuerung. Diese folgt auf Jahre, in der wir praktisch keine Teuerung hatten – es gab zwischenzeitlich ja sogar eine negative Teuerung. Das ist der Grund, warum auch die Nationalbank bereits aktiv geworden ist.
Mieterinnen von schlecht isolierten Wohnungen müssen mit hohen Heizkosten rechnen. Noch teurer könnte Hausbesitzerinnen ihr Brennstoff zu stehen kommen. Wie sich wappnen?
Auf die Teuerung können Sie beispielsweise reagieren, indem Sie als Arbeitnehmer beim Chef nach mehr Lohn fragen.
Verstehe ich Sie richtig: Sie empfehlen, aufgrund der Teuerung nun mehr Lohn zu verlangen?
Aus Arbeitnehmersicht Ja. Doch unter dem Jahr gibt es sowieso nicht mehr Lohn. Auf die nächste Lohnrunde hin, also per Ende Jahr, wird eine Lohnerhöhung auch bei den Arbeitgebern ein Thema werden. Und doch muss ich vor zu hohen Erwartungen warnen. Die Gewerkschaften fordern nun ja Lohnerhöhungen von fünf Prozent.
«Arbeitnehmende müssen realistisch bleiben. Sonst läuft die Inflation nur noch mehr aus dem Ruder.»
Doch diese Forderung hat eine Schattenseite. Steigen nun auch die Löhne stark, rutschen wir in eine sogenannte Lohn-Preis-Spirale. Käme diese Spirale in Gang, würde die Teuerung nur umso höher werden. Das wäre das Dümmste, was uns passieren könnte. Arbeitnehmende müssen realistisch bleiben. Sonst läuft die Inflation nur noch mehr aus dem Ruder.
Gewerkschaften wollen Geringverdienende wegen Teuerung entlasten
Travailsuisse will Arbeitnehmende mit tiefen Einkommen stärker entlasten. Die Inflation treffe Geringverdiener überdurchschnittlich stark, argumentierte der Gewerkschaftsdachverband vor den Medien.
23.06.2022
Die russische Invasion der Ukraine treibt nicht nur die Preise für Öl und Gas in die Höhe, sondern auch für Getreide. Was kann ich als Konsumentin machen, damit die Inflation nicht aus dem Ruder läuft?
Ich empfehle, beim Einkauf genauer hinzuschauen. Die Preisschilder zu vergleichen. Was kaufe ich ein? Wie und wo kaufe ich es? Preissensitiver zu werden, schadet nie.
Befeuert wird die Inflation durch die Importgüter, die im Juni 8,5 Prozent teurer waren als vor Jahresfrist. Was hat das für Folgen?
Weil im Ausland die Teuerung massiv stärker ist als bei uns, haben wir es hier faktisch mit einer importierten Teuerung zu tun. Da der Franken gerade sehr stark ist und die Nationalbank das zugelassen hat, wird diese Teuerung immerhin etwas abgefedert. Verhindern aber können wir sie nicht.
Vor zwei Wochen hat die Nationalbank den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf –0,25 Prozent erhöht. Reicht das?
Das reicht sicher nicht, nein. Die Nationalbank wird den Zins im September weiter erhöhen. Die Zinsen werden somit weiter steigen, was auch nötig ist. Nur so können wir die Teuerung noch einigermassen in den Griff bekommen.
«Die Nationalbank wird den Zins im September weiter erhöhen.»
Wir bekommen die Teuerung in den Griff?
Grundsätzlich können die Notenbanken die Zinsen laufend erhöhen. Doch diese Erhöhungen haben früher oder später einen Preis. Wenn die Zinsen zu stark steigen, was in der Schweiz zwar aktuell kein Risiko ist, in Europa und in den USA jedoch schon, wird die Konjunktur irgendwann in eine Rezession fallen. Heisst: Es besteht – zumindest in Europa – das Risiko einer ernsthaften Stagflation. Eine Stagflation bedeutet, dass eine Wirtschaft nicht mehr wächst, die Teuerung aber gleichwohl weiter steigt. Es ist eine Wortschöpfung aus Stagnation und Inflation.
Werfen wir abschliessend nochmals einen Blick ins Ausland: Die Teuerung in der Eurozone und den USA betrug im Juni 8,6 Prozent. Was heisst das für den globalen Handel?
Es ist klar, wenn die Teuerung dort steigt, spüren wir das auch in der Schweiz. Gerade bei den Importen. Es ist wichtig, dass die Nationalbank dies mit Zinserhöhungen bekämpft. Was sie ja auch macht. Es ist einerseits sonnenklar, dass die Zinsen in diesem Jahr weiter steigen werden. Auch in der Schweiz. Und ja, das werden dann auch hiesige Hausbesitzer und Mieter spüren. Andererseits bedeutet das, dass der Franken weiterhin stark bleiben wird. Die Lage bleibt angespannt.