Mühleberg-Abschaltung Wird der AKW-Rückbau zum neuen Geschäftsfeld? 

sda/tafu

9.12.2019

Nach fast 50 Betriebsjahren geht das AKW Mühleberg kurz vor Weihnachten für immer vom Netz. Der Rückbau wird den Betreiber einiges kosten, macht ihn aber auch zum Vorreiter.

In der Schweiz wird kurz vor Weihnachten das erste Atomkraftwerk stillgelegt. Der geplante Rückbau kostet den Betreiber BKW zunächst eine Stange Geld, künftig könnte sich die Pionierarbeit jedoch als ein Wettbewerbsvorteil in einem neuen Geschäftsfeld erweisen.

Am 20. Dezember soll das Kernkraftwerk Mühleberg nach 47 Betriebsjahren für immer abgeschaltet werden. Da in der Schweiz erstmals ein Atomkraftwerk stillgelegt wird, ist das öffentliche Interesse gross. Gegner hatten schon längstens eine Abschaltung aus Sicherheitsbedenken gefordert.



Aber das Aus für Mühleberg hat vor allem wirtschaftliche Gründe: 2013 hat das BKW-Management unter Chefin Suzanne Thoma entschieden, dass der Meiler zu wenig Profit abwirft, als dass sich die damals – nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima – geforderten Aufrüstungen gelohnt hätten. Für einen Weiterbetrieb hätte man schätzungsweise zehnmal so viel investieren müssen wie für eine Bewilligung bis 2019.

Experten aus dem Ausland

Damit wird das Ende einer Ära eingeläutet. In den 1950er-Jahren hat sich die Schweiz für die Kernenergie entschieden; eine Alternative wären Kohlekraftwerke gewesen. Die Atomkraft macht bis heute mehr als ein Drittel der Stromerzeugung aus.

Den Rückbau will BKW selbst übernehmen: Die rund 300 Mitarbeiter, die für das Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) arbeiten, brechen es auch ab. Die teils langjährigen Angestellten würden das Werk «in- und auswendig kennen», was vor Überraschungen schütze, hiess es auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP. Nach Bedarf werden zusätzlich noch Experten aus dem Ausland geholt, die bereits Erfahrungen mit dem Rückbau von AKW gemacht haben.

15 Jahre wird der Rückbau von Mühleberg dauern. Erst 2034 rechnet BKW damit, dass das Gelände wieder genutzt werden kann. Die Arbeiten beginnen nach den Feiertagen im neuen Jahr, und kosten tut das Ganze BKW fast 1 Milliarde Franken.

Vorreiter in der Schweiz

Hierzulande ist BKW damit Vorreiter. Die Mitarbeiter erwerben durch das Grossprojekt wertvolles Knowhow: «Sie werden die ersten in der Schweiz sein, die über Erfahrung sowohl im Betrieb als auch im Rückbau von Kernkraftwerken verfügen werden», heisst es vom Berner Konzern. Solche Fachkräfte würden auf dem Markt sicher über die Stilllegung von Mühleberg hinaus sehr gefragt sein.



Der Rückbau von Kernkraftwerken werde zunehmend als ein lukratives Geschäftsfeld für die Zukunft angesehen, sagt dazu Carsten Schlufter, Energie-Experte bei der UBS. Auch im Ausland gebe es zudem bisher nur wenige Unternehmen, die in diesem Bereich Erfahrung haben.

Sich das junge Geschäftsfeld zu erschliessen und auch für andere Betreiber den Rückbau zu übernehmen, könnte also «durchaus Sinn machen». Denn: Der Rückbau eines Kernkraftwerkes sei eine ebenso grosse Herausforderung wie der Neubau eines grossen Infrastrukturprojektes, sagt Schlufter.

Eigene Stilllegung hat Priorität

Für BKW steht jetzt aber zunächst die Stilllegung des eigenen Kernkraftwerks im Vordergrund: «Das ist unsere erste Priorität.» Es ist auch ein bedeutendes Unterfangen für die Gesellschaft: Die Stilllegung ist das grösste Projekt seit dem Bau der Anlage.

Ohnehin ist trotz des Startschusses das hiesige Ende der Atomkraft nach wie vor in weiter Ferne. Denn ganz anders sind die Pläne für die anderen Reaktoren: In der Schweiz dürfen zwar keine neuen Meiler mehr gebaut werden. Die bestehenden Anlagen können aber so lange weiter betrieben werden, wie sie sicher sind. Und das haben die Betreiber auch vor.



Das Kernkraftwerk Gösgen etwa, an dem Alpiq zu 40 Prozent beteiligt ist und die Geschäftsführung innehat, geht von einem Betrieb von mindestens 60 Jahren aus. Entsprechend werde in die Sicherheit und Erneuerung der Anlage investiert, hiess es von Alpiq. Gösgen nahm 1979 den kommerziellen Betrieb auf und dürfte somit also noch bis mindestens 2039 aktiv sein.

Letzter Meiler bis 2045

Am längsten dürfte in der Schweiz noch das Atomkraftwerk Leibstadt Strom ins Netz speisen. Denn es ist nicht nur das grösste Kraftwerk, sondern auch das jüngste. Es ist seit 1984 in Betrieb und hat eine installierte Leistung von über 1'200 Megawatt. Nach eigenen Angaben werden damit rund 16 Prozent des Schweizer Verbrauchs abgedeckt. Und Ziel der Betreiber ist es, dass der Reaktor bis mindestens ins Jahr 2045 Strom produziert.

Axpo führt bei Leibstadt als Mehrheitseignerin die Geschäfte. Aber auch Alpiq und wohlgemerkt BKW sind beteiligt. Die Stromproduktion des Berner Energieunternehmens ist also auch nach dem Aus von Mühleberg noch längst nicht atomkraftfrei.

Und selbst das älteste kommerzielle Atomkraftwerk der Welt könnte noch zehn Jahre weiterlaufen. Beznau 1 ist seit 1969 in Betrieb und hat eine unbefristete Betriebsbewilligung. Axpo plant, beide Blöcke des Kernkraftwerks Beznau «so lange weiter zu betreiben, wie dies sicher und wirtschaftlich möglich ist».



Nachzügler als Nutzniesser

Allerdings macht sich der Konzern bereits auch Gedanken über die Stilllegung. Gewisse Tätigkeiten im Rückbau seien nicht effizient mit eigenen Personal durchführbar, hiess es auf Anfrage von Axpo. Daher dürften später für bestimmte Arbeiten externe Dienstleister beauftragt werden. «Woher diese stammen werden und um welche Firmen es sich handeln wird, ist derzeit noch offen.»

Ob künftig gewonnene Expertise beim Rückbau von Atomkraftwerken später dann auch als Dienstleistung für andere infrage käme, könne Axpo heute noch nicht beurteilen. Die Stilllegung von Beznau liege einfach noch zu weit in der Zukunft. Was ein Unternehmenssprecher aber zu bedenken gab: Andere Betreiber – etwa in Deutschland, wo das letzte AKW bereits in drei Jahren abgeschaltet wird – hätten einen zeitlichen Vorsprung.

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