Alzheimer «Weisst du noch, wer ich bin?» – Wenn das viele Fragen zur Qual wird

dpa

21.9.2019

Oft wissen Familienangehörige nicht, wie sie mit Demenz-Erkrankten umgehen sollen. 
Oft wissen Familienangehörige nicht, wie sie mit Demenz-Erkrankten umgehen sollen. 
Bild: Daniel Naupold/dpa/Keystone/Symbolbild

Wie soll man damit umgehen, wenn geliebte Menschen alles zu vergessen drohen? Demenzerkrankungen wie Alzheimer stellen auch das Umfeld der Patienten vor immense Herausforderungen. Experten wissen Rat.

«Tante Elli, weisst du noch, wer ich bin?» «Ach Grosi, das ist doch keine Gabel.» «Komm Papa, wir machen jetzt mal Gehirntraining.» Sätze wie diese prasseln zu Tausenden auf demenzkranke Menschen ein. Sie mögen gut gemeint sein – für die Betroffenen können sie aber zur Qual werden.

«Mit solchen Bemerkungen werden sie darauf hingewiesen, was sie alles nicht mehr können, nicht mehr wissen», sagt Eva Leistra, Koordinatorin der Demenzdienste beim Malteser Hilfsdienst im deutschen Bistum Münster.

Um sich ihren Stolz und ihre Würde zu bewahren, versuchten Demente mit aller Macht, Verluste zu verbergen, erklärt Markus Proske, der seit vielen Jahren als Demenzberater tätig ist. Kontrollfragen und Korrekturen machten diese Mühen zunichte. Jeder, der Kontakt zu Dementen habe, solle sich eines verinnerlichen: «Es macht keinen Sinn, den Betroffenen wieder in die eigene Welt zurückholen zu wollen. Respektieren Sie ihn, begleiten Sie ihn in seine Welt.»

Mit der Demenz kommt das Vergessen – welche Erinnerungen und Hinweise können Betroffenen das Leben erleichtern, ohne sie permanent auf ihre Krankheit hinzuweisen?
Mit der Demenz kommt das Vergessen – welche Erinnerungen und Hinweise können Betroffenen das Leben erleichtern, ohne sie permanent auf ihre Krankheit hinzuweisen?
Bild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/Keystone/Symbolbild

Zahl der Erkrankungen steigt stetig

Rund 151'000 Menschen in der Schweiz haben laut Hochrechnungen von Alzheimer Schweiz (Stand: 2018) eine Demenz, rund die Hälfte der Betroffenen hat allerdings keine fachärztliche Diagnose. Gut 28'800 Neuerkrankungen gibt es derzeit jährlich – umgerechnet bedeutet dies, dass alle 18 Minuten ein Mensch an Demenz erkrankt.

Bis 2040 wird wegen der steigenden Lebenserwartung landesweit mit einer Verdopplung der jährlichen Neuerkrankungen gerechnet. Bislang ist die mit massivem Zellschwund im Gehirn einhergehende Krankheit unheilbar.

«Demenz ist ein Prozess», betont Proske zum Welt-Alzheimertag am heutigen 21. September. «In der Anfangsphase reflektiert jeder Betroffene, dass etwas nicht stimmt.» Er sei dann ohnehin in einem emotionalen Notstand, voller Scham, verzweifelt. «Und dann wird er wie ein Kind abgefragt oder korrigiert», so Proske. «Das ist oft sehr erniedrigend.»

Was also tun, wenn das Grosi auf die Gabel zeigt und sagt: «Gib mir den Löffel»? Experten wie Proske und Leistra raten, den gemeinten Gegenstand auszuhändigen, ohne den Fehler zu kommentieren.

Ausweichen statt konfrontieren

Verhalte sich ein Demenzkranker aggressiver als vor der Erkrankung, liege das – von seltenen Sonderformen abgesehen – oft am unsensiblen Umgang mit ihm. Ein klassisches Beispiel sei der Vorwurf, man habe sich die ganze letzte Woche nicht einmal gemeldet, erklärt Leistra. «Wenn Sie dem Demenzkranken widersprechen, weil Sie doch erst gestern mit ihm telefoniert haben, kann das in bösem Streit enden.»

Besser sei es, dem auszuweichen, etwa mit einem Satz wie: «Ach Mama, hast du mich so vermisst?», und den Betroffenen lieb in den Arm zu nehmen.

Für viel Verdruss sorge oft auch der Vorwurf, vom Partner oder Kind bestohlen worden zu sein, erklärt Christa Matter, Geschäftsführerin der Alzheimer Gesellschaft Berlin. Erkrankte vergässen binnen kürzester Zeit, wo sie Dinge hinlegen. In der Folge würden sie oft misstrauisch, weil sie sich nur mit einem Diebstahl erklären könnten, dass Schlüssel oder Geld nicht mehr zu finden sind.

Oft legen Demenzkranke alltägliche Gegenstände an den kuriosesten Orten ab – und wundern sich dann, wenn Schlüssel oder Ähnliches «abhanden» kommen.
Oft legen Demenzkranke alltägliche Gegenstände an den kuriosesten Orten ab – und wundern sich dann, wenn Schlüssel oder Ähnliches «abhanden» kommen.
Bild: Karl-Josef Hildenbrand/dpa/Keystone/Symbolbild

Das Gefühl, gebraucht zu werden

Proske sagt: «Wir müssen uns klar machen: Alles, was ein dementer Mensch macht, hat einen tieferen Grund.» Wenn auch nicht für uns, für ihn selbst sei er vollkommen schlüssig. Portemonnaie, Schlüssel oder Schuhe würden zum Beispiel gern im Kühlschrank deponiert. Dieser werde als ein Schrank wie jeder andere wahrgenommen und enthalte zudem schon etwas Wichtiges: das Essen. «Noch dazu ist er mit Licht ausgestattet – wie praktisch.»

Missachtet werde im Umgang mit Erkrankten oft ein zutiefst menschliches Bedürfnis: das Gefühl, gebraucht zu werden. «Sich nützlich zu fühlen, ist wichtig fürs Selbstwertgefühl, auch bei Dementen», sagt Proske. Es könne schon helfen, einem Maler Tapete und Malzeug zur Verfügung zu stellen oder einen Bauern zu fragen, wie er früher gewirtschaftet habe. «Das Kurzzeitgedächtnis ist zwar weg, aber das Langzeitgedächtnis bleibt, das kann man sich zunutze machen.»

Eine solche Brücke in die Vergangenheit könne auch sein, Senioren nach den Liedern ihrer Kindheit zu fragen, ergänzt Leistra. «Musik ist der Schlüssel zum Herzen vieler Demenzkranker.»

Angehörigen dementer Menschen raten die Experten dringend dazu, Schulungen zu besuchen. «Wissen hilft pflegen», betont Proske. Viele Betroffene würden daheim betreut, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Familien stiessen da oft an Grenzen, mit unnötigem Geschimpfe, unwirschen Reaktionen oder gar einer ausgerutschten Hand als Folge. «Mit dieser Schuld müssen Sie dann ihr ganzes Leben weiterleben», warnt er. «Das sind unsere Grosseltern und Eltern. Wir müssen uns doch gut um sie kümmern.»

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