Studie zu Flugzeugen zeigtHeftige Turbulenzen kommen immer häufiger vor – mit ein Grund ist der Klimawandel
vab
22.5.2024
Heftige Turbulenzen auf einem Singapore-Airlines-Flug enden für einen Passagier tödlich, mehrere sind verletzt. In den letzten Jahren haben sich die Vorfälle gehäuft. Mit ein Grund dafür könnte der Klimawandel sein.
vab
22.05.2024, 18:06
23.05.2024, 12:39
Vanessa Büchel
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Aufgrund von schweren Turbulenzen kam es auf einem Singapore-Airlines-Flug von London nach Singapur zu einem Toten und vielen Verletzten.
Bei den Turbulenzen könnte es sich um sogenannte Clear Air Turbulences (kurz CAT) gehandelt haben.
CAT sind besonders gefährlich, weil sie unvorhersehbar sind.
Eine Studie der Universität Reading zeigt, dass schwere Klarluftturbulenzen über dem Nordatlantik zwischen 1979 und 2020 um mehr als 50 Prozent zugenommen haben.
Es ist ein Horrorszenario für jeden Fluggast: Die Maschine beginnt zu ruckeln, Dinge fliegen durch die Luft, Menschen schreien – und das Flugzeug sinkt plötzlich viele Meter in die Tiefe. Turbulenzen sind keine Seltenheit im Flugverkehr.
Dabei müssen Turbulenzen nicht immer zwingend mit schlechtem Wetter und Gewittern einhergehen, sondern können auch vorkommen, wenn es draussen weit und breit keine Wolke am Himmel gibt. Die sogenannten Clear Air Turbulences (kurz CAT), auf Deutsch Klarluftturbulenzen, sind am gefürchtetsten, denn sie können völlig unerwartet auftreten.
Was die CAT so gefährlich macht, ist ihre Unvorhersehbarkeit. Bisher gibt es keine Technologie, die im Vorfeld Warnung geben könnte.
Was genau die Turbulenzen auf dem Singapore-Airlines-Flug von London-Heathrow nach Singapur am Dienstagmorgen ausgelöst hat, ist noch nicht abschliessend geklärt. Erste Berichte deuten jedoch darauf hin, dass es sich dabei um gefährliche CAT gehandelt haben soll, wie Sara Nelson, Präsidentin der Association of Flight Attendants-CWA, laut «NBC News» sagte.
Die Turbulenzen waren auf dem Flug nach Singapur so heftig, dass es Dutzende Verletzte gab. Ausserdem gab es ein Todesopfer, ein 73-jähriger Brite. Der Schock sass tief, die Maschine sank binnen kürzester Zeit um fast 2000 Meter.
Heute gibt es 50 Prozent mehr Klarluftturbulenzen
Zu Todesfällen durch Turbulenzen kommt es selten, so Larry Cornman, ein Physiker und Projektwissenschaftler am U.S. National Science Foundation National Center for Atmospheric Research, gegenüber «NBC News».
Das National Transportation Safety Board zieht Bilanz: Demnach soll es unter den Abermillionen von Flügen, die zwischen 2009 und 2023 in den USA abgehoben sind, 185 schwere Verletzungen durch Turbulenzen gegeben haben, schreibt «NBC News». Todesfälle habe es keine zu verzeichnen gegeben.
Kommt es turbulenzenbedingt zu Todesfällen, würden diese häufig durch Herzinfarkte oder Kopfverletzungen verursacht werden, meint Cornman weiter.
Wie auch im Fall der Boeing 777-300ER von Singapore Airlines. Dort soll das Todesopfer an einem Herzinfarkt gestorben sein, wie Medien berichten.
Jetstreams werden aufgrund von Klimawandel instabiler
Eine Studie von einem Forscherteam der britischen Universität Reading, die im Jahr 2023 in der Fachzeitschrift «Geophysical Research Letters» veröffentlicht wurde, macht jedoch deutlich, dass schwere Klarluftturbulenzen über dem Nordatlantik zwischen 1979 und 2020 um mehr als 50 Prozent zugenommen haben.
Als Grund dafür nannte Paul Williams, Co-Autor der Studie, unter anderen den Klimawandel.
Durch den Klimawandel wurde es in den letzten Jahren auf der Erde immer wärmer. Klimasimulationen zeigen die Folgen: Die Windgeschwindigkeit in den Jetstreams nimmt zu – und die Luftströme geraten durcheinander. Es handelt sich dabei um in etwa zehn Kilometern höhe wehende Luftströme, von denen es je zwei auf jeder Erdhalbkugel gibt.
Pilot*innen nutzen die Jetstreams, um schneller am Zielort anzukommen. Doch je mehr diese wehen, desto höher stehen auch die Chancen, dass eine Maschine am Rand der Jetstreams in eine Klarluftturbulenz gerät. Expert*innen warnen, dass vor allem Maschinen mit hohen Flugniveaus auf der Nordhalbkugel in Zukunft immer stärker von sogenannten CAT betroffen sein könnten.
Meldungen von Turbulenzen in der Schweiz konstant
In der Schweiz muss die Crew Vorfälle von Turbulenzen an die Behörden rapportieren. Gemäss dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) ist die Zahl der in den letzten Jahren gemeldeten Vorfälle wegen Turbulenzen und Windscherungen relativ konstant geblieben.
Christian Schubert, BAZL-Mediensprecher, teilt gegenüber blue News mit, dass 2019 das Jahr mit den meisten Vorfällen war. Damals wurden 109 Vorfälle gemeldet. 2020 wurden 62, 2021 43, 2022 61 und 2023 67 Fälle registriert. Berücksichtig werden muss, dass ein Grossteil dieser Zeit in die Corona-Pandemie fällt.
Die meisten Meldungen stammten dabei vom kommerziellen Luftverkehr, wie das BAZL auf der Website schreibt. 65 Prozent der Fälle ereigneten sich laut einer Auswertung bei der Anflug- und Landephase und fünf Prozent bei der Startphase. In 31 Prozent der gemeldeten Vorkommnisse befand sich die Maschine im Reiseflug.
«Starke Turbulenzen sind sehr selten»
Auch die Swiss stelle aktuell keine nennenswerte Veränderung hinsichtlich der Anzahl Meldungen von bestimmten Turbulenzen fest, wie Michael Pelzer, Mediensprecher bei Swiss International Air Lines Ltd., zu blue News sagt. «Es ist nicht ungewöhnlich, wenn im Verlauf eines Flugs gewisse Turbulenzen auftreten – starke Turbulenzen hingegen sind sehr selten. Pro Jahr verzeichnen wir jeweils eine Handvoll solcher Meldungen», so Pelzer.
Doch Clear Air Turbulences seien seit jeher ein wichtiges Thema für die Schweizer Airline, da die Sicherheit ihrer Fluggäste oberste Priorität habe. Pelzer erklärt: «Sie sind auf Wetterkarten nicht erkennbar, werden von Pilot*innen aber grundsätzlich per Funk an die Flugzeuge im selben Luftraum gemeldet, so dass die Flugroute bei Bedarf angepasst werden kann.»
Turbulenzen können laut dem Mediensprecher in den meisten Fällen von den Swiss-Pilot*innen umflogen werden. Ausserdem würden die Crews vor jedem Flug ein detailliertes Wetterbriefing durchführen, um Turbulenzen so möglichst zu vermeiden.
Käme es dennoch zu Turbulenzen in der Kabine, so würde man diese auf jedem Platz gleich intensiv spüren. Laut Pelzer gäbe es keine Sitze, die signifikant weniger betroffen sind. «Die Krafteinwirkung bei Turbulenzen ist entlang eines Flugzeugs zwar leicht unterschiedlich, der Unterschied jedoch minimal.»
In neue Turbulenzvorhersagesysteme investieren
Die CO2-intensive Fliegerei ist ein Teufelskreis. Paul Williams, Co-Autor der Studie, warnt gemäss «Tagesschau» vor einer massiven Zunahme von Klarluftturbulenzen. «Wenn wir mit Supercomputern eine Zukunft simulieren, in der die CO2-Menge in der Atmosphäre doppelt so hoch ist wie in der vorindustriellen Zeit, dann sehen wir etwa doppelt oder sogar dreimal so viele schwere Klarluftturbulenzen.»
Der Wissenschaftler ist überzeugt, dass in verbesserte Turbulenzvorhersage- und -erkennungssysteme investiert werden sollte, wie er gegenüber der «BBC» sagt.
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