Ausnahmezustand im Spital Triage – schwierige Entscheidungen für Ärzte in Krisenzeiten

sda/tafu

28.3.2020

Sind die Kapazitäten in den Spitälern an ihren Grenzen, müssen Ärzte schwerwiegende Entscheidungen treffen.
Sind die Kapazitäten in den Spitälern an ihren Grenzen, müssen Ärzte schwerwiegende Entscheidungen treffen.
Bild: Keystone

Wer wird behandelt, wer gilt als hoffnungsloser Fall? In Zeiten der Coronakrise und mangelnden Kapazitäten stehen Ärzte immer wieder vor einer Entscheidung, die nicht nur schwer zu treffen, sondern auch mit grossem moralischen Gewicht verbunden ist.

Die Coronavirus-Pandemie überfordert derzeit zahlreiche Spitäler bis hin zu ganzen Gesundheitssystemen. In Ländern wie Italien haben die Ärzte so viele schwerkranke Patienten, dass sie die sogenannte Triage anwenden müssen – ein System der Kategorisierung von Patienten, bei dem die hoffnungslosesten Fälle bei fehlenden Kapazitäten nicht mehr behandelt werden.

Der Begriff «Triage» leitet sich von dem französischen Wort «trier» ab, das «sortieren» oder auch «aussortieren» bedeutet. Entwickelt wurde die Triage von dem russischen Arzt Nikolai Pirogow, um im Krimkrieg (1853 bis 1856) mit der hohen Zahl verletzter Soldaten umzugehen.



Bis heute wird die Triage in aussergewöhnlichen Situationen wie Naturkatastrophen, Unfällen mit zahlreichen Opfern und nach Anschlägen angewendet. Binnen kurzer Zeit werden Patienten nach der Dringlichkeit ihrer Behandlung eingeteilt. In der Fachliteratur wird hervorgehoben, dass «ein erfahrener Notfallarzt mit einer speziellen Zusatzausbildung» diese Aufgabe übernehmen sollte.

«Riesiges moralisches Gewicht»

Im Fall der Coronavirus-Pandemie geht es bei der Triage in der Regel darum, wer bei einem Mangel an Intensivbetten und Beatmungsgeräten intensivmedizinisch behandelt wird. Dabei spielen in der Praxis ausser dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten und der Schwere seiner Symptome auch sein Alter eine Rolle.

Das schilderte etwa Christian Salaroli, Arzt in einer Klinik im besonders stark von der Corona-Krise getroffenen Bergamo, im «Corriere della Sera»: «Es wird entschieden nach Alter und Gesundheit. Wie in richtigen Kriegssituationen.»

Wegen des Mangels an Intensivbetten könnten nicht alle Covid-19-Patienten behandelt werden. «Wenn jemand zwischen 85 und 90 ernsthafte Atemaussetzer hat, ist es wahrscheinlich, dass wir nicht weiter machen», gibt Salaroli offen zu.

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Der italienische Verband der Anästhesisten und Intensivmediziner veröffentlichte Anfang März Richtlinien für die Triage. Darin heisst es, dass als letzte Massnahme ein Höchstalter für die intensivmedizinische Betreuung festgelegt werden müsse. Dass Alter allein ein zu simples Kriterium sein kann, wie Experten warnen, zeigt jedoch der Fall eines über hundertjährigen Corona-Patienten, der am Mittwochabend geheilt aus einem Spital in Rimini entlassen wurde.

Philippe Devos, ein Anästhesist aus dem belgischen Lüttich, sagt, die Triage belaste Ärzte mit einem «riesigen moralischen Gewicht». «Wir gehen in die Medizin, um Menschen zu heilen. Nicht um Entscheidungen zu treffen, wer leben darf.»

Ärzte nicht allein lassen

Der Deutsche Ethikrat fordert daher, Ärzte mit der Triage nicht allein zu lassen. Es bedürfe «weithin einheitlicher Handlungsmaximen für den klinischen Ernstfall nach wohlüberlegten, begründeten und transparenten Kriterien», schreibt das Gremium in einer am Freitag veröffentlichten Ad-hoc-Empfehlung.

Vorerst können sich Ärzte in Deutschland an Handlungsempfehlungen der Fachgesellschaften halten. Diese legen als Kriterium ausdrücklich den klinischen Erfolg und nicht das Alter fest.



In den Empfehlungen heisst es, eine Intensivtherapie sei dann nicht indiziert, wenn der Sterbeprozess unaufhaltsam begonnen habe, oder wenn die Therapie aussichtslos sei, weil keine Besserung oder Stabilisierung zu erwarten sei. Auch wenn das Überleben nur bei dauerhaftem Aufenthalt auf der Intensivstation gesichert werden kann, können Patienten demnach von der intensivmedizinischen Betreuung ausgeschlossen werden.

Chronik der Coronavirus-Krise 

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