Schon 8 Tote in diesem Jahr Spanien diskutiert über Grausamkeit und Sicherheit bei Stierrennen

Von Raquel Redondo, AP

4.9.2022

Ein Stier jagt die Feiernden während eines Stierlaufs. Der Tod von acht Menschen und die Verletzung von Hunderten weiterer Menschen, die von Stieren oder Kälbern aufgespiesst wurden, haben Spaniens äusserst beliebte Sommerfeste in den Städten ins Visier von Politikern und Tierschutzorganisationen gerückt.
Ein Stier jagt die Feiernden während eines Stierlaufs. Der Tod von acht Menschen und die Verletzung von Hunderten weiterer Menschen, die von Stieren oder Kälbern aufgespiesst wurden, haben Spaniens äusserst beliebte Sommerfeste in den Städten ins Visier von Politikern und Tierschutzorganisationen gerückt.
Bild: Bernat Armangue/AP/dpa

Acht Tote und Hunderte Verletzte - diese Bilanz des bisherigen Sommers lässt Forderungen nach Veränderungen laut werden. Nicht allen geht es dabei um den Schutz der menschlichen Teilnehmer.

Von Raquel Redondo, AP

Tradition und Adrenalin, Partys und Alkohol: Stierläufe sind in Spanien ein beliebtes Spektakel für Einheimische und Besucher. Bei Tausenden Sommerfesten im ganzen Land rennen wagemutige Läufer vor den mächtigen Rindern durch die Strassen, begleitet von Anfeuerungsrufen der Zuschauer. In diesem Jahr jedoch mischt sich Kritik in den Jubel. Bereits acht Menschen haben die Veranstaltungen das Leben gekostet und Politiker und Tierschützer fordern Veränderungen.

In Atanzón in Kastilien-La Mancha kamen die Feiernden kürzlich noch glimpflich davon. Es gab weder Tote noch Verletzte, als die Läufer zu Fuss und zu Pferd mit einem wütenden Stier zusammenstiessen. In der Kleinstadt Alalpardo, weniger als eine Autostunde entfernt, wurde jedoch ein 60-jähriger Mann in der vergangenen Woche von einem Stier aufgespiesst und getötet.

Diskussion über Verbot von Stierrennen

Eine Woche zuvor starb eine 73-jährige Französin, die regelmässig an Stierkämpfen teilnahm, in der Stadt Beniarbeig in Alicante, nachdem sie in die Brust gestochen worden war. Bei anderen Festen in Valencia wurden sechs Männer aufgespiesst und starben, und mehr als 380 Teilnehmer wurden verletzt. Dabei dauert die Saison noch bis November.

Die Behörden sind besorgt, aber auch ratlos, welche zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen weitere Unfälle verhindern könnten. «Einige Leute haben die Angst vor dem Stier verloren», sagt José María Angel, Chef der Rettungskräfte in Aragonien. Er fordert die Feiernden auf, vorsichtiger zu sein - die wichtigste Empfehlung nach einer Sitzung zum Thema Sicherheit bei Stierrennen.

Die stellvertretende Präsidentin der Regionalregierung von Valencia, Aitana Mas, lässt sogar die Möglichkeit einer Debatte über ein Verbot von Stierrennen offen. Die aktuelle Gesetzgebung sei nicht ausreichend, erklärt sie.

Besondere Grausamkeit

Bisher wurden nur wenige dieser Feste abgesagt. Ein Dorf, das diesen Schritt ging, ist Tavernes de la Valldigna in Valencia an der Ostküste des Landes. Der Bürgermeister begründet die Absage allerdings nicht mit dem Schutz der Teilnehmer, sondern mit dem Schutz der Tiere. «Ich hoffe, dass unsere Entscheidung die Debatte weiter auf die Strasse bringt und zu einem Ende dieser Tradition führt», sagt Bürgermeister Sergi González der Nachrichtenagentur AP und räumt gleichzeitig die tiefen kulturellen Wurzeln der Tradition ein.

Die öffentliche Debatte in Spanien konzentriert sich weitgehend auf die Todesfälle bei den Läufen. Aktivisten geht es dagegen um das Tierwohl. Sie fordern ein vollständiges Verbot von Veranstaltungen, bei denen Tiere zur Unterhaltung eingesetzt werden. Ihre Kritik richtet sich besonders gegen Feste, bei denen die Tiere besonderer Grausamkeit ausgesetzt sind, wenn Watte an den Hörnern der Stiere angezündet wird oder ein Tier ins Meer gejagt und dann zurück an Land getrieben wird.

Meist versuchen die Menschen in der Menge, die losgelassenen Stiere oder Kälber zu einem Angriff zu provozieren. «Bous al carrer» (Stiere auf der Strasse), heisst das im Dialekt in Valencia und der Präsident des Verbands, der die Tradition erhalten will, sieht kein Problem darin. Verletzungen seien eben Teil der Feste, sagt Alejandro Cano. Die meisten Stiere kehren nach den Rennen auf ihre Weiden zurück, einige werden jedoch in der Arena von Matadoren getötet.

2700 Stierrennen im vergangenen Jahr

In Spanien fanden nach Angaben des Kulturministeriums im vergangenen Jahr rund 2700 Stierrennen oder ähnliche Veranstaltungen statt. Die Zahl war im Vergleich zu einer regulären Saison aufgrund einiger noch geltender Corona-Einschränkungen geringer. Im Jahr 2019 waren es 17’000. In diesem Jahr werden bis Ende November rund 9000 Veranstaltungen erwartet.

Die berühmteste Stierhatz ist die von Pamplona, verewigt vom Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway in seinem Roman «Fiesta» von 1926. Dort gab es zuletzt vor 13 Jahren einen Todesfall. Die Sicherheitsmassnahmen und die Professionalität der Läufer unterscheiden sich jedoch deutlich von denen bei den vielen kleineren Festen in Spanien.

Atanzón wird seinen Schutzpatron, San Agustín, weiterhin auf die gleiche Weise feiern wie Pamplona. Und den Heiligen im Gebet bitten, dass einen weiteren Sommer lang niemand von den Stieren getötet wird.