Freier-Foren So bewerten Kunden die Prostituierten

Anna Kappeler

23.4.2019

Eine Prostituierte wartet in ihrem Zimmer in einem Bordell auf Kundschaft. (Symbolbild)
Eine Prostituierte wartet in ihrem Zimmer in einem Bordell auf Kundschaft. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Nach dem Sex ab an den Computer und eine Bewertung über die eben besuchte Prostituierte schreiben – das ist auch in der Schweiz in Freier-Foren völlig normal. Eine ehemalige Sexarbeiterin sagt «Bluewin», was sie davon hält.

Mit einigen Klicks lässt sich im Netz fast alles finden: das exquisiteste Restaurant, die aussergewöhnlichste Ferienwohnung. Oder aber der nächste Orgasmus. Und zwar bewertet danach, wie gut die Dienste der Prostituierten waren. Das klingt auf Freier-Foren wie Lusthaus.cc dann beispielsweise so: «Sie ist übrigens Nichtraucherin und schmeckt daher viel besser», schreibt ein User namens «Ketchup». Er beurteilt eine Frau namens «Lucie», «eine süsse kleine Schmusekatze», die mit seinem «kleinen Ketchup» im Mund und so weiter und so fort … – man will es eigentlich gar nicht schreiben. 90 Franken kostet der Eintritt ins Etablissement, zusätzliche 120 Franken eine halbe Stunde mit einer Frau im Zimmer.

Dieser Post ist explizit. Und: Da er sich auf das «Globe» im zürcherischen Schwerzenbach bezieht, können daraus Rückschlüsse auf die Frau gezogen werden. Manchmal wird dazu auch ein Foto der Frau hochgeladen.

«Persönlichkeitsschutz wird missachtet»

Bei der Frauenberatung Flora Dora, einer Institution der Stadt Zürich, sind diese Foren bekannt. Flora Dora-Leiterin Ursula Kocher sagt «Bluewin»: «Wir wissen, dass es sogenannte Freier-Foren gibt und lesen darin auch sporadisch mit.» Ein Stadt-Zürcher Beispiel ist dasjenige über den Strichplatz in Zürich-Altstetten. Kocher bestätigt, dass man in besagtem Forum «anhand der Beschreibung nachvollziehen könnte, um welche Frauen es geht». Das Problem: «Der Persönlichkeitsschutz der Frauen wird dadurch missachtet und gefährdet.»

Doch was lösen solche Bewertungen bei den Frauen selber aus? Eine, die es wissen muss, ist Brigitte Obrist. Die ehemalige Prostituierte, die einen eigenen Salon führte, und landesweit als Aushängeschild der Aids-Hilfe bekannt wurde, sagt «Bluewin»: «Ich halte gar nichts von solchen Freier-Foren.» Trotzdem findet sie, «dass man als Frau damit umgehen können muss. Bewertung gehört zum Sexgewerbe dazu.»



Mit Bewertungen halten sich die Freier denn auch nicht zurück. User «Geniesser 2525» etwa schreibt: «Extrem gut fürs Selbstbewusstsein euer hübsches Lieblingsgirl mitten im Club richtig durchzuf.....» Nicht immer allerdings sind die Ratings positiv. Etwa im Post von User «Zungenschlag», der sich über «… überwiegend kalte, pseudonette Püppies» beklagt. Ihm ging es zu lange, bis man «endlich was Brauchbares findet».

User «Mont Blanc» beschwert sich über eine Frau in der Region Bern: «Sie ist deutlich älter als auf den Fotos und hat gewichtsmässig deutlich zugelegt. Bin dann doch leider für ein kurzes Nümmerli geblieben ...» Die französische Einlage habe ihm nicht gefallen, «hatte wenig Gefühl und Zähne waren zu spüren.»

«Solche Freier sind frauenfeindlich»

Für Ex-Salonbesitzerin Obrist ist klar: Solche Freier will man als Sexarbeiterin nicht. «Mich erinnern sie an die Trolle auf Social Media. Sie sind ein Übel. Sie sind frauenfeindlich», sagt sie. «Aber zum Glück sind sie die Ausnahme.» Leider aber könne man nicht viel gegen sie tun: «Erstens gilt das Recht auf freie Meinungsäusserung, zweitens kann man solche Freier aufgrund ihrer Anonymität in den Foren kaum zurückverfolgen», sagt Obrist.

Das weiss man auch in der Frauenberatung Flora Dora, entsprechend mischt man sich kaum ein. «Wir kommentieren selbst frauenverachtende Kommentare bewusst nicht», sagt Kocher. Warum nicht? «Meiner Einschätzung nach könnten solche moralisierenden Kommentare unsererseits bei den Freiern zu Unmut führen.» Eingreifen würde die Beratungsstelle dann, wenn jemand zu Gewalt aufriefe. «Das ist zum Glück noch nie vorgekommen.»

Für die ehemalige Sexarbeiterin Obrist sind die Ratings der Freier eine zweischneidige Angelegenheit: «Einerseits haben sie wohl kaum wirklich Einfluss auf das Geschäft. Bewertungen sind subjektiv, und ein regelmässiger Freier wird sich durch eine schlechte Bewertung kaum vom Besuch abbringen lassen.» Andererseits aber könne mit solchen Ratings gezielt Mobbing gegen einzelne Frauen oder Salons betrieben werden. «Manche Frauen könnten ihre Stamm-Freier um den Gefallen bitten, eine schlechte Bewertung über eine andere Frau zu schreiben.» Obrist habe von Frauen gehört, welche jene Foren-Inhalte denn auch gar nicht toll finden.

Danach gefragt, welche Konsequenzen Freier-Foren auf die Sexarbeiterinnen haben können, sagt Ursula Kocher von Flora Dora: «Die uns bekannten Sexarbeiterinnen bewegen sich nicht auf Freier-Foren.» Sie wüssten folglich nicht, dass sie bewertet würden. Überhaupt ist Kocher realistisch: «Sexarbeit ist ein hart umkämpftes Segment. Hier regieren Angebot und Nachfrage. Im Sexgewerbe wird immer bewertet.» Viele Frauen würden ihre Dienste neben dem Strassenstrich denn «ziemlich oft auch auf Online-Plattformen» anbieten.

Ratings mit Penissen statt Sternen

Dass die Frauen auf mehreren Kanälen für sich werben, bestätigt Obrist. Als sie in den 80er-Jahren Prostituierte war, spielte das Internet kaum eine Rolle, schon damals aber gab es in bestimmten Magazinen Anzeigen, in denen Freier die Frauen bewerteten. Wie bei einer Filmkritik habe es Ratings gegeben. «Mit dem Unterschied, dass statt Sterne Penisse vergeben wurden.» Sie hätten unter sich natürlich darüber geredet, welches Inserat nun das Beste gewesen sei.

In den Freier-Foren werden nicht nur die Frauen, sondern auch die Clubs bewertet. Fast wie auf Tripadvisor also, nur das statt der kinderfreundlichen Umgebung andere Kriterien wichtig sind: Ein User etwa lobt die «sanitären Anlagen, die einen hygienisch einwandfreien Eindruck» machten. Ein anderer Freier hingegen nervt sich, dass er nach vollbrachtem Akt zuerst durch einen Flur laufen musste, um duschen zu können. Auch seien diese alt gewesen, genauso wie die Teppiche. Manchmal wird auch das Essen kurz erwähnt: «Essenstechnisch wird man ohne Zusatzzahlung abgefertigt (Gulasch oder Nudeln mit Tomatensosse).»

Was tun gegen Fake-Profile?

Manche Bewertungen in den Freier-Foren sind indes auffallend sorgfältig geschrieben, enthalten keine Rechtschreib- oder Tipp-Fehler. Doch: Sind das noch Freier-Kommentare? Oder schon bezahlte Werbe-Beiträge? Und: Was tun gegen Fake-Profile? Das wollte «Bluewin» vom Betreiber des Lusthaus-Forums wissen, die Anfrage blieb allerdings unbeantwortet.

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