Belästigung in der Antarktis«Ich hatte beschlossen, dass ich überleben werde»
phi
2.9.2023
Auf einer Forschungsstation in der Antarktis gibt es kaum ein Entrinnen. Wenn Männer dort Frauen belästigen oder bedrohen, wird das zu einem grossen Problem, wie der Fall einer US-Forscherin aufzeigt.
phi
02.09.2023, 18:30
phi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Auf der amerikanischen McMurdo-Station in der Antarktis arbeiten im Winter 200 bis 300 und im Sommer bis zu 1000 Menschen, von denen 70 Prozent männlich sind.
In einer Befragung des Betreibers, der staatlichen National Science Foundation, im Jahr 2022 berichteten 59 Prozent der Frauen von Belästigungen oder Bedrohungen.
Die 35-jährige Liz Monahon erzählt über ihren Fall: Ein Neuseeländer habe ihr Leben bedroht, sodass sie sich aus Angst mit einem Hammer bewaffnete.
Dieser und andere Fälle zeigen, dass auf solche Berichte bisher kaum reagiert worden ist.
Die amerikanische McMurdo-Station ist die grösste Forschungs- und Logistik-Einrichtung in der Antarktis – und liegt fernab jeglicher Zivilisation. Nur in der nahe gelegenen neuseeländischen Scott Base leben und arbeiten noch andere Menschen.
Diese Abgeschiedenheit kann zum Problem werden. Nicht nur wegen der ewigen Finsternis im antarktischen Winter oder wegen des eisigen, heulenden Windes, sondern auch dann, wenn Männer Frauen in der Station belästigen. Das musste Liz Monahon 2021 am eigenen Leib erfahren.
Die Mechanikerin fühlte sich von einem Kollegen bedroht, doch ihr Arbeitgeber unternahm nichts, um sie zu schützen, berichtet die Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Also musste sie sich selber helfen – und trug fortan immer einen Hammer bei sich, den sie entweder im Pullover oder in ihrem Sport-BH versteckte.
Belästigung gemeldet – und gefeuert worden
«Wenn er nur in meine Nähe gekommen wäre, hätte ich ihn geschlagen», sagt Monahon. «Ich hatte beschlossen, dass ich überleben werde.» Andere Kollegen schickten sie daraufhin auf Missionen auf dem Eis, damit sie ihrem Peiniger aus dem Weg gehen konnte, der später die Station verliess.
Wie sich dann herausstellte, hatte der Mann eine kriminelle Vorgeschichte und vor seinem Einsatz eine Anweisung gebrochen, Abstand zu einer Person zu halten. Eine AP-Recherche förderte weitere solche Fälle in der Antarktis zutage: 2019 soll eine Frau ihrem Arbeitgeber gemeldet haben, sie sei belästigt worden – und wurde zwei Monate später gefeuert.
Eine andere Frau soll gemeldet haben, ein Vorgesetzter habe sie unsittlich berührt. Dennoch musste sie weiter mit ihm arbeiten. In einem vierten Fall habe eine Forscherin sogar eine Vergewaltigung angezeigt, doch der Arbeitgeber habe den Fall fälschlicherweise als Belästigung in den Akten notiert.
«Niemand war da, um mich zu beschützen – ausser mir»
All dies führt unter den Frauen auf der Station zu einem Klima der Angst: «Niemand war da, um mich zu beschützen – ausser mir», erklärt jetzt die 35-jährige Monahon. «Und das war das, was mich so erschreckt hat.» Betrieben wird die McMurdo-Station von der staatlichen National Science Foundation, die 2022 eine Umfrage zum Thema durchführte.
Dabei zeigte sich, dass 59 Prozent der befragten Frauen Belästigung oder Angriffe erlebt haben, während sie in der Antarktis waren. 72 Prozent sagten, dass übergriffiges Verhalten ein Problem auf der Station sei. Diese Ergebnisse waren auch der Grund, dass der US-Kongress im Dezember 2022 die Sache untersucht hat.
Auf der McMurdo-Station arbeiten im Winter 200 bis 300 Personen, doch ihre Zahl steigt im Sommer auf bis zu 1000 Forschende an. 70 Prozent davon sind Männer, weiss AP. Sie werden in der Regel von Subunternehmen angestellt: Diese wollen nun die Hintergrund-Überprüfungen ihrer Angestellten verbessern. Zudem ist eine 24-Stunden-Hotline eingerichtet worden, der solche Vorfälle gemeldet werden können.
Peiniger in Neuseeland verurteilt
Als sich Monahon an ihren Arbeitgeber gewendet hatte, war der Subunternehmer noch weniger aufgeschlossen. Eine Angestellte der Personalabteilung riet ihr davon ab, ihren Peiniger anzuzeigen. Er sei Neuseeländer, was Probleme auf dem internationalen Parkett verursachen könnte. Eine Meldung könnte sich auch nachteilig auf ihre Rolle in der Station auswirken, wurde Monahon zu verstehen gegeben.
Die Amerikanerin schrieb dem HR danach, der Beschuldigte «ist eine Gefahr für mich. Er hat mein Leben bedroht. Er ist in der Lage, mir wehzutun, und er will mir wehtun. Ich lebe seit zwei Tagen in Angst.» Monahon bewaffnete sich mit dem Hammer, doch es kam zu keinem Zwischenfall mehr, weil sie auf einen Aussenposten abkommandiert wurde.
In ihrer Abwesenheit verliess der Mann die Station. Wegen Bedrohung seiner Ex-Frau wurde er im März 2022 zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit und zehn Monaten bedingt verurteilt. Die Bedrohung Monahons hatte keine Konsequenzen für ihn: Diese waren nicht Teil der Verhandlung. Der Mann lebt heute wieder in Neuseeland.
Monahon machte ihren Fall öffentlich, um Veränderungen anzustossen. Sie ist 2022 erneut zur Station gefahren. «Sie dürfen nicht gewinnen», erklärt sie ihre Motivation. Dass sich wirklich etwas ändern wird, scheint sie aber zu bezweifeln: «Ich denke, jetzt gerade gewinnen sie.»