Coronavirus-Mutation Grossbritannien isoliert – Passagiere an Flughäfen gestoppt

SDA/dpa/uri

21.12.2020 - 07:30

Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes und die Flughafenfeuerwehr stehen am 20. Dezember 2020 auf dem Gelände des Flughafens Hannover-Langenhagen. Hier betraf der für Deutschland verhängte Einreisestopp 63 Passagiere eines Flugs aus London. 
Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes und die Flughafenfeuerwehr stehen am 20. Dezember 2020 auf dem Gelände des Flughafens Hannover-Langenhagen. Hier betraf der für Deutschland verhängte Einreisestopp 63 Passagiere eines Flugs aus London. 
Keystone

Wegen einer in Grossbritannien entdeckten Coronavirus-Variante schottet sich Europa zum Wochenbeginn zunehmend ab. Auch der Bundesrat hat bereits reagiert: Flugzeuge aus Grossbritannien und Südafrika dürfen in der Schweiz nicht mehr landen.

Zahlreiche europäische Länder haben am Sonntag Flugverbote oder Grenzschliessungen zum Vereinigten Königreich verkündet. In der EU fiebert man indes einem Gutachten zu einem Corona-Impfstoff am Montag entgegen.

Grund für die Reisebeschränkungen ist eine kürzlich entdeckte Mutation des Virus in Grossbritannien, die nach ersten Erkenntnissen britischer Wissenschaftler um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form sein soll. Premierminister Boris Johnson hatte betont, es gebe aber keine Hinweise darauf, dass Impfstoffe gegen die Mutation weniger effektiv seien. Die Form breitet sich vor allem in London und Südostengland rasant aus. Für die Region ordneten die Behörden einen Shutdown mit Ausgangs- und Reisesperren an.

Mutation in Schweiz noch nicht nachgewiesen

Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) stellte wegen der neuen hochansteckenden Coronavirus-Mutation die Flugverkehrs-Verbindungen von und nach Grossbritannien und Südafrika per Sonntagmitternacht ein. Mit dem Flugverbot solle eine weitere Ausbreitung der neuen Virus-Variante verhindert werden, heisst es in einer Mitteilung des Bazl vom Sonntagabend.

Das Bazl informierte die betroffenen Flughäfen und Airlines sowie die Geschäftsluftfahrt über die Sofortmassnahme, wie es weiter heisst. Die Mutation habe in der Schweiz zwar noch nicht nachgewiesen werden können. Es sei jedoch zu erwarten, «dass die Variante schon in kleiner Zahl hier ist», hiess es am Sonntag von der Taskforce auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.



Die Schweiz befinde sich in einer Risikozone mit einem Gesundheitssystem an der Kapazitätsgrenze. Dazu kämen saisonale Faktoren wie eine erhöhte Mobilität während der Festtage, der Wintersport sowie der vermehrte Aufenthalt in Innenräumen. Eine Virusvariante, die sich plausibel schnell ausbreite, sei für die Schweiz daher «sehr problematisch».

63 Passagiere in Hannover gestrandet

Sonntagabend wurde die Einreise von Flugpassagieren aus Grossbritannien ebenfalls an mehreren deutschen Flughäfen zunächst gestoppt. In Hannover betraf das am Abend etwa 63 Passagiere eines Flugs aus London. Es wurden Vorbereitungen für Notübernachtungen am Flughafen getroffen. Sie sollten sich alle PCR-Tests unterziehen. Auch in Stuttgart mussten sich Flugreisende aus London testen lassen.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft berief wegen der Mutation für Montag ein Notfalltreffen mit Vertretern anderer Mitgliedstaaten ein. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel hatten bereits am Sonntag in einem Telefonat die Lage erörtert.

Einzelne Fälle der Mutation sind offenbar bereits in der EU aufgetreten, etwa in Italien. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn erwähnte im ZDF Fälle in Dänemark, die aber nach Angaben dänischer Behörden unter Kontrolle seien. Der Europaabgeordnete Peter Liese sprach von nachgewiesenen Infektionen in Belgien und den Niederlanden. «Es wird ja erst seit Kurzem überhaupt auch diese neue Variante gezielt getestet. Man kann nicht ausschliessen, dass es schon viele Infektionen auf dem Kontinent gibt», sagte er der «Welt». In Deutschland ist die neue Variante nach Angaben des Berliner Charité-Virologen Christian Drosten bisher nicht aufgetaucht.

Mehrere Länder verhängen Flugstopps

Neben der Schweiz und Deutschland haben diverse Länder mit Flugstopps oder ähnlichem gehandelt, darunter Belgien oder Irland. Auch Österreich und Luxemburg verfügten ein Landeverbot für Flüge aus Grossbritannien. Frankreich und die Niederlande verhängten ein Einreiseverbot für Reisende aus Grossbritannien auf dem Luft-, See- und Landweg. Deshalb wurden der wichtige britische Hafen Dover am Ärmelkanal sowie der Eurotunnel um Mitternacht geschlossen. Auch Argentinien, Kolumbien, Chile, Kanada und der Golfstaat Kuwait stoppten Flüge aus Grossbritannien.

Reisende mit Mund-Nasen-Bedeckungen warten am 20. Dezember 2020  im Londoner Bahnhof St. Pancras in einer Schlange, um den letzten Zug nach Paris zu nehmen. 
Reisende mit Mund-Nasen-Bedeckungen warten am 20. Dezember 2020  im Londoner Bahnhof St. Pancras in einer Schlange, um den letzten Zug nach Paris zu nehmen. 
dpa

Angesichts der zunehmenden Isolation seines Landes berief Premierminister Johnson für diesen Montag ein Krisentreffen seiner Regierung ein. Ein «steter Fluss von Fracht» aus und nach Grossbritannien müsse sichergestellt werden.

Der deutsche SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte vor einem schnellen Vordringen der Coronavirus-Variante. «Wenn es jetzt käme, wo wir mitten in der zweiten Welle sind, wo wir so hohe Fallzahlen haben, wäre das eine Katastrophe», sagte Lauterbach am Sonntagabend im «Bild»-Talk «Die richtigen Fragen». «Das ist so ähnlich, als wenn ich ein Feuer habe und giesse noch einmal Benzin nach.» Die Wahrscheinlichkeit, dass die neue, angeblich deutlich ansteckendere Corona-Variante über kurz oder lang nach Deutschland komme, bezifferte Lauterbach auf 100 Prozent.

Unterdessen wird am Montag ein Gutachten der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA für den Corona-Impfstoff von Biontech und dessen US-Partner Pfizer erwartet. Die Behörde will ihre Beurteilung am Montag vorlegen – erwartet wird grünes Licht. Formell muss dann noch die EU-Kommission zustimmen. Das gilt als Formsache und könnte nach früheren Angaben sogar innerhalb eines Tages erfolgen. Damit wäre noch vor Heiligabend der Weg frei für Massenimpfungen in allen EU-Staaten. Experten zeigten sich zuversichtlich, dass der Impfstoff auch gegen die neue Variante wirkt.

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