Guanziroli am Gericht Raubüberfall in Zürich: Wo ist der dritte Mann, wo die Millionenbeute?

Silvana Guanziroli

7.11.2019

Der Beschuldigte beim Betreten des Juweliergeschäftes. Für den Raub hat er sich seine Haare braunrötlich gefärbt und eine Brille aufgesetzt.
Der Beschuldigte beim Betreten des Juweliergeschäftes. Für den Raub hat er sich seine Haare braunrötlich gefärbt und eine Brille aufgesetzt.
Bild: Oberstaatsanwaltschaft Zürich

Es geht schnell damals. Lächelnd betritt der Mann das Juwelier-Geschäft in Zürich. Minuten später flüchtet er mit zwei Komplizen und Beute im Wert von 3,5 Millionen Franken. Ein filmreifer Coup, der ihn jetzt vor Gericht bringt.

Zum Prozess kommt es am Freitag vor dem Zürcher Bezirksgericht. Die Staatsanwaltschaft hat den heute 31-jährigen Bosnier wegen Raubes, Entwendung eines Fahrzeuges und wegen Widerhandlung gegen das Waffengesetz angeklagt. Für die Anklagebehörde ist klar, dieser Mann zeigt bei der Ausführung seiner Verbrechen grosse kriminelle Energie, und er schreckt auch nicht vor Gewalt gegen seine Opfer zurück.

So liest sich die Anklageschrift, die «Bluewin» vorliegt, dann auch wie eine Vorlage für den nächsten grossen Hollywood-Blockbuster im Stil von «Ocean's Eleven». Denn so planmässig wie Danny Ocean (George Clooney) und seine Truppe ein Kasino in Vegas ausrauben, sind auch der Bosnier und seine zwei Komplizen in Zürich vorgegangen.

Planung dauert zwei Monate

Bereits zwei Monate vor der eigentlichen Tatausführung reist das Trio nach Zürich. Dort quartiert es sich in einer Wohnung in der Nähe des Juweliers ein. Wie sich später herausstellt, ist der Beschuldigte nur wenige Tage vor seiner Reise in die Schweiz in Wien aus dem Gefängnis entlassen worden. Er sei zum Coup in Zürich gedrängt worden, wie er später sagt. So habe er beim Auftraggeber mit 33'000 Franken in der Kreide gestanden.

Kaum in der Schweiz beginnen die Männer mit ihrer kriminellen Arbeit. Sie kundschaften den Juwelier an der Rämistrasse aus. Zunächst nur von aussen. Um zu sehen, wie es im Inneren des Lokals aussieht, legen sie sich am Abend auf der gegenüberliegenden Seite auf die Lauer. Denn bei Dunkelheit lässt es sich besser in die erleuchteten Räumlichkeiten spähen. 

Eine Woche vor dem Raubüberfall betritt der Beschuldigte die Geschäftsräume. Er klingelt an der Türe und gibt dem Verkaufspersonal an, er suche für seine Verlobte ein Valentinsgeschenk. Während 30 Minuten lässt er sich Ohrschmuck und Ringe zeigen. Dann reserviert er zwei Stücke. Er komme nächste Woche wieder, um sie abzuholen, sagte er der Verkäuferin und geht. 

Der Trick mit dem Fluchtauto

Auch die Flucht plant die Truppe akribisch. Oder besser gesagt, die kriminelle Organisation, für die sie den Raub ausführen. Wochen zuvor meldet sich ein unbekannter Mann bei einem deutschen Anbieter, der seinen «BMW 118d» verkaufen will. Der vermeintliche Interessent gibt an, er wolle das Auto und fordert deshalb per Mail eine Kopie des Fahrzeugausweises an.

Gestützt auf diese Fahrzeugdaten raubt die Bande in Mailand gewaltsam ein typgleiches Auto. In einer Werkstatt wird ein Schlüsseltransponder programmiert, die Fahrzeugidentifikationsnummer am Auto abgeschliffen und das gefälschte Kennzeichen des deutschen Fahrzeuges angebracht. Damit existiert ein Dublettenfahrzeug, das mit jenem, das in Deutschland registriert ist, identisch ist.

Das Dublettenfahrzeug ist mit dem legal eingelösten Fahrzeug identisch.
Das Dublettenfahrzeug ist mit dem legal eingelösten Fahrzeug identisch.
Bild: Kantonsplizei Zürich

Falsche Haarfarbe und falsche Brille

Und genau dieses Fahrzeug setzt das Trio in Zürich für seinen Raubüberfall ein. Die Männer benutzen es, wenn sie den Juwelier auskundschaften. Sie fahren die Route ab, die sie nach dem Raub nehmen wollen – und stoppen die Zeit. Denn das gefälschte Auto soll nur auf den ersten Kilometern gesehen werden. Für die weitere Flucht steht in der Nähe ein zweites Fahrzeug bereit. Zudem verändern die Männer ihr Äusseres. Der Beschuldigte färbte sich seine Haare rötlich und setzt sich eine falsche Brille auf. 

Hier an der Rämistrasse in Zürich kommt es zum Raubüberfall auf das Juweliergeschäft.
Hier an der Rämistrasse in Zürich kommt es zum Raubüberfall auf das Juweliergeschäft.
Bild: Google Maps

Schliesslich schreitet die Truppe zur Tat. Der Bosnier klingelt an diesem Samstag gegen 12 Uhr an der Türe des Juweliers. Er wird sofort eingelassen, der Geschäftsführer denkt, er wolle die reservierten Schmuckstücke abholen.

Auch der zweite Komplize klingelt und wird als vermeintlicher Kunde eingelassen. Dann zieht der Bosnier die mitgebrachte Waffe – vermutlich ein Model der Marke CZ –, und drückt sie dem Geschäftsführer in den Rücken. Er zwingt ihn, sich auf den Boden zu legen.

In diesem Moment kommt der dritte Räuber ins Geschäft. Im Gegensatz zu seinen Mittätern ist dieser Mann komplett vermummt. Auf den Videoaufnahmen, welche die Polizei später auswertet, ist er nicht zu identifizieren. 

Der dritte Mann betrat als Letzter das Geschäft. Er war vermummt und konnte bis heute nicht identifiziert werden.
Der dritte Mann betrat als Letzter das Geschäft. Er war vermummt und konnte bis heute nicht identifiziert werden.
Bild: Oberstaatsanwaltschaft Zürich

Die Männer greifen sich die Schlüssel. Sie räumen sämtliche Vitrinen und den Tresor im zweiten Stock aus. Nach wenigen Minuten verlassen sie das Geschäft und brausen mit dem Fluchtauto davon. Bei sich haben sie Uhren und Schmuck im Wert von 3,5 Millionen Franken. 

Hier erbeuten die Täter den Schmuck und die Uhren.
Hier erbeuten die Täter den Schmuck und die Uhren.
Bild: Google Maps

Später entdeckt die Polizei den BMW nur gut zwei Kilometer entfernt in einem Hinterhof. 

Fundort des ersten Fluchtautos.
Fundort des ersten Fluchtautos.
Bild: Google Maps

Und auch hier überlassen die Täter nichts dem Zufall. Den Innenraum des Fahrzeuges besprühen sie komplett mit dem Inhalt eines Feuerlöschers, um ihre Spuren im Fahrzeug zu vernichten.

Und zunächst scheint es, als komme das Trio mit dem Coup davon. Erst über ein Jahr nach dem Raubüberfall klicken beim Beschuldigten die Handschellen. Dank einer internationalen Fahndung kann er im August 2017 in Bosnien geschnappt und an die Schweiz ausgeliefert werden.

Vorzeitiger Strafvollzug

Sein Komplize hatte da weniger Glück. Er geht den Ermittlern schon wenige Wochen nach der Tat ins Netz. Er wird bei seiner Ausreise im März 2016 aus der Schweiz verhaftet. Nur vom dritten Mann fehlt bis heute jede Spur.

Die Staatsanwaltschaft, die gegen die beiden Männer separate Verfahren führt, ist von der Schuld der Beschuldigten überzeugt. Mit seinem Verhalten habe der Bosnier zudem «seine besondere Gefährlichkeit offenbart». Der Mann sitzt heute bereits im vorzeitigen Strafvollzug in der Justizstrafanstalt Pöschwies.


«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert. silvana.guanziroli@swisscom.com.
«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert. silvana.guanziroli@swisscom.com.
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