Turnverband Viola Amherd: «Es herrscht eine Kultur der Angst»

SDA/dor

16.11.2020 - 04:16

Bundesrätin Viola Amherd zeigt sich über die Missstände im Schweizer Spitzensport, namentlich im Turnverband, erschüttert. (Archivbild)
Bundesrätin Viola Amherd zeigt sich über die Missstände im Schweizer Spitzensport, namentlich im Turnverband, erschüttert. (Archivbild)
Bild: Keystone/Anthony Anex

Viola Amherd spricht erstmals in einem Interview über die Missstände im Leistungszentrum Magglingen. Der Fokus im Sport dürfe nicht allein auf Medaillen liegen, sagt die Bundesrätin. Bei der Verteilung von Fördergeldern brauche es künftig auch ethische Vorgaben.

Die Missstände bei den Turnerinnen im Leistungszentrum Magglingen haben Bundesrätin Viola Amherd erschüttert. Der Fokus im Sport dürfe nicht allein auf Medaillen liegen. Bei der Sportförderung sollen künftig ethische Aspekte ein grösseres Gewicht erhalten.

Im Leistungszentrum des Schweizerischen Turnverbandes seien Mädchen und junge Frauen erniedrigt und in ihrer Würde angegriffen worden. Das habe sie sehr beschäftigt, sagte Amherd in einem Interview mit den Tamedia-Zeitungen (Montagausgabe).

Es habe sie sehr erstaunt, dass die jungen Frauen sich erst dann getraut hätten, etwas zu sagen, als sie nicht mehr aktive Athletinnen gewesen seien. Grund dafür: «Es herrscht in gewissen Bereichen eine Kultur der Angst» – und das sei nicht tolerierbar. «Da müssen wir grundlegend über die Bücher», sagte Amherd weiter. Es gehe nicht an, dass auf Kinder und junge Menschen in der Pubertät so unglaublich viel Druck ausgeübt werde, dass sie total verunsichert seien und kein Selbstvertrauen mehr hätten. «Diese Athletinnen wurden unterdrückt», so Amherd

Die Verantwortlichen in den Sportverbänden und in der Politik hätten zu lange weggesehen. Die jüngsten Rücktritte im Turnverband begrüsse sie explizit. Ein Neuanfang könne nicht mit Leuten bestritten werden, die für die Missstände verantwortlich seien.



Charta reicht offensichtlich nicht

Nicht Medaillen allein dürften Gradmesser für sportliche Leistungen sein, sondern auch die Ethik. Bei der Verteilung der Fördergelder müssten künftig ethische Vorgaben mitspielen. Sonst bestehe das Risiko, dass die Kultur und das Fehlverhalten andauerten.

Es gebe bereits eine Ethik-Charta zwischen Swiss Olympic und den verschiedenen Sportverbänden. Das reiche aber offensichtlich nicht. Die Politik müsse die Sportverbände enger begleiten und überprüfen, ob die Charta im Alltag auch angewendet werde.

Falls das nicht der Fall sei, müsse der Staat intervenieren und sanktionieren. Dazu fehlten momentan aber die Instrumente. Vorerst will Amherd dem Turnverband zwar keine Mittel entziehen, um nicht Tausende junge Turnerinnen und Turner zu bestrafen.

Bei einem nächsten Fall seien die finanziellen Folgen aber naheliegend. Es scheine, als sei Geld die einzige Sprache, die einige Verantwortliche verstünden, sagte die Sportministerin.

Zahlreiche Rücktritte im Turnverband

Vor zwei Wochen hatten acht ehemalige Spitzen-Turnerinnen im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» geschildert, wie sie im Leistungszentrum in Magglingen BE psychisch und physisch misshandelt worden seien. Seither gab es im Turnverband zahlreiche Rücktritte.

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