Hitzewelle unter Wasser«Bei über 20 Grad sind die Fische gestresst»
Von Gil Bieler
13.7.2022
Die Flüsse und Bäche in der Schweiz heizen sich schon Anfang Sommer auf über 26 Grad auf. Das macht vielen Tieren zu schaffen, warnt ein Forscher.
Von Gil Bieler
13.07.2022, 06:45
13.07.2022, 10:09
Gil Bieler
Wenn sie könnten, würden selbst die Fische in den Flüssen und Bächen schwitzen: Die hochsommerlichen Temperaturen machen auch vor den Gewässern nicht halt. Die Fliessgewässer heizten sich schon im Juni teils auf über 26 Grad auf, meldete das Bundesamt für Umwelt (Bafu) vergangene Woche – unüblich früh im Jahr.
In der Grübe, einem Nebenarm der Aare im Kanton Bern, wurde das Wasser auf 27,3 Grad aufgeheizt. In der Kleinen Emme im Luzernischen wurden 27,4 Grad gemessen, in der Tresa im Tessin gar 27,6 Grad. So heiss war es in keinem anderen Fliessgewässer.
Zwar sind das nicht alles neue Monatsrekordwerte, dennoch hält das Bafu fest: «Für den Monat Juni waren die Wassertemperaturen der Schweizer Flüsse sehr hoch und lagen an vielen Messstellen stark über den langjährigen Durchschnittswerten.»
Kaltblüter müssen leiden
Und das dürfte kein Ausreisser bleiben: «Die Temperaturen werden im Verlauf des Sommers ansteigen, was auch in Fliessgewässern im ganzen Land zu höheren Temperaturen führen wird», erwartet Christopher Robinson von der Forschungsstelle Eawag in Dübendorf ZH. Das gelte nicht nur für die aktuelle Hitzewelle, sondern auch für den August.
Was Wasserratten freut, ist für die Tierwelt ein Problem: Fische und Wasserinsekten seien Kaltblüter, erklärt der Eawag-Fachmann für Fliessgewässer, ihre Körpertemperatur hänge von ihrer Umgebung ab.
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«Kaltwasserfische wie die Forelle beispielsweise sind bei Temperaturen über 20 Grad gestresst», sagt Robinson. Fehlen ihnen bei extremen Hitzewellen Rückzugsorte mit kühlerem Wasser, könne dies zum Tod von Forellen und Wasserinsekten wie der Steinfliege führen.
In warmem Wasser vermehren sich ausserdem Algen und sogenannte Makrophyten – bestimmte Formen von Wasserpflanzen –, die für Tiere giftig sein könnten. Das könne in Seen bereits beobachtet werden.
Schneearmer Winter und Trockenheit verschärfen das Problem
Für die hohen Wassertemperaturen im Juni nennen die Expert*innen des Bafu drei Gründe.
Erstens liegt in den Alpen nach einem schneearmen Winter weniger Schnee als üblich. Es fliesse also kaum noch kühlendes Schmelzwasser in die Bäche und Flüsse – ausser in der Umgebung von Gletschern.
Zweitens führen die Gewässer aufgrund der Trockenheit der letzten Wochen ohnehin weniger Wasser als gewöhnlich. Je weniger Wasser, desto schneller wärmt es sich auf.
Und drittens sei die erste Hitzewelle früh im Sommer eingetreten und die Lufttemperaturen seien immer noch hoch.
Den Zusammenhang zwischen Luft- und Wassertemperatur unterstreicht auch Christopher Robinson: Gewässer ohne Schattenstellen am Ufer würden sich daher besonders aufwärmen. Ausserdem reagierten Gewässer in den Bergen empfindlicher als jene in tieferen Lagen – die Folgen zeigten sich schon heute: «Einige an Kaltwasser angepasste Arten verschwinden bereits, Libellen und Mücken ziehen in höhere Lagen um.»
Mit der fortschreitenden Klimaerwärmung blickt der Eawag-Experte Robinson daher pessimistisch in die Zukunft. «Die Situation wird sich nur noch verschlimmern», erklärt er. «Es ist wichtig, dass wir die Langzeitfolgen begreifen. Es könnte Veränderungen in Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Fischen geben und wir könnten auf Kaltwasser spezialisierte Arten verlieren.»
Flüsse und Bäche drohten auszutrocknen, «was alle Wasserorganismen betrifft». «Sehen Sie sich nur einmal die Situation des Po in Italien an», mahnt Robinson. Der Fluss ist in Norditalien in diesem Sommer zu einem Rinnsal verkommen.
Die Wasserversorgung der Schweizer Bevölkerung ist gemäss Bafu dagegen gesichert, da diese zu 80 Prozent über das Grundwasser abgedeckt werde.
Italiens längster Fluss kämpft mit Dürre
Luftaufnahmen zeigen, wie dramatisch sich die Lage von Italiens längstem Fluss ist: Im Einzugsgebiet des Po herrscht die schlimmste Dürre seit rund 70 Jahren. Viele Abschnitte des Flusses sind völlig ausgetrocknet, was die Bewässerung der Felder problematisch macht und die Anwohner stark beunruhigt.
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Was ist noch möglich, um die Situation zu entschärfen? Naturgemäss sind auch schnellere Lösungen nicht über Nacht möglich. «Die Menschen hätten schon vor Jahrzehnten handeln sollen, als die ersten Warnzeichen laut und deutlich zu vernehmen waren», mahnt der Experte.
Trotzdem blieben noch Handlungsmöglichkeiten: «Wir können für mehr Schatten an den Ufern sorgen, um den Sonneneinfluss auf die Wasseroberfläche der Fliessgewässer zu reduzieren.» Auch müssten Schadstoffe reduziert werden, die von höheren Temperaturen profitieren würden, und es brauche weitere Renaturierungsmassnahmen, um die Lebensräume in Bächen und Flüssen zu verbessern.