Referendum über Covid-GesetzDas Zertifikat könnte für Monate wegfallen
Von Gil Bieler
23.9.2021
Wird das Covid-19-Gesetz im November an der Urne gebodigt, hat das weitreichende Folgen. Mitte-Nationalrätin Ruth Humbel rechnet mit dem Schlimmsten, SVP-Politiker Thomas de Courten widerspricht.
Von Gil Bieler
23.09.2021, 17:30
Gil Bieler
Um die vierte Infektionswelle zu brechen, setzt der Bundesrat ganz auf das Covid-Zertifikat. Im nächsten Frühling könnte ihm dieses Mittel gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Dann nämlich, wenn das Stimmvolk am 28. November im Referendum über das Covid-19-Gesetz dieses bachab schickt. Das Gesetz wäre beerdigt – genauso wie die rechtliche Grundlage für das Zertifikat.
«Diese Aussicht ist höchst problematisch», findet Ruth Humbel. Die Mitte-Politikerin wollte daher vom Bundesrat wissen, welche Konsequenzen dieses Szenario für die Schweiz habe.
Das Zertifikat wäre monatelang vom Tisch
Die Antwort hat sie diese Woche erhalten: Bei einer Ablehnung wäre das Covid-19-Gesetz noch bis zum 19. März 2022 gültig. Anschliessend dürfte der Bund keine Zertifikate mehr ausstellen und auch keine Zertifikatspflicht mehr anordnen.
Selbst wenn das Parlament noch in der Wintersession eine neue Gesetzesgrundlage schnüren würde, wäre eine nahtlose Fortführung der Zertifikatspflicht unrealistisch, heisst es in der Antwort weiter. Denn auch gegen jenes Gesetz könnte das Referendum ergriffen werden. Eine Volksabstimmung wäre dann frühestens im September 2022 realistisch.
Der Einsatz des Covid-Zertifikats wäre monatelang blockiert – was Humbel Sorgen bereitet. Zum einen wegen des Blicks über die Grenzen: Private oder geschäftliche Reisen in Länder, in denen weiterhin die Zertifikatspflicht gilt, würden dann unmöglich, befürchtet sie.
Zum anderen würden sich auch im Inland Probleme ergeben. «Was ist, wenn eine neue Virusmutation auftaucht? Oder wenn die Fallzahlen im Frühling aus anderen Gründen wieder ansteigen?», fragt Humbel im Gespräch mit «blue News». «Dem Bundesrat bliebe dann nur die Möglichkeit, zu harten Massnahmen zu greifen.» Humbel meint Schutzkonzepte wie Plexiglas-Trennwände in Restaurants oder eine Ausdehnung der Maskenpflicht. «Im schlimmsten Fall hätten wir wieder Schliessungen – und alles würde von vorn beginnen.»
«Im schlimmsten Fall haben wir wieder Schliessungen – und alles würde von vorne beginnen.»
Ruth Humbel
Mitte-Nationalrätin, Aargau
Humbel betont: Sie hoffe zwar nicht, dass es im Frühling zu einer neuen Infektionswelle komme. Doch die Entwicklung vorherzusehen, sei schwierig bis unmöglich. «Wenn wir das Zertifikat abschaffen, dann geben wir ein Instrument, um die Pandemie zu bekämpfen, ganz ohne Not aus der Hand.»
Dem widerspricht Thomas de Courten, SVP-Nationalrat und wie Humbel Mitglied der nationalrätlichen Gesundheitskommission. Die SVP unterstützt das Referendum als einzige der grossen Parteien. «Bei einer Volksabstimmung kann es immer ein Nein oder ein Ja geben. Bisher hat es der Bundesrat aber versäumt, einen Plan B aufzuzeigen, wenn das Referendum durchkommt. Das muss man kritisieren.» Obschon: Zumindest mit Blick auf die Zertifikatspflicht wäre nach dem Urnengang Klarheit geschaffen: «Dann gibt es kein Zertifikat mehr, Punkt.»
Die möglichen Konsequenzen davon bereiten de Courten keine Kopfschmerzen: «Der Bundesrat muss endlich von seiner Politik der Corona-Massnahmen wegkommen. Es werden neue Virusmutationen auftauchen, darauf müssen wir uns einstellen und man muss in den Spitälern die nötigen Kapazitäten bereitstellen. Aber ein neuer Shutdown, das kommt für die SVP nicht infrage», sagt der Baselbieter.
Auch drohende Probleme im Reiseverkehr liessen sich lösen: «Es war schon bis jetzt so, dass man sich beim Reisen an die Regeln des Ziellandes halten musste. Wenn Togo eine Impfung gegen Gelbfieber verlangt hat, dann ging das ja auch. Dafür wird sich eine Lösung finden, auch ohne Impfzwang im Inland.»
«Der Bundesrat muss endlich von seiner Politik der Corona-Massnahmen wegkommen.»
Thomas de Courten
SVP-Nationalrat, Basel-Landschaft
Mitte-Politikerin Humbel erkennt auch beim Bundesrat Fehler. Dass dieser mehrfach betont habe, dass das Zertifikat nur eine vorübergehende Massnahme sei, sei strategisch nicht besonders geschickt gewesen. «Der Bundesrat müsste vorsichtiger sein mit solchen Aussagen und keine falschen Erwartungen wecken.» So habe Alain Berset in Aussicht gestellt, man könne im Herbst wieder lockern, wenn alle geimpft seien – doch sei die Impfbereitschaft in der Bevölkerung tiefer als erhofft. «Da hat sich der Bundesrat verschätzt.»
Widersprüchliche SVP?
Auch die Rolle der SVP sieht Humbel kritisch: «Dass die SVP das Referendum gegen das Covid-Zertifikat unterstützt, finde ich unverantwortlich.» Zumal sich viele bekannte Exponenten der Partei – darunter Christoph Blocher – für die Impfung ausgesprochen hätten, zumal viele kantonale Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren der SVP angehörten. «Die SVP agiert populistisch.»
De Courten erkennt keinen Widerspruch: «Ich bin ja auch geimpft. Aber es kann nicht sein, dass man über die Hintertür einen faktischen Impfzwang einzuführen versucht. Den Impfentscheid soll jeder für sich fassen, ohne ausgegrenzt zu werden. Er muss aber dann auch die gesundheitlichen Konsequenzen tragen.» Dass über das Covid-19-Gesetz abgestimmt werde, sei nichts anderes als legitim.
Bei der ersten Referendumsabstimmung gegen das Covid-Gesetz hatten am 13. Juni 60 Prozent mit Ja gestimmt, 40 Prozent mit Nein. Bleiben die Verhältnisse bis im November gleich?
Humbel hofft auf die Geimpften: «Schon über 50 Prozent der Bevölkerung sind geimpft und die sehen ja, dass sich mit dem Zertifikat keine grossen Probleme im Alltag ergeben.» Wenn diese Mehrheit im November für das Gesetz stimmt, ist das Zertifikat gerettet.
«Das grösste Problem ist sicherlich, die Geimpften auch zum Abstimmen zu bewegen. Wenn man zufrieden ist, geht man ja eher weniger abstimmen. Die Gegner des Covid-Gesetzes sind da viel engagierter.» Für Humbel stehe fest: «Auch wenn man unzufrieden ist, ist das Covid-Gesetz der falsche Weg, um Frust abzulassen.»