«Man macht uns zu Polizisten»Wirte auf dem Land schliessen ihre Lokale lieber gleich ganz
Von Lia Pescatore
10.9.2021
Jahrelange Stammgäste abweisen: Damit sind Gastronom*innen ab Montag besonders auf dem Land konfrontiert. Doch nicht alle wollen die Situation hinnehmen. Einige drohen mit der Schliessung.
Von Lia Pescatore
10.09.2021, 10:53
10.09.2021, 17:12
Lia Pescatore
Bruno della Torre, Präsident des Obwaldner Gastroverbands und Gastgeber in einem Gasthaus in Krens, stellt sich auf unangenehme Situationen ein. Ab nächster Woche gilt die Zertifikatspflicht in der Gastronomie. Della Torre wird jahrelange Stammgäste kontrollieren, eventuell auch abweisen müssen.
Er erwarte von seiner Kundschaft zwar verständnisvolle Reaktionen. Dies sei aber wohl nicht in jedem Lokal in der Region der Fall. Obwalden ist der Kanton mit der zweittiefsten Impfquote in der Schweiz, knapp 44 Prozent der Bevölkerung ist vollständig geimpft. Der nationale Durchschnitt liegt bei über 52 Prozent.
«Die Begeisterung über die Zertifikatsausweitung hält sich hier in Obwalden in Grenzen», sagt della Torre trocken. Über die Hälfte der Bevölkerung sei noch nicht geimpft, darum fühle sich auch die Mehrheit durch die neue Massnahme ausgeschlossen.
Konflikte mit der Stammkundschaft
Auch Gastro-Chef Casimir Platzer vom Branchenverband GastroSuisse warnte im Schweizer Fernsehen vor den Konflikten, die die Zertifikatspflicht den Beizen auf dem Land beschere. Die Impfquote sei tief, die Stammkundschaft ausgeprägt.
Das gilt auch für das Gasthaus von della Torre. Ein Tag nach der Ankündigung des Bundesrats habe er von Arbeitern schon zu hören bekommen, dass man ab Montag nicht mehr komme. «Drei Tische sind bereits annulliert worden», sagt der Wirt. Er hoffe jetzt, dass einige auf das Take-away-Angebot umschwenken würden.
Doch es wird Umsatz fehlen, da ist sich della Torre sicher. Auch wenn sich die Leute nun gleich impfen lassen würden, «bis die vollständig geimpft sind, haben wir schon November», so della Torre. Er erwarte zudem kaum, dass die Ungeimpften ab Oktober für ein Abendessen zusätzlich einen Test zahlen würden. Da die Impfquote auf dem Land so tief sei, würde man dort die Einschränkung wohl besonders zu spüren bekommen.
Della Torre wird auf Gäste verzichten müssen. Trotz der Einbussen ist für ihn aber klar: «Lieber die bittere Pille schlucken, als ganz schliessen zu müssen.»
«Wir sind dazu ausgebildet, Leute willkommen zu heissen»
Doch die Pille zu schlucken, ist nicht für alle Wirte eine Option, wie Markus Strässle, Gastroverbandschef im Kanton Appenzell Ausserrhoden erzählt. Er habe mehrere Anrufe erhalten von Wirten, die ihren Laden freiwillig schliessen wollten. Gäste wegschicken zu müssen, sei für sie keine Option.
«Wir sind dazu ausgebildet, die Leute willkommen zu heissen, nicht sie abzuweisen», sagt Strässle, «nun macht man uns zu Polizisten.» Der Unterschied sei jedoch: Polizisten würden für ihre Kontrollen bezahlt, und bei Fehlern nicht gebüsst. Strässle spricht damit die Busse an, die Gastronomen droht, wenn sie sich nicht an die neue Regelung halten: Mit bis zu 10'000 Franken muss man einen Verstoss berappen. Für Strässle ein «No-Go».
Nicht nur im Kanton Appenzell Ausserrhoden drohen Wirt*innen mit der Schliessung. Auch dem Glarner Gastropräsidenten Hansjürg Rhyner sind Fälle im Kanton bekannt, die ihre Betriebe wegen der neuen Massnahmen zumachen wollen.
«Die Gastronomie ist hier weniger anonym als in der Stadt», sagt Rhyner, es sei schwieriger, Leute abzuweisen. Im Verband seien aber auch Gastronomen vertreten, die sich mit der Zertifikatspflicht sicherer fühlen würden. Dies stehe wohl auch im Zusammenhang mit den hohen Infektionszahlen im Kanton.
Dass weniger Gäste kommen werden, damit rechnet auch Rhyner. «Die neuen Massnahmen kommen einem teilweisen Berufsverbot gleich», dieses müsse vom Bund auch entschädigt werden. Darum unterstütze er auch die Forderung von Gastro-Chef Casimir Platzer.
«Der Winter ist für uns matchentscheidend»
Der Gastroverband Graubünden befürchtet ebenfalls hohe Ausfälle, weil Gäste wegbleiben. «Grundsätzlich hätten wir uns gewünscht, dass die Ausweitung der Zertifikatspflicht erst später gekommen wäre», sagt Geschäftsführer Marc Tischhauser. Momentan sei die Impfquote noch nicht so hoch. Dadurch würden wohl mehr Menschen den Lokalen fernbleiben, weshalb zwingend wieder Härtefallentschädigungen für Umsatzverluste notwendig seien.
Es sei ihm aber lieber, dass jetzt gehandelt werde. Zu einem späteren Zeitpunkt würde es wohl noch mehr schmerzen. «Der Winter ist für uns matchentscheidend», sagt Tischhauser. Bis dahin könne sich der Umgang mit dem Zertifikat einspielen. Zudem hofft Tischhauser, dass die Einschränkungen mehr Menschen zur Impfung bewegen werden. «15 Prozent mehr würden reichen, um uns die Wintersaison zu sichern.»
Doch nicht alle Wirte scheuen die Konfrontation mit ihrer impfskeptischen Kundschaft: Ruedi Bartel, Präsident von Gastro Thurgau, fordert auf Blick TV gleich eine Impfpflicht. «Dann wäre das Thema vom Tisch gewesen und wir hätten normal weiterarbeiten können.»