Polizeidirektor «Wir wollen keine Rassisten und keine Leute, die ihre Macht missbrauchen»

dor

15.6.2020

Regierungsrat Fredy Fässler, Polizeidirektor des Kantons St. Gallen und Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. (Archivbild). 
Regierungsrat Fredy Fässler, Polizeidirektor des Kantons St. Gallen und Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. (Archivbild). 
Bild: Keystone/Anthony Anex

Trotz coronabedingtem Versammlungsverbot – Fredy Fässler freut sich über die Demonstrationen gegen Rassismus. Das Thema werde in der Schweiz zu wenig thematisiert und von den Rechtsparteien sogar aktiv gepflegt, sagt der St. Galler Polizeidirektor in einem Interview.

Für Fredy Fässler (SP) sind die «Black Lives Matter»-Demonstrationen in der Schweiz trotz des coronabedingten Versammlungsverbots eine positive Entwicklung. «Da sich die epidemiologische Situation entspannt, beginnen die Leute wieder, ihre Grundrechte einzufordern. Ich finde das hocherfreulich», sagte der Polizeidirektor des Kantons St. Gallen und Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) in einem am Montag veröffentlichten Interview mit dem «Tages-Anzeiger».

Dass auch am vergangenen Wochenende Tausende auf die Strasse gingen um gegen Rassismus zu demonstrieren, sei ein Aufruf, dass «wir uns mit unserem Rassismus auseinandersetzen», sagte Fässler weiter. Kundgebungen mit über 300 Teilnehmern sind derzeit verboten, wurden von den Polizeien bisher aber geduldet. Es gibt laut Fässler viele Gründe, an diesen Kundgebungen teilzunehmen. Man wolle sich solidarisch zeigen mit den Schwarzen Menschen in den USA, mit George Floyd. «Es gibt wohl auch Leute, die finden, dass die Schweizer Polizei ähnliche Probleme hat wie jene in den USA.»

Er sei aber anderer Meinung, so Fässler. In der Schweiz wird für sein Dafürhalten «viel investiert um die Polizisten «für das Thema Rassismus zu sensibilisieren». In der Polizeiausbildung seien Menschenrechte, Ethik und die Problematik von Racial Profiling wichtige Elemente. Zudem würden Polizeiaspiranten einer Beurteilung unterzogen, bei der versucht werde, «jene Leute herauszufiltern, die wir nicht bei uns im Dienst wollen», erklärte der Polizeipräsident. «Wir wollen keine Rassisten, wir wollen keine Gewaltbereiten, wir wollen keine Leute, die ihre Macht missbrauchen.»

Aber auch in der Schweiz werden Schwarze immer wieder zur Zielscheibe von Rassismus oder auch Gewalt und Schikanen durch die Polizei – institutionell oder strukturell bedingt. Rassismus ist in den USA und fast allen Ländern ein mehrstufiges System, in dem – bewusst und unbewusst – hierarchisiert, stigmatisiert und auch segregiert wird.

Schweizer Unternehmen verdienten Geld mit Sklaverei

Rassismus ist nach Einschätzung von Fässler in der Schweiz kein flächendeckendes Problem. Er sieht den Rassismus hierzulande vielmehr als «situatives» Problem – und er werde von Rechtsparteien mit offen fremdenfeindlichen Positionen wie der SVP auch aktiv gepflegt, um daraus politisches Kapital zu schlagen.

Aber man müsse differenzieren, so Fässler. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus seien nicht identisch, es gebe aber viel Gemeinsames. Und was ihm auch auffalle: «Lange dachten wir, Rassismus sei bei uns in der Schweiz kein wirkliches Thema, weil wir keine aktive koloniale Vergangenheit haben und keine Sklavenhalterei. Inzwischen wissen wir, dass es auch Schweizer Unternehmen gab, die ihr Geld mit Ausbeutung und Sklaverei verdient haben.»



Das Ziel müsse sein, das Unbewusste bewusst zu machen. «Wenn es rassistische Reflexe gibt, bringt es nichts, sie einfach zu verbieten. Man muss darüber reden und sich bewusst machen, was für ein Menschenbild man hat», führte der SP-Politiker aus. Das sei sehr anspruchsvoll.

Rassismus: Keine Priorität in der Politik

Über den Rassismus sei in der Schweiz schon immer diskutiert worden, sagte Regierungsrat Fässler der Zeitung, das Thema sei auf der politischen Agenda «einfach nicht sehr weit oben» gewesen. Und Rassismus werde oft bagatellisiert und ins Lächerliche gezogen. Als Beispiel nannte er die «Mohrenkopf»-Diskussion. Dass Leute sich offenbar den «Mohrenkopf» nicht nehmen lassen wollen, sei «sehr skurril».



Viele würden so tun, als sei es ein Kulturgut, ein Produkt zu verspeisen, das «Mohrenkopf» heisse statt «Schoko-Kopf oder sonst irgendwie», so Fässler. Offensichtlich mache es manchen Leuten «speziell Spass», wenn man einen «Mohrenkopf» essen könne. «Ich persönlich finde es völlig daneben, dass man darüber noch lange debattieren muss, ob sich das gehört oder nicht. Aber offensichtlich ist das alles viel komplizierter und komplexer», so Fässler. «Um das aber auch noch zu sagen: Die «Mohrenkopf»-Frage ist für mich nicht die allerwichtigste. Wenn die «Mohrenköpfe» aus den Regalen verschwinden, haben wir nicht wahnsinnig viel gewonnen.»

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