Showdown im Bundesrat Was für eine Lockerung spricht – und was dagegen

uri/phi

2.2.2022

Wegen der positiven Corona-Entwicklung hat Alain Berset  die Aufhebung von Quarantäne- und Homeoffice-Pflicht in Aussicht gestellt. Doch wo steht die Schweiz wirklich vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrats?

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Aufgrund der hohen Immunisierung der Bevölkerung und der relativ entspannten Lage in den Spitälern will Bundesrat Alain Berset ab dem 2. Februar die Quarantäne- und Homeoffice-Pflicht aufheben. Ebenfalls denkt er über ein Ende der Zertifikatspflicht und weiterer Massnahmen nach.

Lieber zuwarten mit grossen Lockerungen will hingegen der Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, Lukas Engelberger. Er bemerkte kürzlich, die angekündigten Lockerungen seien «in der Tonalität sehr optimistisch».

Licht und Schatten angesichts der aktuellen Pandemie-Lage sieht auch Epidemiologe Patrick Mathys vom Bundesamt für Gesundheit BAG. Auf der Medienkonferenz der Experten von Bund und Kantonen am Dienstag warnte er vor zu grossen Öffnungsschritten: «Allzu eilig haben sollten wir es trotz der guten Lage nicht.»

So steht die Schweiz vor den nächsten Bundesrats-Entscheiden da:

Bundesrat Alain Berset (Zweiter von rechts) bespricht sich mit Experten: Am heutigen 2. Februar könnte es neue Lockerungen geben.
Bundesrat Alain Berset (Zweiter von rechts) bespricht sich mit Experten: Am heutigen 2. Februar könnte es neue Lockerungen geben.
Archivbild: KEYSTONE

Die Fallzahlen

Wie Patrick Mathys am Dienstag vor den Medien sagte, ist der Höhepunkt aktuellen Omikron-Welle wahrscheinlich noch nicht erreicht. Gleichwohl meldete das BAG zuletzt sinkende Werte bei den Fallzahlen. So waren es am Dienstag 32'741 neu gemeldete Coronavirus-Ansteckungen, in der Woche zuvor sogar 36'658 neue Fälle.

Das BAG warnt indes, die hohe Anzahl positiver Tests deute auf eine erhöhte Dunkelziffer hin: «Daher spiegeln die Fallzahlen nur eingeschränkt das Infektionsgeschehen wider.»

Am stärksten betroffen sind bei den Neuinfektionen die Altersgruppen der Kinder und Jugendlichen im Schulalter zwischen 10 und 19 Jahren. Fast gleichauf folgen an zweiter Stelle Personen im Alter zwischen 30 und 39 Jahren und Kinder bis 9 Jahre.

Laborbestätigte Fälle, Schweiz und Liechtenstein, 11.10.2021 bis 31.01.2022, Pro 100 000 Einwohner/inne
Laborbestätigte Fälle, Schweiz und Liechtenstein, 11.10.2021 bis 31.01.2022, Pro 100 000 Einwohner/inne
Handout BAG

Belastung der Spitäler

Weiterhin gilt als ausschlaggebender Faktor für mögliche Lockerungen die Belastung der Spitäler. Hier sagte Bundesrat Berset in der letzten Woche nach dem Besuch des Kantonsspitals Aarau, er habe sich einmal mehr davon überzeugen können, dass die Spitäler durch die aktuelle Omikron-Welle nicht mehr überlastet würden.

Ähnlich schätzt die Lage in den Spitälern auch Jürg Utzinger, der Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts, ein. «Die Fallzahlen und die Hospitalisierung sind nun klar entkoppelt», erklärte der Epidemiologe kürzlich auf Anfrage von blue News.

Auch die Zahlen des BAG weisen in diese Richtung. So mussten etwa am 28. Januar 0,67 Personen pro 100'000 Einwohner hospitalisiert werden. Eine Woche zuvor lag dieser Wert noch bei 1,16.

Entwicklung der Hospitalisiationen zwischen dem 11.10.2021 und dem 31.01.2022.
Entwicklung der Hospitalisiationen zwischen dem 11.10.2021 und dem 31.01.2022.
Handout BAG

Die Situation spiegelt sich auf den Intensivstationen. Hier lagen am 28. Januar laut BAG-Zahlen 203 Covid-Patienten. Die Woche zuvor waren es 223 gewesen. 

Die zeitliche Auslastung der Intensivstationen zwischen dem 11.10.2021 und dem 31.1.2022
Die zeitliche Auslastung der Intensivstationen zwischen dem 11.10.2021 und dem 31.1.2022
Handout BAG

Omikron-Welle, aber kein Tsunami

Wie die Grafik des BAG zeigt, hat Omikron um Weihnachten herum Delta  bei den nachgewiesenen Infektionen überholt. «Die Omikron-Welle sei immer noch stark und wuchtig», sagte Patrick Mathys am Dienstag. «Zu einem Tsunami, der uns überrollt hätte, ist es aber glücklicherweise nicht gekommen.»

Rudolf Hauri, Zuger Kantonsarzt und Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und Kantonsärzte (VKS) ergänzte, die Omikron-Variante habe tatsächlich wesentlich weniger akute Verläufe zur Folge. 

Auch die viel diskutierte Omikron-Subtype BA.2, die in Dänemark und Grossbritannien rasant auf dem Vormarsch ist und womöglich noch ansteckender als die in der Schweiz dominante Omikron-Subtype BA.1 ist, stellt bislang noch kein grosses Problem dar. Laut dem Lagebericht der Science Task Force vom 31. Januar hat BA.2 in den letzten Wochen zwar zugenommen und wurde 35-mal nachgewiesen. Der Subtyp kam bis in die dritte Woche des neuen Jahres damit aber lediglich auf 1,3 Prozent der sequenzierten Proben. 

Der Omikron-Subtyp BA.1. wurde  indes rund 9000-mal nachgewiesen und hatte in der Kalenderwoche 3 einen Anteil von 97 Prozent unter allen sequenzierten Proben, schreibt die Task Force.

Todesfälle

Die Gründe dafür wurden bereits angesprochen. Auch die Zahl der Todesfälle ist weiter rückläufig.

Die Darstellung zeigt die Entwicklung der Todesfälle zwischen dem 11. Oktober 2021 und dem 31. Januar 2022.
Die Darstellung zeigt die Entwicklung der Todesfälle zwischen dem 11. Oktober 2021 und dem 31. Januar 2022.
Bilod: BAG

Im Durchschnitt sind pro 100'000 Einwohner zwischen dem 11. Oktober und dem 31. Januar 18,22 Personen der Seuche erlegen. Geografisch sind die Opfer aber höchst unterschiedlich verteilt: Spitzenreiter ist hier Appenzell Innerrhoden mit 49,1 Toten pro 100'0000 Bürger. Dahinter folgt der Kanton Jura mit 44,77.

Je dunkler, desto schlechter: Todesfälle pro 100'000 Einwohner.
Je dunkler, desto schlechter: Todesfälle pro 100'000 Einwohner.
Bild: BAG

Unter den Todesopfern bildet die Gruppe der Ungeimpften das Gros, doch inzwischen legt sich die Welle zusehends. Am 14. Dezember lag der 7-Tage-Schnitt bei dieser Gruppe noch bei 13,57, während der Wert bei vollständig Geimpften nur 1,57 betrug. Am 28. Januar sind die Zahlen auf 4,29, während er bei den vollständig Geimpften mit 1,57 gleich geblieben ist.

Todesfälle zwischen dem 27. Januar 2021 und 28. Januar 2022 im 7-Tage-Schnitt.
Todesfälle zwischen dem 27. Januar 2021 und 28. Januar 2022 im 7-Tage-Schnitt.
Bild: BAG

Impfungen

Dass Appenzell Innerrhoden bei den Todesfällen so schlecht dasteht, hat vor allem auch mit den Impfungen zu tun, bei denen der Kanton das Schweizer Schlusslicht ist. Am 31. Januar waren dort erst 56,7 Prozent vollständig geschützt.

Doch auch landesweit geht es nur schleppend vorwärts. Am 10. September 2021 hat die Schweiz die Schallmauer durchbrochen: Knapp über 60 Prozent hatten mindestens eine Dosis erhalten. Am 31. Januar, also über viereinhalb Monate und eine neue Variante danach, sind es gerade mal knapp über 70 Prozent.

Täglich werden derzeit noch rund 25'000 Impfungen in der Schweiz vorgenommen, wie Patrick Mathys auf BAG-Medienkonferenz sagte. Die Impfkapazitäten würden von den Kantonen aber aufrechterhalten, selbst wenn sie derzeit nicht mehr so stark genutzt würden, ergänzte der Chef der Kantonsärzte Rudolf Hauri.

Die gute Nachricht: Je älter die Bürger*innen, desto höher die Quote, wie die untenstehende Grafik zeigt.

Bild: BAG