Kritik an Bund«Warum werden die Asylsuchenden nicht geschützt?»
Von Jennifer Furer
23.3.2020
In den Schweizer Bundesasylzentren sei es unmöglich, die Massnahmen des Bundes umzusetzen, so linke Politiker. Eine Baslerin hat nun eine Petition gestartet. Das Staatssekretariat für Migration winkt ab.
Schlafen in Zwölfer-Zimmer und dichtes Schlangestehen beim Mittagessen: Die Baslerin Luisa Tschannen prangert die Bedingungen im Bundesasylzentrum Bässlergut in Zeiten der Coronakrise an.
Tschannen, Lyrikerin und Schriftstellerin, engagiert sich privat für geflüchtete Menschen. «Ich habe Fotos bekommen, auf denen die Zustände zu sehen sind. Es geht gar nicht in den Bundesasylzentren, die Vorschriften des Bundes einzuhalten.»
Mit einer Medienanfrage wendet sich Tschannen, die nebenberuflich Journalistin ist, an das Staatssekretariat für Migration SEM. «Ich wollte genau wissen, welche Massnahmen ergriffen werden, um auch den Asylsuchenden die Möglichkeit zu geben, sich vor einer Ansteckung zu schützen», so Tschannen.
Laut der Baslerin hätte das SEM zwar zurückgeschrieben. «Aber die Antworten waren so allgemein gehalten. Und als ich detaillierter nachfragte, wies man mich ab», sagt Tschannen. Es sei alles schöngeredet und heruntergespielt worden.
«Der Pressesprecher hat sich aber entschuldigt, nachdem ich ihm die Beweisfotos schickte, und dann eingeräumt, es habe trotz Anstrengungen noch nicht so geklappt wie es sollte», so Tschannen.
Sie sagt weiter: «Ich weiss aber bis jetzt nicht, ob das SEM Massnahmen zur Verbesserung der Situation ergriffen hat. Besonders die Risikogruppe muss dringend in andere Unterkünfte gebracht werden.»
Tschannen hat deshalb eine Onlinepetition gestartet, die über 6'000 Leute unterschrieben haben. «Ich möchte damit erreichen, dass die Asylsuchenden aus den Asylzentren geholt und während der Corona-Pandemie in Unterkünften wie Hotels oder leer stehenden Wohnungen leben dürfen.»
Asylsuchende «angemessen schützen»
Zudem werde gefordert, dass für Asylsuchende, welche eine Unterkunft privat organisieren können, die Aufenthaltspflicht im Asylheim aufgehoben wird. «Nur so können wir Asylsuchende angemessen schützen – besonders auch jene, die zur Risikogruppe gehören», sagt Tschannen.
Tschannen ist der Meinung, dass der Bund Asylsuchende nicht als Menschen zweiter Klasse behandeln dürfe. «Entweder ist die Lage für alle ernst oder für keinen. Aber es kann nicht sein, dass Leute von den Schutzmassnahmen ausgeschlossen sind.»
Nationalrätin Samira Marti (SP) ist gleicher Meinung. «Es ist unhaltbar, dass Asylsuchende nicht zu den schützenswerten Menschen gezählt werden.»
Dass Asylsuchende dezentral untergebracht würden, erachtet Marti als sinnvolle Idee. «Die Umsetzung einer solchen Massnahme ist zudem möglich. Es ist aber eine Frage des Wollens.»
Es sei wichtig, dass der Parlamentsbetrieb möglichst bald wieder in Betrieb genommen werde. Denn bis dahin seien den Parlamentariern die Hände gebunden. «Auch in Krisenzeiten braucht es ein Parlament. Eben auch, um solche Missstände angehen zu können», so Marti.
FDP-Nationalrätin Doris Fiala setzt hingegen ihr vollstes Vertrauen in den Bundesrat. «Es braucht jetzt in dieser Krise eine koordinierte und einheitliche Bekämpfung des Coronavirus.»
Vorschläge zu einzelnen Massnahmen «humanitärer Idealisten» seien derzeit fehl am Platz und kaum zielführend, so Fiala. «Das ist zwar gut gemeint, aber nicht gut gedacht.»
Eine Verteilung der Asylsuchenden wäre kaum sinnvoll, so Fiala. «Um die Lage in den Griff zu bekommen, ist es besser, wenn Menschen konzentriert beieinanderbleiben, als das Risiken unüberschaubar verteilt werden.»
Fiala sieht die Lösung darin, dass die Asylsuchenden ihr jeweiliges Bundesasylzentren nicht mehr verlassen dürfen. «Bei allem humanitären Respekt, den ich für Flüchtlinge habe: Wir sitzen alle im gleichen Boot und müssen alle die gleichen Spielregeln einhalten», sagt Fiala.
Solange nicht genügend Tests für alle Menschen vorhanden sind, sei die einzig richtige Massnahme, dass alle Leute, denen es möglich ist, zu Hause bleiben oder ihren Hort der Sicherheit nicht verlassen. «Es müssen jetzt alle solidarisch sein – auch Asylsuchende», so Fiala.
Sie würde es daher begrüssen, wenn der Bundesrat allgemein eine härtere Gangart einschlagen würde. «Es darf in dieser ernsten Lage nicht auf die freiwillige Solidarität gezählt werden. Es braucht ein Top-Down-Führungsverhalten des Bundesrates, der klare, unbequeme und auch harte Massnahmen durchsetzt, die wir alle einhalten müssen.»
Personen in Bundesasylzentrum infiziert
Reto Kormann, Sprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM), lässt die Vorwürfe nicht gelten, dass die Massnahmen des Bundes in Bundesasylzentren kaum umsetzbar sind. «Die Anordnungen und Empfehlungen des BAG sind umsetzbar und werden eingehalten. Zudem ist die medizinische Versorgung gewährleistet.»
Bisher seien «weniger als zehn Personen», die in einem Bundesasylzentrum leben oder arbeiten, aufgrund einer Coronainfektion erkrankt, so Kormann. Eine Aufhebung der Aufenthaltspflicht, wie es die Petition fordert, stehe nicht zur Diskussion.
Aktuell würden sich in den BAZ rund 2'200 Asylsuchende aufhalten. «Als Sofortmassnahme haben wir die im Herbst 2019 umgesetzte Teilstilllegung der BAZ rückgängig gemacht. Damit verfügt das SEM innert kurzer Frist über eine Kapazität von knapp 4'000 Plätzen», so Kormann. Bis im Sommer könne die Kapazität auf 5'000 Unterbringungsplätze erhöht werden.
In den Bundesasylzentren, so Kormann, setzte man auf den Dialog mit den Asylsuchenden. «Der permanente Dialog ist wichtig – für die Sensibilisierung, aber auch um die Nöte und Ängste der Asylsuchenden in dieser Zeit aufnehmen zu können.» Das SEM appelliere dabei auch an die Eigenverantwortung.
In den Gesprächen würden die Hygiene- und Verhaltensmassnahmen des BAG erläutert. Zudem seien die Plakate des BAG in allen Bundesasylzentren in 15 Sprachen ausgehängt, sagt Kormann weiter.
Zudem: «Das SEM hat räumliche und personelle Reserven geschaffen, damit einerseits Asylsuchende gemäss den Empfehlungen des BAG auf mehr Räume verteilt werden können.» Andererseits würden auch krankheitsbedingte Ausfälle beim Betreuungs- und Sicherheitspersonal besser aufgefangen werden können.
Weiter würden Sitzungen mit maximal fünf Personen abgehalten und das Essen schichtweise vollzogen, sodass maximal 50 Personen im Saal anwesend seien. «Das SEM achtet zudem darauf, Transfers zwischen den Regionen auf ein Minimum zu beschränken. Auch das bedingt zusätzliche Kapazitäten», so Kormann.
Das SEM habe sich entschieden, die Anhörungen mit den Asylsuchenden für etwa eine Woche auszusetzen, «um in den dafür vorgesehenen Räumen zusätzliche, bauliche Sicherheitsmassnahmen wie Plexiglasscheiben vornehmen zu können», sagt Kormann.
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